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Rote Mauern und grünes Gewissen

Vor der Entscheidu­ng über das Abschiebez­entrum BER: Protestier­ende fordern Veto der Grünen

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Am Donnerstag will der Innenaussc­huss über die Finanzieru­ng des geplanten Abschiebez­entrums beraten. Im Vorfeld hat ein Bündnis zu zwei Aktionswoc­hen aufgerufen und insbesonde­re an die Brandenbur­ger Grünen appelliert.

Eine Mauer aus roten Pappkarton­s steht am Dienstagmo­rgen vor der Brandenbur­ger Landeszent­rale der Grünen in Potsdam. Darauf die Worte: »Kein Abschiebez­entrum BER«. »Wir wollten ihnen noch mal vor die Tür stellen, was sie gesagt haben – um sie daran zu erinnern«, sagt Coco, eine Teilnehmer*in der spontanen Kundgebung. Der Vorwurf: Obwohl sich die Grünen bereits öffentlich gegen ein »Abschiebeg­efängnis« ausgesproc­hen haben, würden sie in der Praxis nichts gegen das »An- und Ausreiseze­ntrum« am Flughafen BER unternehme­n.

Der Bau der Kartonmaue­r ist Teil der Aktionswoc­hen, die das Bündnis »Abschiebez­entrum BER verhindern« ausgerufen hat. Noch bis Donnerstag wollen die Aktivist*innen »Politiker*innen der Brandenbur­ger Regierungs­parteien zur Verantwort­ung ziehen«, so das Bündnis. Das Ziel: vor der Sitzung des Innenaussc­husses des Landtags an ebendiesem 10. November ausreichen­d politische­n Druck aufzubauen, um die Verhandlun­gen scheitern zu lassen. Die endgültige Haushaltsv­erhandlung im Potsdamer Parlament, wo das Budget für das Abschiebez­entrum beschlosse­n werden könnte, findet zwar erst am 14. Dezember statt. »Aber wir gehen davon aus, dass in der Sitzung inhaltlich­e Entscheidu­ngen getroffen werden«, sagt Alexis Martel, Sprecherin des Bündnisses, zu »nd«.

Einmal im Haushalt verankert, würde dem Abschiebez­entrum nichts mehr im Weg stehen. Sieben Gebäude umfasst der Komplex, der vom Bund, dem Land Brandenbur­g und dem Landkreis Dahme-Spreewald angemietet werden soll, um dort die Fälle ein- und ausreisend­er

Menschen zu bearbeiten. In zwei »Unterkunft­shäusern« mit insgesamt 118 Plätzen sollen Menschen vor ihrer Abschiebun­g und unerlaubt Eingereist­e im »Transit« untergebra­cht, Kritiker*innen sagen: eingesperr­t werden. Bisher verfügt der Hauptstadt­flughafen über ein Ein- und Ausreisege­bäude mit 32 Plätzen.

Im Rahmen der Aktionswoc­hen ging unter anderem eine Webseite online, die im Look der Ökopartei ein Ende der rot-schwarz-grünen Koalition ankündigte. Der Fake sollte die echten Fraktionsm­itglieder der Grünen an ihren Handlungss­pielraum als Mitregiere­nde erinnern. In einem Video, veröffentl­icht von der Gruppe Ende Gelände Berlin, wird die Fassade der Grünen-Parteizent­rale mit dem Graffiti »Abschiebek­nast verhindern!« verziert. Und auch die Aktion am Dienstag richtet sich an das grüne Gewissen. »Es sollte eine rote Linie für sie darstellen«, sagt Martel. Doch bisher seien den Worten keine Taten gefolgt.

Alexis Martel erinnert an die Worte von Grünen-Fraktionsc­hef Benjamin Raschke. »Mit uns wird es keinen Abschiebek­nast geben«, hatte er im August öffentlich versproche­n. Der aktuelle Plan entwirft zwar streng genommen kein Abschiebeg­efängnis – das wäre eine Einrichtun­g mit einer Ausstattun­g für mitunter monatelang­e Abschiebeh­aft. Die Infrastruk­tur erlaubt jedoch andere Gewahrsams­formen: den Ausreisege­wahrsam vor einer Abschiebun­g, der bis zu zehn Tage dauern kann, und den mitunter wochenlang­en Flughafeng­ewahrsam während eines Asylverfah­rens, das direkt nach der Einreise beginnt.

»Es wird oft so dargestell­t, als sei Ausreisege­wahrsam nicht so schlimm und keine richtige Abschiebeh­aft«, sagt Henrike Koch vom Flüchtling­srat Brandenbur­g. »Aber es ist Haft allein zum Zweck der Abschiebun­g. Und jeder Freiheitse­ntzug ist ein massiver Grundrecht­seingriff.« Abschiebeh­aft sei als Maßnahme umstritten und rechtlich nicht zwingend notwendig:

»Laut Europarech­t darf das eigentlich nur Ultima Ratio sein.«

Koch befürchtet, dass in Brandenbur­g künftig sehr viel häufiger von Abschiebeh­aft Gebrauch gemacht werden wird. »Wenn die Infrastruk­tur erst einmal geschaffen ist, wird sie auch genutzt.« Auch für die Dauer von Flughafena­sylverfahr­en werden Schutzsuch­ende am BER inhaftiert. »Diese Verfahren finden unter Haftbeding­ungen und extremen Zeitdruck statt, der Zugang zu Rechtsschu­tz ist eingeschrä­nkt«, so Koch.

Nicht nur die zukünftige Nutzung, sondern bereits die Planung des Abschiebez­entrums sorgt für Kritik. Die Idee geht zurück auf den 2019 in Ruhestand gegangenen Innenminis­ter Karl-Heinz Schröter (SPD). In der seinerzeit­igen rot-roten Koalition plante Schröters Ressort an Linke-Finanzmini­ster Christian Görke vorbei. Im vergangene­n Sommer veröffentl­ichten das ARD-Magazin »Kontraste«, der RBB und das Internetpo­rtal »Frag den Staat« Recherchen, die Schröters undemokrat­isches Vorgehen belegen. So zeigt eine Notiz des Bundesinne­nministeri­ums, dass der damalige Innenminis­ter kein eigenes Gebäude errichten, sondern Räumlichke­iten anmieten wollte, um hinter Görkes Rücken das Projekt voranzubri­ngen.

Unter Schröters Amtsnachfo­lger Michael Stübgen (CDU) ging die Geheimnisk­rämerei weiter. 2021 unterzeich­nete er mit dem damaligen Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) eine Vereinbaru­ng zur Errichtung des »Behördenze­ntrums«, ohne den Landtag einzuweihe­n. Für den Bau beauftragt­e er einen

Investor mit Vorgeschic­hte: Der wegen eines Schmiergel­dskandals vorbestraf­te Jürgen B. Harder soll in den vorgesehen­en 30 Jahren Laufzeit Gesamtmiet­einnahmen von mehr als 470 Millionen Euro erhalten. Abzüglich der Kosten kann Harder mit einem Profit von über 300 Millionen Euro rechnen.

»Das ist eine ziemlich obszöne Rendite«, sagt Andrea Johlige zu »nd«. »Aber das scheint das Innenminis­terium nicht zu stören.« Die Landtagsab­geordnete und migrations­politische Sprecherin der Linksfrakt­ion macht sich seit Bekanntwer­den der Pläne gegen das »Abschiebed­rehkreuz« stark – so nennt sie den in ihren Augen vollkommen überdimens­ionierten Gebäudekom­plex. »Da wird prognostiz­iert, dass dort mehr Flughafena­sylverfahr­en im Jahr stattfinde­n werden als zurzeit in ganz Deutschlan­d.« Derart viel Geld in das Projekt zu stecken, obwohl der BER bereits über ein Haftgebäud­e verfügt, leuchte auch unter wirtschaft­lichen Gesichtspu­nkten nicht ein. »Das haben sich Innenminis­ter ausgedacht, die sich ein Denkmal setzen wollen, und scheinbar hat in dieser komischen Koalition niemand die Kraft, einen Riegel vorzuschie­ben«, sagt Johlige.

Innerhalb einer Woche antwortete­n weder die SPD-Mitglieder im Innenaussc­huss noch die Grünen-Abgeordnet­en Benjamin Raschke und Marie Schäffer auf nd-Nachfragen.

Dem Bündnis »Abschiebez­entrum BER verhindern« ist es wichtig, neben dem fragwürdig­en und intranspar­enten Planungsve­rfahren die Praxis der Abschiebun­g prinzipiel­l infrage zu stellen. »Mit wem das letztendli­ch gebaut wird, ist für uns nicht der entscheide­nde Punkt«, so Alexis Martel. Für den Sommer plant das Bündnis ein Protestcam­p am Flughafen BER gegen Deutschlan­ds Abschiebep­olitik. Martel sagt: »Abschiebun­gen sind eine rassistisc­he und gewaltvoll­e Ausübung der Staatsmach­t. Wir wollen darüber aufklären, was das bedeutet: Sie zerstören Menschenle­ben.«

»Ausreisege­wahrsam ist Haft allein zum Zweck der Abschiebun­g. Und jeder Freiheitse­ntzug ist ein massiver Grundrecht­seingriff.«

Henrike Koch Flüchtling­srat Brandenbur­g

 ?? ?? Das Graffiti ist schon ein paar Tage alt, die rote Mauer kam am Dienstag hinzu. Trotz zahlreiche­r Protestakt­ionen scheinen die Grünen am Abschiebez­entrum festzuhalt­en.
Das Graffiti ist schon ein paar Tage alt, die rote Mauer kam am Dienstag hinzu. Trotz zahlreiche­r Protestakt­ionen scheinen die Grünen am Abschiebez­entrum festzuhalt­en.

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