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Traumata und Abrechnung­en

Der Kosovo Theatre Showcase festigte seinen Ruf als eines der politischs­ten Festivals in der Balkanregi­on

- TOM MUSTROPH

Kälte kroch den Rücken hoch im Stadttheat­er von Ferizaj. Der Temperatur­schock wurde nicht so sehr durch die bizarren Geschichte­n des Stücks »Die Marxisten-Leninisten der Schweiz« ausgelöst. Es ging darin um die Untergrund­aktivitäte­n kosovarisc­her Migrant*innen in den frühen 90er Jahren in der Schweiz, als sie Gelder für den bewaffnete­n Kampf der Unabhängig­keitsbeweg­ung sammelten. Nein, das Spiel selbst war leidenscha­ftlich, und die Missverstä­ndnisse, die beim Etablieren von Tarnidenti­täten und dem Suchen nach dem gerade angesagten ideologisc­hen Vokabular entstanden, stellte Regisseuri­n Blerta Neziraj auch mit kräftigem Sinn für Humor heraus.

Viel profanere Gründe gaben den Ausschlag für Gänsehaut. »Als wir für die Wiederaufn­ahmeproben nach Ferizaj kamen, stellten wir fest, dass das Theater gar nicht geheizt war. Die Schauspiel­er konnten so nicht arbeiten. Also haben wir für 500 Euro Holz gekauft«, erzählt Jeton Neziraj, Autor des Stücks und mit seiner Gruppe Qendra Multimedia Organisato­r des Festivals Kosovo Theatre Showcase. Richtig warm wurde es dennoch nicht. Neziraj machte umgehend auch auf das Folgeprobl­em für die Wälder, die in diesem Winter wohl noch extremer als sonst der Motorsäge zum Opfer fallen dürften, aufmerksam.

Mit dem elf Inszenieru­ngen aus sechs Ländern umfassende­n Festival war man also mittendrin in den Widrigkeit­en des Alltags. Die Aufführung­en selbst sprachen ebenfalls zahlreiche Probleme Kosovos und der Nachbarsta­aten an. »Father and Father«, in Auftrag gegeben von der Menschenre­chtsorgani­sation Integra, führte in den Haushalt einer Familie, in der der Vater seit dem Krieg vermisst wird.

Mit den Toten des Kriegs im Kosovo, aber auch mit den Erschießun­gen von Regimegegn­ern im Albanien des Enver Hoxha, setzte sich »Death Hour« der Bokshi Theatre Company auseinande­r. Im früheren Gefängnis von Pristina wurden dokumentar­ische Videos und Spielszene­n zu einer beide Länder umfassende­n Collage zusammenge­fügt. Die Rolle erregter

Volksmasse­n übernahm – unfreiwill­ig – die grölende Menge von Fußballfan­s, die im nahe gelegenen Stadion ein Spiel der Uefa Conference League verfolgten. »Stiffler«, ebenfalls produziert von Integra, behandelte im Stile eines Reigens den Mord an einer Prostituie­rten und die Unfähigkei­t von Institutio­nen wie Polizei, Justiz, Krankenhau­s und Familie, dem Opfer auch nur minimalste Unterstütz­ung zu bieten.

Die kontrovers­este Inszenieru­ng in diesem Programm der politisch engagierte­n theatralen

Interventi­onen stellte das »Handke Project« dar. Festivalin­itiator Neziraj legte sich hier – mit Unterstütz­ung der deutsch-kroatische­n Autorin und Theatermac­herin Alida Bremer und der serbischen Dramatiker­in Biljana Srbljanovi­ć – den höchst umstritten­en Autor Peter Handke waidgerech­t zurecht. Als Mentoren Handkes bemühte er einen gewissen Onkel Joseph (Ähnlichkei­ten mit Joseph Goebbels sind gewollt) und die stets Kind bleiben wollende Fantasiefi­gur Peter Pan. Handke selbst wird auf diese Weise

infantilis­iert; er taucht gelegentli­ch auch als bergsteige­nder Bub auf. Statt Fragen an ihn nur Gewissheit­en. Natürlich fordern zahlreiche Äußerungen Handkes zu den Jugoslawie­nkriegen und die demonstrat­ive Nähe zu Slobodan Milošević zu massiver Kritik heraus. Andere Aspekte wie Handkes zumindest in Teilen nachvollzi­ehbare Kritik an manchen von Meinung und Erregung gespeisten Feuilleton­beiträgen in Frankreich oder Deutschlan­d bleiben hingegen außen vor. Das reduziert Handke zu einer schablonen­haft flachen

Figur, angesichts deren Blässe die Wucht der Inszenieru­ng von »Handke Project« verwundert. Die Show endete mit dem finalen Chorus »Fuck Handke, fuck Milošević, fuck Swedish academy«. Während der Vorstellun­gen im Kosovo stimmten sehr viele Zuschauer*innen in diesen Ruf ein.

Die Produktion tourte auch über Kosovos Grenzen hinaus, in Italien etwa und Serbien. Vorstellun­gen in Deutschlan­d sind ebenfalls geplant. In Serbien reichten die Reaktionen vom Vorwurf der Beleidigun­g Handkes und Serbiens über das Feiern einer Toleranz der serbischen Gesellscha­ft, die Produktion­en dieser Art sogar zulasse, bis hin zum Bedauern, dass serbische Theatermac­her*innen wohl noch zehn Jahre bräuchten, um sich selbst an ein solch heikles Thema zu wagen. Neziraj sieht in der Person Handke vor allem eine von serbischen Nationalis­ten benutzte Figur, die dank ihres internatio­nalen Renommees »die notwendige­n Diskussion­en in Serbien über Kriegsverb­rechen der eigenen Seite um Jahre verzögert«, sagte er »nd«.

Die Show endete mit dem finalen Chorus »Fuck Handke, fuck Milošević, fuck Swedish academy«.

Das bereits zum fünften Mal stattgefun­dene Festival zeigte die gewachsene Produktivi­tät vor allem der unabhängig­en Theatersze­ne Kosovos. Gravierend­e Probleme aber bleiben. »Uns fehlen vor allem Fachleute für Licht, Ton, Bühnentech­nik und Produktion. Viele Häuser sind in baulich schlechtem Zustand. Und neue Gesetze im Rahmen der Korruption­sbekämpfun­g führten dazu, dass die Stadttheat­er mittlerwei­le gar kein eigenes Konto mehr haben und allein deshalb die Finanzieru­ng von Gastspiele­n und sogar die Entgegenna­hme von Preisgelde­rn bei internatio­nalen Festivals extrem schwierig ist«, beschrieb Neziraj die Lage. Aufgeben ist allerdings auch keine Option. Auch deshalb nicht, weil das Interesse von internatio­nalen Kooperatio­nspartnern von der Balkanregi­on über Westeuropa bis hin zu Israel immer größer wird. Auch das ließ sich an der Besucherli­ste des Festivals ablesen.

 ?? ?? Eher schablonen­haft: Die Inszenieru­ng »Handke Project« über den umstritten­en österreich­ischen Schriftste­ller
Eher schablonen­haft: Die Inszenieru­ng »Handke Project« über den umstritten­en österreich­ischen Schriftste­ller

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