Traumata und Abrechnungen
Der Kosovo Theatre Showcase festigte seinen Ruf als eines der politischsten Festivals in der Balkanregion
Kälte kroch den Rücken hoch im Stadttheater von Ferizaj. Der Temperaturschock wurde nicht so sehr durch die bizarren Geschichten des Stücks »Die Marxisten-Leninisten der Schweiz« ausgelöst. Es ging darin um die Untergrundaktivitäten kosovarischer Migrant*innen in den frühen 90er Jahren in der Schweiz, als sie Gelder für den bewaffneten Kampf der Unabhängigkeitsbewegung sammelten. Nein, das Spiel selbst war leidenschaftlich, und die Missverständnisse, die beim Etablieren von Tarnidentitäten und dem Suchen nach dem gerade angesagten ideologischen Vokabular entstanden, stellte Regisseurin Blerta Neziraj auch mit kräftigem Sinn für Humor heraus.
Viel profanere Gründe gaben den Ausschlag für Gänsehaut. »Als wir für die Wiederaufnahmeproben nach Ferizaj kamen, stellten wir fest, dass das Theater gar nicht geheizt war. Die Schauspieler konnten so nicht arbeiten. Also haben wir für 500 Euro Holz gekauft«, erzählt Jeton Neziraj, Autor des Stücks und mit seiner Gruppe Qendra Multimedia Organisator des Festivals Kosovo Theatre Showcase. Richtig warm wurde es dennoch nicht. Neziraj machte umgehend auch auf das Folgeproblem für die Wälder, die in diesem Winter wohl noch extremer als sonst der Motorsäge zum Opfer fallen dürften, aufmerksam.
Mit dem elf Inszenierungen aus sechs Ländern umfassenden Festival war man also mittendrin in den Widrigkeiten des Alltags. Die Aufführungen selbst sprachen ebenfalls zahlreiche Probleme Kosovos und der Nachbarstaaten an. »Father and Father«, in Auftrag gegeben von der Menschenrechtsorganisation Integra, führte in den Haushalt einer Familie, in der der Vater seit dem Krieg vermisst wird.
Mit den Toten des Kriegs im Kosovo, aber auch mit den Erschießungen von Regimegegnern im Albanien des Enver Hoxha, setzte sich »Death Hour« der Bokshi Theatre Company auseinander. Im früheren Gefängnis von Pristina wurden dokumentarische Videos und Spielszenen zu einer beide Länder umfassenden Collage zusammengefügt. Die Rolle erregter
Volksmassen übernahm – unfreiwillig – die grölende Menge von Fußballfans, die im nahe gelegenen Stadion ein Spiel der Uefa Conference League verfolgten. »Stiffler«, ebenfalls produziert von Integra, behandelte im Stile eines Reigens den Mord an einer Prostituierten und die Unfähigkeit von Institutionen wie Polizei, Justiz, Krankenhaus und Familie, dem Opfer auch nur minimalste Unterstützung zu bieten.
Die kontroverseste Inszenierung in diesem Programm der politisch engagierten theatralen
Interventionen stellte das »Handke Project« dar. Festivalinitiator Neziraj legte sich hier – mit Unterstützung der deutsch-kroatischen Autorin und Theatermacherin Alida Bremer und der serbischen Dramatikerin Biljana Srbljanović – den höchst umstrittenen Autor Peter Handke waidgerecht zurecht. Als Mentoren Handkes bemühte er einen gewissen Onkel Joseph (Ähnlichkeiten mit Joseph Goebbels sind gewollt) und die stets Kind bleiben wollende Fantasiefigur Peter Pan. Handke selbst wird auf diese Weise
infantilisiert; er taucht gelegentlich auch als bergsteigender Bub auf. Statt Fragen an ihn nur Gewissheiten. Natürlich fordern zahlreiche Äußerungen Handkes zu den Jugoslawienkriegen und die demonstrative Nähe zu Slobodan Milošević zu massiver Kritik heraus. Andere Aspekte wie Handkes zumindest in Teilen nachvollziehbare Kritik an manchen von Meinung und Erregung gespeisten Feuilletonbeiträgen in Frankreich oder Deutschland bleiben hingegen außen vor. Das reduziert Handke zu einer schablonenhaft flachen
Figur, angesichts deren Blässe die Wucht der Inszenierung von »Handke Project« verwundert. Die Show endete mit dem finalen Chorus »Fuck Handke, fuck Milošević, fuck Swedish academy«. Während der Vorstellungen im Kosovo stimmten sehr viele Zuschauer*innen in diesen Ruf ein.
Die Produktion tourte auch über Kosovos Grenzen hinaus, in Italien etwa und Serbien. Vorstellungen in Deutschland sind ebenfalls geplant. In Serbien reichten die Reaktionen vom Vorwurf der Beleidigung Handkes und Serbiens über das Feiern einer Toleranz der serbischen Gesellschaft, die Produktionen dieser Art sogar zulasse, bis hin zum Bedauern, dass serbische Theatermacher*innen wohl noch zehn Jahre bräuchten, um sich selbst an ein solch heikles Thema zu wagen. Neziraj sieht in der Person Handke vor allem eine von serbischen Nationalisten benutzte Figur, die dank ihres internationalen Renommees »die notwendigen Diskussionen in Serbien über Kriegsverbrechen der eigenen Seite um Jahre verzögert«, sagte er »nd«.
Die Show endete mit dem finalen Chorus »Fuck Handke, fuck Milošević, fuck Swedish academy«.
Das bereits zum fünften Mal stattgefundene Festival zeigte die gewachsene Produktivität vor allem der unabhängigen Theaterszene Kosovos. Gravierende Probleme aber bleiben. »Uns fehlen vor allem Fachleute für Licht, Ton, Bühnentechnik und Produktion. Viele Häuser sind in baulich schlechtem Zustand. Und neue Gesetze im Rahmen der Korruptionsbekämpfung führten dazu, dass die Stadttheater mittlerweile gar kein eigenes Konto mehr haben und allein deshalb die Finanzierung von Gastspielen und sogar die Entgegennahme von Preisgeldern bei internationalen Festivals extrem schwierig ist«, beschrieb Neziraj die Lage. Aufgeben ist allerdings auch keine Option. Auch deshalb nicht, weil das Interesse von internationalen Kooperationspartnern von der Balkanregion über Westeuropa bis hin zu Israel immer größer wird. Auch das ließ sich an der Besucherliste des Festivals ablesen.