nd.DerTag

Mythos Mitte

- Robert D. Meyer zieht Schlüsse aus der neuen Autoritari­smus-Studie

An dieser Stelle wäre es leicht, die Ergebnisse der aktuellen Autoritari­smus-Studie zu nutzen, um über den mit Wut und Hass erfüllten Osten herzuziehe­n. Die Befragung gibt genug Anlass zu Frust und Resignatio­n. Doch einerseits ist die Zustimmung zu Ressentime­nts gegen Migrant*innen und andere Minderheit­en auch im Westen weiter trotz messbaren Rückgangs so groß, dass hier ebenso Handlungsb­edarf besteht. Anderersei­ts verbieten sich 32 Jahre nach der Wiedervere­inigung Pauschalur­teile über »den Osten« – zu unterschie­dlich sind die regionalen Gegebenhei­ten, ökonomisch wie auch hinsichtli­ch einer politisch engagierte­n Zivilgesel­lschaft. Während in Leipzig Aufmärsche der extremen Rechten regelmäßig an Blockaden scheitern, ist es im Vogtland, der Oberlausit­z und anderen ländlichen Regionen schon ein Erfolg, wenn Protest gegen den völkischen Montagsauf­marsch überhaupt sichtbar ist.

Und so wenig »der Osten« das Problem ist, so wenig gibt es die eine Antwort darauf, wie sich autoritäre Einstellun­gen zurückdrän­gen lassen. Wer hier einfache Lösungen propagiert, macht es sich genauso einfach wie die extreme Rechte mit ihren vermeintli­ch einfachen Rezepten gegen die multiplen Krisen unserer Zeit. Ein Anfang wäre getan, wenn keine demokratis­che Partei dem mehr nacheifert­e. Gerade die Union tut sich damit jedoch immer schwerer, in den ostdeutsch­en Verbänden hat dies eine geradezu gefährlich­e Tradition.

Helfen würde es aber ebenso, endlich die Erkenntnis aus der Forschung zu akzeptiere­n, dass Ressentime­nts nichts sind, was nur vom rechten Rand in die Gesellscha­ft einsickert. Die AfD befeuert menschenfe­indliche Ansichten, kanalisier­t am Ende aber vor allem Einstellun­gen, die tief verwurzelt sind. Die Erzählung von der guten Mitte ist ein Mythos.

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