Ein bisschen gewonnen
Das befürchtete Debakel ist für die US-Demokraten ausgeblieben. Bei den Republikanern bahnt sich derweil ein Richtungsstreit an
Der Ausgang der Zwischenwahlen in den USA war unerwartet knapp, den Demokraten blieb eine deutliche Niederlage erspart.
Für die Demokraten hätte der Wahlausgang deutlich schlimmer kommen können. Im neuen Kongress werden wohl knappe Mehrheitsverhältnisse herrschen.
Am Mittwochmorgen nach der Wahlnacht macht sich bei den Demokraten langsam Erleichterung breit. Ihre Partei habe »die Erwartungen stark übertroffen«, verkündigte die Sprecherin des Repräsentantenhauses und Anführerin der Demokraten, Nancy Pelosi. »Die rote Welle ist ausgeblieben«, schrieb die unterlegene republikanische Kandidatin für das Repräsentantenhaus Mayra Flores aus Texas auf Twitter. Der klare Sieg über die Regierungspartei von Präsident Biden, den sich viele Anhänger*innen der Republikaner bei der Wahl erhofft hatten, blieb ihnen verwehrt. Das Ergebnis ist für die Demokraten glanzlos, doch eine Klatsche sieht anders aus. Im demokratischen Lager, wo man sich auf das Schlimmste eingestellt hatte, hellte sich die Stimmung im Lauf des Wahlabends deutlich auf.
Die Auszählung der Stimmen bei den Kongress-, Gouverneurs- und Lokalwahlen sowie zu verschiedenen Volksabstimmungen waren am Mittwoch noch in vollem Gange. Die bisherigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Umfragen vor den Wahlen, die ein äußerst knappes Rennen im Senat vorausgesagt hatten, bestätigen könnten. Die Republikaner haben nach derzeitigem Stand gute Chancen, das Repräsentantenhaus zu übernehmen, in dem die Demokraten bisher eine Mehrheit von neun Sitzen innehatten. Laut Schätzungen des Fernsehsenders NBC vom Mittwochmorgen Washingtoner Ortszeit können die Republikaner mit etwa 220 Sitzen im Abgeordnetenhaus rechnen, die Demokraten mit etwa 215 – eine denkbar knappe Mehrheit für die Konservativen, die sich deutlich mehr erhofft hatten. Im Senat waren beiden Parteien bis Mittwochabend jeweils 48 von 100 Sitzen sicher.
Die Mehrheitsverhältnisse im Senat sind also weiter offen. Der demokratische Senator Michael Bennet darf sich in Colorado über seine Wiederwahl freuen, was allerdings wenig überraschend ist. Auch die Demokratin Maggie Hassan aus New Hampshire schaffte den Wiedereinzug in den Senat. In Georgia könnte es im Dezember zu einer Stichwahl kommen, da der Demokrat Raphael Warnock und der Republikaner Herschel Walker derzeit Kopf an Kopf liegen und beide die 50-Prozent-Marke verpassen könnten. Walker, ein ehemaliger Football-Profispieler, hatte im Wahlkampf mit Vorwürfen zu kämpfen, er habe mehrere Partnerinnen bedroht sowie für Abtreibungen bezahlt – konservative Wähler*innen schreckte dies offenbar nur bedingt ab.
In Pennsylvania gewann der Demokrat John Fetterman gegen den Republikaner Mehmet Oz und nahm den Republikanern damit einen Senatssitz ab. Fetterman hatte in Umfragen lange einen komfortablen Vorsprung. Doch die Folgen eines Schlaganfalls im Frühsommer machten ihm bei einer Fernsehdebatte mit Oz zu schaffen, Fetterman kämpfte mit Artikulationsschwierigkeiten. Auch der demokratische Kandidat für das Gouverneursamt in Pennsylvania wurde von NBC zum Sieger erklärt. Die demokratischen Gouverneurinnen von New York und Michigan, Kathy Hochul und Gretchen Whitmer, wurden ebenfalls wiedergewählt.
Den parteiinternen Anhängerinnen und Anhängern von Ex-Präsident Donald Trump dürften unruhige Zeiten bevorstehen. Sollten die Republikaner die Mehrheit im Senat verpassen, dürfte das Parteiestablishment gestärkt hervorgehen, da es die für Wechselwähler*innen abschreckende Rhetorik der Trumpnahen Kandidaten und Kandidatinnen für die Niederlage verantwortlich machen könnte. Ein Senat in demokratischen Händen würde Präsident Joe Biden die weitere Regierungsarbeit sicher erleichtern; insbesondere bei der Besetzung von Posten in der Bundesverwaltung und im Justizwesen hätte der Präsident sehr viel mehr Handlungsspielraum.
Doch selbst wenn die Republikaner am Ende in beiden Kammern des Kongresses knappe Mehrheiten stellen sollten, wird das Wahlergebnis bei den Konservativen für Gesprächsstoff sorgen. Der innerparteiliche Streit ist programmiert. Der alteingesessenen Parteigarde rund um den Fraktionsvorsitzenden im Senat, Mitch McConnell, ist die Dominanz des Trump-Flügels ein Dorn im Auge – nicht unbedingt, weil es viele politische Differenzen gäbe, sondern weil die radikalen Emporkömmlinge schlicht zu unkontrollierbar sind, sich nicht in vorhandene Hierarchien integrieren lassen wollen und die Partei in der öffentlichen Wahrnehmung in ein schlechtes Licht rücken.
Der republikanische Vizegouverneur von Georgia, Geoff Duncan, kritisierte den TrumpFlügel der Partei bereits scharf. »Ich glaube, das ist eine Botschaft an die Republikanische Partei, dass es Zeit ist, Donald Trump hinter uns zu lassen«, merkte Duncan gegenüber dem Fernsehsender CNN an und keilte gegen aus seiner Sicht amateurhafte Trump-Anhänger innerhalb der Partei. »Es hat sich herausgestellt, dass Mitch McConnell wusste, wovon er sprach, als er die Qualität unserer Kandidaten angesprochen hat.«
Viele gute Nachrichten gab es bei den Ergebnissen der zahlreichen Volksabstimmungen auf Bundesstaatenebene: Kalifornien, Vermont und Michigan nehmen das Recht auf Abtreibung in ihre Verfassungen auf. Im konservativen Kentucky und in Montana sprachen sich die Wähler*innen dagegen aus, reproduktive Rechte weiter zu beschneiden. In Illinois setzte sich eine Initiative für das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung durch, in Maryland legalisierten die Wähler*innen den Konsum von Cannabis und in Nebraska gewann ein Vorschlag, den Mindestlohn bis 2026 schrittweise von 9 auf 15 Dollar pro Stunde zu erhöhen.
An diesen Ergebnissen ist erkennbar, dass die Mehrheit in den USA in vielen Punkten bereit für eine fortschrittlichere Politik ist – selbst in nominell konservativen Bundesstaaten, die parteipolitisch fest in Hand der Republikaner sind. Dass die Demokraten diese Wahl relativ unbeschadet überstanden haben, liegt auch daran, dass sich Biden und die Partei inzwischen nicht mehr scheuen, sich als klare politische Alternativen zu den Konservativen zu verkaufen. Doch wegweisende Projekte wie das Klimapaket der Demokraten werden erst in Jahren Früchte tragen. Dass der linke Parteiflügel bei dieser Wahl erneut Zuwächse verbuchen konnte, lässt hoffen, dass Biden vor den Republikanern im Kongress nicht einfach einknicken wird.
»Wir haben die Erwartungen stark übertroffen.«
Nancy Pelosi Sprecherin des Repräsentantenhauses