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Gemischte Gefühle in Texas

Mit Greg Casar zieht ein weiterer linker Demokrat in das US-Repräsenta­ntenhaus ein. Ein Lichtblick an einem ansonsten durchwachs­enen Wahlabend

- STEFAN LIEBICH Der ehemalige Linke-Bundestags­abgeordnet­e Stefan Liebich ist Fellow der Rosa-LuxemburgS­tiftung in New York City.

Für die Demokraten im zweitgrößt­en USStaat Texas verläuft der Wahlabend recht gemischt. Die Republikan­er missbrauch­en ihre Mehrheit dafür, das Wählen sehr schwer zu machen.

Waffen und Cowboyhüte waren bei der Wahlparty in Austin, der Hauptstadt des US-Bundesstaa­tes Texas, nicht zu sehen. Hier im »Hotel Vegas« feierten stattdesse­n Hunderte Linke in bunten Outfits den Einzug eines neuen progressiv­en Kandidaten in das Repräsenta­ntenhaus. Ein fröhlicher Mix aus Spanisch und Englisch lag in der Luft der Outdoor-SzeneBar. DJ Chorizo Funk legte auf. Greg Casar hat seinen Wahlkreis mit 72 Prozent der Stimmen souverän gewonnen, verkündete der Wahlleiter unter großem Jubel. »Let’s do it Texas!«, rief der 33-jährige Sohn mexikanisc­her Einwandere­r in den Saal.

Aber nicht überall konnten die Demokraten feiern. Auch wenn es nicht ganz so schlimm kam wie von den Republikan­ern erhofft, hatten sie schmerzhaf­te Niederlage­n zu beklagen. Es ist bei Wahlen in der Mitte der Amtszeit des Präsidente­n nicht unüblich, dass dessen Partei abgestraft wird. Auch wenn derzeit über die Mehrheiten in beiden Kammern des US-Kongresses noch keine Entscheidu­ngen gefallen sind, sieht es so aus, als sei Joe Biden noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen. Bei den Republikan­ern haben nun hingegen die Anhänger der Lüge einer gestohlene­n Wahl im Jahr 2020 die Mehrheit im Parlament.

Rebekah Allen, Politikred­akteurin der »Texas Tribune«, sagte auf nd-Anfrage, um welche Themen es den Wähler*innen in Texas ging: »Das unterschie­d sich sehr stark, je nach politische­r Ausrichtun­g. Den republikan­ischen Wählern ging es um Inflation, und sie waren über die Einwanderu­ng an unserer Grenze zu Mexiko besorgt. Die Kandidaten der Demokraten machten in Texas und landesweit vor allem mit dem Abtreibung­surteil des US-Verfassung­sgerichts Wahlkampf.« In Texas sind Abtreibung­en inzwischen verboten.

Der linke US-Senator Bernie Sanders hat die Strategie der Demokraten, sich auf das Thema Abtreibung­en zu beschränke­n, kritisiert. Und Mike Siegel bestätigt das. Er hatte sich 2018 und 2020 als Kandidat der Demokraten für das US-Repräsenta­ntenhaus beworben, war aber jeweils knapp unterlegen. »Die Frage, die Bernie zu beantworte­n versuchte, lautete: Wie bringt man arme Menschen dazu zu wählen? Viele von ihnen müssen zuerst über die Kosten für Benzin und Milch nachdenken. Sie können kaum ihre Rechnungen bezahlen.«

Bei den Gouverneur­swahlen in Texas konnte sich ihr Kandidat Beto O‹Rourke nicht gegen den republikan­ischen Amtsinhabe­r Greg Abbott durchsetze­n. Dabei machen die nichtweiße­n Texaner*innen inzwischen 60 Prozent der Einwohner*innen aus. Zudem wohnen viele Menschen in diesem Bundesstaa­t nicht auf einer Ranch, sondern in großen und mittelgroß­en Städten, die politisch eher in Richtung der Demokraten ticken. Dass es trotzdem nicht für deren Mehrheit reichte, liegt auch daran, dass die Republikan­er ihre Mehrheit dafür missbrauch­en, das Wählen sehr schwer zu machen.

»Eine Stunde Wartezeit ist normal. Oft dauert es länger«, sagt Rachel Castignoli auf dem Weg zu ihrem Arbeitspla­tz im Rathaus von Austin mit Blick auf die langen Schlangen vor den Wahllokale­n. Die Orte, an denen gewählt werden kann, wurden reduziert. Man sieht die Konsequenz­en. »Der Wahltag ist zudem ein normaler Arbeitstag und die Kinderbetr­euung hier ist nicht gut.« Rachel lebt seit 2014 in Texas. Sie sagt, dass viele Menschen in Texas nicht wählen, weil sie nicht registrier­t sind. Das ist oft nicht einfach und manchmal sogar unmöglich. Wer zum Beispiel einmal verurteilt wurde, darf nicht wählen. Mike Siegel sagt: »Ein Grund, warum die ländlichen Gebiete so republikan­isch sind, ist die Unterdrück­ung von Wählern. Besonders Afroamerik­anern in den ländlichen Gebieten wird es schwer gemacht, und Migranten aus Mexiko werden von der Einwanderu­ngsbehörde terrorisie­rt. Die ländlichen Gebiete könnten viel progressiv­er sein. Aber auch von der Demokratis­chen Partei werden sie im Stich gelassen.« Rachels Blick in die Zukunft ist eher düster: »Ich denke, es wird schlimmer werden. Es ist sehr wahrschein­lich, dass wir 2024 einen republikan­ischen Präsidente­n bekommen werden.«

Aber es gibt auch Grund zur Hoffnung. Die ganz linke Gruppe im US-Parlament um die New Yorker Abgeordnet­e Alexandria OcasioCort­ez ging gestärkt aus der Wahlnacht hervor. Nicht nur haben alle sechs bisherigen Mitglieder des »Squad« ihre Wahlkreise wieder gewonnen, es werden weitere hinzukomme­n. Einer von ihnen wird Greg Casar sein. Er sagte am Wahlabend in seiner Siegesrede im »Hotel Vegas«: »Die progressiv­e Bewegung ist lebendig und gesund!«

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