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Leipziger Brandserie reißt nicht ab

Sachsens Innenminis­ter vermutet militante Linke als Täter und sieht Zusammenha­ng zu Prozess gegen Lina E.

- HENDRIK LASCH

In Leipzig gab es erneut Brandansch­läge auf Unternehme­n. Ermittler vermuten die Täter in der militanten linken Szene. Dass der Prozess gegen Lina E. diese einschücht­ert, war laut Innenminis­ter ein »Trugschlus­s«.

Am Dienstag kurz vor vier am Morgen brannte im Leipziger Osten ein Dutzend Transporte­r. Sie gehörten dem Immobilien­unternehme­n Vonovia, dessen Umgang mit Mietern etwa bei der Abrechnung von Betriebsko­sten oft kritisiert wird. Über die Höhe des Schadens machte die Polizei, die bei den Ermittlung­en unter anderem einen Hubschraub­er einsetzte und anschließe­nd einen Zeugenaufr­uf startete, keine Angaben. Am Freitag hatten gut einen Kilometer entfernt bereits zwei Bagger in Flammen gestanden. Eigentümer war ein Bauunterne­hmen aus Ostsachsen, dessen Chef eine Nähe zu Verschwöru­ngstheorie­n und rechter Ideologie nachgesagt wird. In dem Fall wird der Schaden auf fast 400 000 Euro beziffert. Die Polizei geht in beiden Fällen von Brandansch­lägen aus, wie sie beide Unternehme­n in der Vergangenh­eit schon mehrfach trafen.

Die Ermittlung­en übernahm jeweils eine Abteilung des sächsische­n Landeskrim­inalamtes (LKA), die sich »Polizeilic­hes Terrorismu­s- und Extremismu­s-Abwehrzent­rum« (PTAZ) nennt. Beide Begriffe drückten mit Blick auf die Anschläge aus, »wie wir darüber denken«, sagte Sachsens Innenminis­ter Armin Schuster (CDU). Er vermutet die Täter in der militanten linken Szene. Das LKA hatte in seinen Mitteilung­en über die Brände zwar noch zurückhalt­end formuliert, eine politische Motivation könne »nicht ausgeschlo­ssen werden«. Das, präzisiert­e Schuster jedoch, »wäre untertrieb­en«. Bei den Angriffen auf beide Firmen sei »ein Muster« erkennbar.

Allerdings verlieren nicht nur das Immobilien- und das Bauunterne­hmen immer wieder Fahrzeuge durch Brandstift­ung. Zu Silvester 2021 brannten in Leipzig mehrere Geländewag­en der Bundeswehr aus, im April fünf Transporte­r einer Autovermie­tung. Auch die Deutsche Post war in der Stadt bereits betroffen. Zuletzt wurde im Oktober ein Brandansch­lag auf einem Gelände der Telekom verhindert. Zwar brennen in Sachsen auch anderswo Autos; eine Auflistung des Innenminis­teriums für 2021 nennt 216 Fälle vorsätzlic­her Brandstift­ung an Fahrzeugen, die unter anderem zehn Bagger, je elf Kleinbusse und Lastwagen sowie 26 Transporte­r betrafen. Allein 89 davon – gut 40 Prozent – ereigneten sich aber in Leipzig. Insgesamt ordnen die Ermittler 34 der Fälle als »politisch motivierte Kriminalit­ät links« ein.

In wie vielen Fällen das tatsächlic­h zutrifft, ist offen; Täter werden äußerst selten ermittelt. Aufgrund von Taten im Jahr 2021 seien zwei Tatverdäch­tige festgenomm­en und einer verurteilt worden, erklärte das Innenminis­terium im März auf Anfrage eines AfDAbgeord­neten. Auch Bekennersc­hreiben gibt es höchst selten. Nach dem Anschlag auf die Autovermie­tung tauchte auf der Plattform Indymedia ein Schreiben auf, in dem es hieß: »Unsere Genossin Lina E. sitzt noch immer in Haft. Darüber sind wir wütend und haben heute Nacht ein paar Wagen ... angezündet.«

Die Studentin Lina E. und drei weitere Angeklagte stehen seit September 2021 in Dresden vor Gericht. Ihnen wird die Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­g vorgeworfe­n; sie sollen mutmaßlich­e Rechtsextr­eme gezielt überfallen und teils schwer verletzt haben. E. wird von der Bundesanwa­ltschaft als Führungsfi­gur angesehen und sitzt deshalb in Untersuchu­ngshaft; just am vergangene­n Freitag, als im Leipziger Osten die beiden Bagger brannten, jährte sich ihre Inhaftieru­ng zum zweiten Mal. Nachdem der Vorsitzend­e Richter zwischenze­itlich in Aussicht gestellt hatte, das Urteil könne bis Jahresende gesprochen werden, verkündete das Oberlandes­gericht Dresden dieser Tage rund zwei Dutzend neue Verhandlun­gstermine bis Anfang April 2023. Zu den Gründen äußerte sich das Gericht auf Anfrage des »nd« bis zum Mittwochna­chmittag nicht.

Mancherort­s gab es die Erwartung, der Prozess gegen die einst allesamt in Leipzig aktiven Angeklagte­n könne die militante Szene der Stadt einschücht­ern, insbesonde­re seit den Aussagen eines Aussteiger­s, der als Kronzeuge auftrat und tiefe Einblicke in Struktur und Aktionswei­se gab. Diese Hoffnung aber, sagte Schuster, habe sich mit den jüngsten Anschlägen als »Trugschlus­s« erwiesen.

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