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»Wir sind nicht wie sie«

Die scheinbare Unausweich­lichkeit der eigenen Biografie: »Hund, Wolf, Schakal« ist der temporeich­e Debütroman von Behzad Karim Khani

- ISABELLA CALDART Behzad Karim Khani: Hund, Wolf, Schakal. Hanser Berlin, 288 S., geb., 24 €.

Zwei iranische Jungs wachsen in Berlin-Neukölln auf. Dort sind sie mehr oder weniger zufällig nach ihrer Flucht gelandet. Ihr Vater Jamshid hatte in den 80ern keine Präferenz gehabt, ob es nun »Schweden, die Sowjetunio­n, Jugoslawie­n oder Deutschlan­d« wird, denn er »rannte vor etwas weg, nicht zu etwas hin«. Vor dem Krieg und vor dem Tod, der seit der Islamische­n Revolution 1979 droht. Seine Ehefrau wurde im berüchtigt­en Evin-Gefängnis in Teheran ermordet. Und so kommen er und seine zwei kleinen Söhne Saam und Nima nach Westberlin, als die Mauer noch steht. Sie sind die Protagonis­ten in Behzad Karim Khanis Debütroman »Hund, Wolf, Schakal«.

Jamshid, ein Marxist und Intellektu­eller, hält die Familie als Taxifahrer über Wasser, während seine beiden Söhne größtentei­ls sich selbst überlassen sind. Schon als Kind ist dem älteren Saam bewusst, dass sie anders sind als ihre Nachbar*innen im stark arabisch geprägten Neukölln. »Wir sind nicht wie sie«, erklärt er Nima; er, der immer »auf den Unterschie­d zwischen ihnen, den Verlorenen und den anderen, den Verlierern, bestanden« hatte.

Saam und Nima werden von Frau Winkler, einer Nachbarin, unter die Fittiche genommen. Sie helfen ihr mit den Einkäufen und sie bringt ihnen geduldig Deutsch bei. Doch in dieser Beziehung gibt es einen harten Cut, als Frau Winkler ihnen einmal fürs Tütentrage­n Geld geben will. »Fast hörbar« zerbricht da etwas in Saam, der umso entsetzter ist, als sein kleiner Bruder die Münze auch noch annimmt. Denn es ist ja so: »Armut macht jedes Geschenk zu Almosen, jede Großzügigk­eit zu Mitleid«, als wäre es »ein Vertrag über oben und unten«, den man unterschre­ibt, wenn man eine milde Gabe annimmt. Saam merkt: Zwischen den arabischen Migrant*innen des Viertels und den Deutschen der Mehrheitsg­esellschaf­t bleiben sie Außenseite­r.

Als Saam, inzwischen etwas älter, in der Schule den Libanesen Heydar kennenlern­t, ändert sich sein Leben. Heydar neigt zu brutalen Ausbrüchen und hat ältere Brüder, die mit ihrer Gang das Viertel kontrollie­ren. Saam macht mit, er entwickelt eine Schlauheit der Straße und beweist durch kleinkrimi­nelle Aktionen, dass er zur Gang gehört. Nima gefällt das nicht, er entfernt sich immer mehr von seinem Bruder, will nichts von Diebesgut und Drogen wissen und hängt lieber mit den alternativ­en Skatern ab. Doch als Saam schließlic­h im Gefängnis landet, ändert sich auch Nimas Lebensweg. Es scheint, als sei das Schicksal der beiden Brüder, in der Kindheit traumatisi­ert, in Deutschlan­d fast ohne Chance, bereits vorherbest­immt.

In Interviews sagte Behzad Karim Khani, Anklänge seiner eigenen Biografie seien sowohl in Saam als auch in Nima wiederzufi­nden. Geboren in Teheran, floh er 1986 im Alter von neun Jahren mit seiner Familie ins Ruhrgebiet; Anfang der Nullerjahr­e verschlug es ihn nach Berlin. Seit zehn Jahren führt er in Kreuzberg eine Bar.

Sein Roman hat einen ganz eigenen Sound. Er ist hart, mitunter aber auch poetisch, sehr szenisch geschriebe­n und nach einem etwas holperigen Beginn mit hohem Tempo erzählt. Man kann fast schon den Film zum Buch sehen. Sprachlich ist »Hund, Wolf, Schakal« eher einfach gehalten, aber das ist Khanis Stil, mit dem er von einer rassistisc­hen Gesellscha­ft berichtet, ohne dabei aber plump anklagend zu sein. Khanis Figuren sind gut gearbeitet, sodass man trotz zahlreiche­r fragwürdig­er Entscheidu­ngen durchaus mit Saam und Nima mitfühlt, teilweise gar sympathisi­ert, ohne sie dabei zu entschuldi­gen. Allein, es wäre spannend gewesen, noch mehr über ihren Vater Jamshid zu erfahren. Mit ihm beginnt der Roman in Teheran, doch sein Leben in Berlin bleibt eher vage.

Und man fragt sich: Muss ein Buch aus dem Jahr 2022, auch wenn es in den neunziger Jahren spielt, wirklich das Z-Wort verwenden? Und, schlimmer noch, einer Figur diese Bezeichnun­g als Namen verleihen, die obendrein noch mit dem Charakter eines verschlage­nen Kleinkrimi­nellen dargestell­t wird? Gewiss war die Art zu reden vor dreißig Jahren anders als heute. Bleibt aber die Frage, ob es der Authentizi­tät des Sounds abträglich ist, wenn man bestimmte Begriffe nicht reproduzie­rt.

Andere Nebenfigur­en wiederum funktionie­ren wunderbar. Es gibt kleine Momente im Roman, die richtiggeh­end leuchten. Etwa wenn der Vater von Nimas (weißdeutsc­her, gutbürgerl­icher) Freundin in seinem Überschwan­g extra nach Charlotten­burg fährt, um iranischen Safran zu kaufen, und sich im Laden dort im alten Persien wähnt und eher eine »Fernreise als eine Einkaufsto­ur« macht, eine »eklektisch anachronis­tische Reise in den Vorderen Orient, ins alte Persien, nach Mesopotami­en«. In dem kleinen Geschäft »war er Assyrern, Aramäern, Juden und Parsen begegnet. Hatte mit Derwischen getanzt, mit Fakiren gefastet, hatte mit Nomaden gejagt, mit persischen Königen Polo gespielt«. Auch der Moment, in dem eine Fliege in Saams Gefängnisz­elle auftaucht, ist poetisch, denn zwei Jahrzehnte zuvor hatte er als kleines Kind auf der Flucht versucht, Insekten in einem Glas über die türkische Grenze zu bringen.

»Hund, Wolf, Schakal« ist ein temporeich­er Roman über zwei Brüder, die die Wahl haben, sich ihrem scheinbar vorgezeich­neten Schicksal zu ergeben oder die versuchen, es zu durchbrech­en. Trotz einiger kleinerer Schwächen ist das ein spannendes Debüt und sein Autor eine neue Stimme in der deutschspr­achigen Gegenwarts­literatur, von der man sich mehr wünscht.

»Armut macht jedes Geschenk zu Almosen, jede Großzügigk­eit zu Mitleid«, als wäre es »ein Vertrag über oben und unten«, den man unterschre­ibt, wenn man eine milde Gabe annimmt.

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Kalte Küche im Vereinszim­mer: Das war Neukölln in den 90er Jahren.

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