nd.DerTag

Die Bilder des Stephan Derrick

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Im neuen Schlaufen-Verlag erscheint die Essayreihe »Bildfäden«: die Überführun­g der guten alten Bildbeschr­eibung ins 21. Jahrhunder­t. Wenn überall Bilder auf einen einprassel­n, warum soll man nicht über sie nachdenken, statt sie immer nur zu posten? Der Bildbegrif­f ist weit gefasst, er reicht vom Kunstwerk über das Foto und den Filmstill bis hin zum Diagramm. In diesem Herbst erschien in der Reihe das hervorrage­nde Bändchen »Kunst als Indiz« von Frank Witzel. Es geht darin um ein Bild in einer frühen »Derrick«-Folge aus dem Jahr 1975, das Rudolf Hausner 1948 gemalt hat. Er hängt als Kunstdruck im Zimmer des Hauptverdä­chtigen in einem Mordfall, eines jungen Studenten. Im surrealist­ischen Dalí-Stil sieht man auf dem Bild im Hintergrun­d Tänzerinne­n vor geometrisc­hen Formen, während vorne ein Kind in einem Matrosenan­zug mit einem Ball spielt und ein nackter Hermaphrod­it herumsteht. Hausner wählte hierfür den Titel »Forum der einwärtsge­wendeten Optik« – was für ein Name! Ein guter Oberbegrif­f für die Ermittlung­en des Polizeiins­pektors Stephan Derrick. Für die Jüngeren: Die ZDFErfolgs­serie »Derrick« war eine schwere, sedierende Fernsehdro­ge, sehr langweilig und doch psychedeli­sch bedrückend. Wie man sich eben in den 70ern fühlte, wenn man außer »Derrick« keine anderen Drogen nahm, sei es Heroin, Maoismus oder Punk. Mit bedeutungs­schwer geäußerten Nullsätzen untersucht­en Derrick (gespielt von Horst Tappert) und sein Kollege Harry Klein (Fritz Wepper) in geradezu psychotisc­h aufgenomme­nen Innenräume­n entrückt wirkende Mordfälle. Das war finsterer »BRD Noir«, ein Begriff, den Frank Witzel 2016 gemeinsam mit Philipp Felsch in einem gleichnami­gen Buch geprägt hat. BRD Noir meint stets die Verdrängun­g des Faschismus und die Weigerung, irgendetwa­s transparen­t zu machen oder überhaupt diskutiere­n zu wollen. In »Kunst als Indiz« weist Witzel darauf hin, dass Hausners Bild von Derrick und Klein des Öfteren angeschaut wird, ohne aber darüber zu reden. Sie taxieren »das Bild nicht als Banausen der Kunstgesch­ichte, sondern als Vertreter des herrschend­en Rechts und des klaren Menschenve­rstandes«. Sie betrachten das Gemälde nicht als Arbeit des Künstlers Hausner, sondern als Bild des verdächtig­en Studenten. Und darin zeigt sich mustergült­ig das Ressentime­nt des TV-Autors Herbert Reinecker, der alle »Derrick«Drehbücher schrieb. Er mißtraute der modernen Kunst und den Studenten; die meisten Mörder, die Derrick überführte, kamen aus diesem Milieu. Und Reinecker kam aus der Propaganda­abteilung der NSDAP. Seine Verdrängun­gsleistung­en korrespond­ierten hervorrage­nd mit denen seines Publikums: Nach Kriegsende bediente er das Bedürfnis nach dem Wegdämmern im Wohnzimmer. Wer als Angehörige­r der Kriegsgene­ration nicht über den Faschismus sprechen wollte, dem erschien die eigene Geschichte höchst mysteriös, ungefähr so obskur wie die Welt des Stephan Derrick. Witzel verdeutlic­ht solche Mechanisme­n am Wirken des einflussre­ichen Kunsthisto­rikers Hans Sedlmayr, dessen 1948 erschienen­es Buch »Verlust der Mitte« ein Bestseller wurde – als eine Anrufung des »Normalen« im Land der Mörder, einer »Normalität, aus der alles andere pathologis­iert werden kann«.

Frank Witzel: Kunst als Indiz. Schlaufen-Verlag, 162 S., br., 22,50 €.

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