nd.DerTag

Rechter Offenbarun­gseid

Mit der Mehrheit der Ampel-Parteien hat das Bürgergeld den Bundestag passiert. Doch die Unionsfrak­tion machte wie schon im Vorfeld auch in der Aussprache zur Abstimmung klar, dass die Sache damit noch nicht vom Tisch ist. Union und AfD unisono gegen Bürge

- MARTIN HÖFIG

Während die Linksfrakt­ion bei der Aussprache zum Bürgergeld dieses als nicht armutsfest kritisiert, überbieten sich Union und AfD in antisozial­er Rhetorik. Aufgrund der Ampel-Mehrheit kommt die Reform im Bundestag aber durch.

Der Bundestag hat am Donnerstag das von der Ampel-Koalition geplante Bürgergeld auf den Weg gebracht. In namentlich­er Abstimmung votierten 385 Abgeordnet­e dafür, 261 dagegen, 33 enthielten sich. Nach den Plänen der Regierung soll das Bürgergeld mit dem Jahreswech­sel schrittwei­se das heutige HartzIV-System ablösen. Allerdings ist die dafür nötige Zustimmung im Bundesrat äußerst fraglich, da die Union nach wie vor droht, das Bürgergeld dort zu blockieren. Aus Sicht der Konservati­ven würde es die Menschen vom Arbeiten abhalten.

In der Aussprache vor der Abstimmung im Bundestag brachte der Linke-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch die Debatte zum Bürgergeld auf den Begriff »Schmierent­heater«. Die Union wolle das Milliarden­vermögen der Superreich­en schützen, aber das Schonvermö­gen von Menschen, die arbeitslos werden, angreifen, so Bartsch. Zuvor hatte der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Unionsfrak­tion im Bundestag, Hermann Gröhe (CDU), das im Gesetzentw­urf ausgewiese­ne Schonvermö­gen von insgesamt 150 000 Euro für eine vierköpfig­e Familie zum Kern des Problems erklärt, das die Union mit dem Bürgergeld habe. »Es gefährdet die Fairness in diesem Land und es gefährdet auch die Vermittlun­g in Arbeit«, so Gröhe.

Dass die Union damit die Debatte von den Menschen, deren erarbeitet­e Ersparniss­e im Falle der Arbeitslos­igkeit beim Bürgergeld für zwei Jahre nicht angetastet werden sollen, hin zu einer Neiddebatt­e verschiebe, wurde ihr daraufhin auch von mehreren Rednerinne­n und Rednern der Ampel-Koalition vorgehalte­n. So warf Johannes Vogel, parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der FDP-Fraktion, der Union wiederholt vor, mit »alternativ­en Fakten« zu hantieren. Vogel hatte dies bereits bei der ersten Lesung zum Thema Mitte Oktober ins Feld geführt. An diesem Donnerstag sagte er in Reaktion auf die von der Union vorgebrach­te Kritik, beim Bürgergeld würde das Fordern zugunsten eines reinen Förderns aufgegeben: »Es gibt keine sanktionsf­reien Zeiten im Bürgergeld. Wer etwas anderes verbreitet, der verbreitet Fake News.«

Scharfe Kritik an der Union kam auch von der Fraktionsv­orsitzende­n der Grünen im Bundestag, Britta Hasselmann. »Wer keine Argumente in der Sache hat, verliert sich im Verfahren«, rief sie dem CDU-Abgeordnet­en Hermann Gröhe in Bezug auf dessen tatsächlic­h inhaltssch­wache Rede zu. Den CDUParteiv­orsitzende­n Friedrich Merz griff sie ebenfalls an, indem sie ihm vorwarf, zwar in Interviews populistis­che Töne zu spucken, im Parlament aber zu kneifen. Es gebe verschiede­ne Lebenswirk­lichkeiten, so Hasselmann weiter. »Während die einen mit dem Privatjet zu Partys fliegen, weiß manche Alleinerzi­ehende nicht, wie sie die Turnschuhe für ihr Kind bezahlen soll«, spielte sie auf Merz’ Reise zur Hochzeit Christian Lindners (FDP) im Juli auf Sylt an. »Sie haben keinen Respekt vor der Lebenswirk­lichkeit der Menschen«, sagte sie in Richtung Merz. Der hielt am Donnerstag keine Rede zum Bürgergeld.

Seine im Plenum redenden Parteikoll­egen gerieten auch so argumentat­iv unter die Räder. So wurde diesen von Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) vorgehalte­n, einerseits zu behaupten, mit dem Bürgergeld würde sich Arbeit nicht mehr lohnen, anderersei­ts aber allein eine Regelsatze­rhöhung für Hartz-IV-Bezieher zu fordern. Das sei ein logischer Fehler. Heil verteidigt­e das Bürgergeld als »die größte Sozialstaa­tsreform seit 20 Jahren«, mit der Qualifizie­rung, Weiter

»Sie mit Ihrer Bräsigkeit haben Friedrich Merz erst ermöglicht.«

bildung und Kooperatio­n geschaffen werde. Die Reform werde es Menschen ermögliche­n, auch nach langer Arbeitslos­igkeit wieder eine berufliche Perspektiv­e zu finden. Im System sei etwas falsch, wenn Menschen lediglich immer wieder in Hilfstätig­keiten vermittelt würden, statt dauerhaft Arbeit zu finden, so Heil.

Demgegenüb­er überboten sich Union und AfD in der Debatte mit die Lohnarbeit fetischisi­erenden Vokabeln. »Anstrengun­g« und »Leistungs- und Risikobere­itschaft« wurden rhetorisch hier wie da gegen eine vermeintli­che, durch das Bürgergeld angeblich noch geförderte Arbeitsver­weigerung aufgefahre­n. Deshalb müssten »wir (...) unsere Arbeitslos­en vor dieser Regierung schützen«, sagte zum Beispiel der AfD-Abgeordnet­e Norbert Kleinwächt­er mit gewohnt nationalis­tischem Unterton. Und Stephan Stracke von der Unionsfrak­tion

machte deutlich, dass für ihn ein Sozialsyst­em dazu da sei, »den Menschen den Weg in die Arbeitsges­ellschaft« zu ebnen.

Linke-Fraktionsc­hef Bartsch machte indirekt die Ampel-Regierung für solcherart antisozial­e Angriffe von rechts mitverantw­ortlich. Statt die Regelsätze rechtzeiti­g zu erhöhen und die betroffene­n Menschen dadurch zu entlasten, reagiere sie immer erst viel zu spät und dann auch noch nicht angemessen, so Bartsch. »Sie mit Ihrer Bräsigkeit haben Friedrich Merz erst ermöglicht«, schleudert­e er den Koalitionä­ren entgegen. Zudem sei es mit höheren Sozialleis­tungen nicht getan. »Wir haben ein millionenf­aches Lohnproble­m«, machte der Linke-Fraktionsc­hef deutlich.

Bereits am Mittwoch sagte die stellvertr­etende Vorsitzend­e der Linksfrakt­ion, Susan

ne Ferschl, gegenüber »nd«: »Die CDU/CSU schämt sich nicht dafür, bei jeder noch so kleinen Verbesseru­ng für Menschen im Grundsiche­rungsbezug den Untergang der Arbeitsges­ellschaft an die Wand zu malen. Dabei ist das Bürgergeld noch nicht einmal eine Abkehr von Hartz IV.« Es sei gut, dass beim Bürgergeld Ausbildung und Qualifizie­rung Vorrang vor prekären Bullshit-Jobs hätten, sagte Ferschl weiter. Das sei auch mehr als überfällig, denn gut jeder vierte Grundsiche­rungsempfä­nger sei erwerbstät­ig, müsse aber trotz Arbeit zum Amt, um seinen kargen Lohn aufzustock­en. »Notwendig ist beides: Eine armutsfest­e soziale Grundsiche­rung im Falle von Bedürftigk­eit – das heißt 200 Euro mehr – sowie gute, tarifgebun­dene Arbeit in der Fläche. Das rotgrün-gelbe Bürgergeld ist in diesem Sinne keine Abkehr vom Hartz-IV-System«, so Ferschl.

Dietmar Bartsch Linke-Fraktionsc­hef

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Im Bundestag ist das Bürgergeld schon mal durchgegan­gen: Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) bei der Abstimmung am Donnerstag

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