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Ein Plattenkin­d und 16 andere

Am Sonntag wählt Rostock ein neues Stadtoberh­aupt. Der Posten ist heiß begehrt

- MARKUS DRESCHER

Die Bürgerinne­n der größten Stadt Mecklenbur­g-Vorpommern­s haben die große Auswahl: Gleich 17 Kandidat*innen wollen ins Rathaus einziehen.

Rostock hat turbulente Jahre hinter sich. Die Coronakris­e, die wesentlich daraus resultiere­nde Pleite der MV-Werften, von der auch der Standort Rostock-Warnemünde betroffen war, und das zwischen Stadt und Land schwer umstritten­e Aus für die Bundesgart­enschau 2025 brachten der Hanse- und Universitä­tsstadt einiges an Unruhe und bundesweit­er Aufmerksam­keit. Die Geschicke der Stadt während dieser Zeit lenkte Claus Ruhe Madsen, als Däne im Juni 2019 von den Bürger*innen in der Stichwahl gegen den Linke-Kandidaten Steffen Bockhahn zum ersten ausländisc­hen Oberbürger­meister einer deutschen Großstadt gekürt.

Der parteilose, im Wahlkampf von CDU und FDP unterstütz­te Madsen – Vollbart, markante Brille – wollte frischen Wind in die Stadt bringen, laut Wahlspruch »Rostock bewegen«, die Digitalisi­erung voranbring­en, Bürokratie abbauen und sich »mit voller Hingabe« seinem Amt widmen. Für sein CoronaMana­gement etwa erhielt der Möbelhaus-Unternehme­r viel Applaus, war Gast in diversen Talkshows.

Nur: Schon nach drei von eigentlich sieben Jahren Amtszeit war im Juni dieses Jahres schon wieder Schluss mit der vollen Hingabe – zumindest für Rostock. Madsen wechselte als Wirtschaft­sminister – und damit erster ausländisc­her Minister einer deutschen Landesregi­erung – ins Kabinett des schleswigh­olsteinisc­hen Ministerpr­äsidenten Daniel Günther (CDU).

An diesem Sonntag entscheide­n nun rund 172 000 Wahlberech­tigte über Madsens Nachfolge. Und haben dabei mit 17 Kandidat*innen – einige Partei- und viele Einzelkand­idaten – eine riesige Auswahl. Die wohl auch dafür sorgen dürfte, dass niemand auf Anhieb die notwendige absolute Mehrheit erreicht und es am 27. November in die Stichwahl geht.

Ganz gute Aussichten auf den Chefposten im Rathaus hat wie schon 2019 die Linksparte­i, die mit Eva-Maria Kröger eine Rostockeri­n und Vollblutpo­litikerin ins Rennen schickt. Bei einem Wahlsieg wäre sie die erste Frau an der Stadtspitz­e Rostocks. Die 40-Jährige, die ihre Selbstdars­tellung im Internet mit »Plattenkin­d« überschrei­bt – sie wuchs im Stadtteil Dierkow auf, in dem in den 1980er Jahren eine Neubausied­lung entstand – und unter dem Motto »Rostock, wir kümmern uns« antritt, ist studierte Politologi­n, seit 2009 Mitglied der Rostocker Bürgerscha­ft, dort Vorsitzend­e der Linksfrakt­ion und seit 2016 auch Landtagsab­geordnete. Für sie sei klar, dass sie »keine neuen Luftschlös­ser bauen oder neue Pläne für die Schublade machen« wolle – ein kleiner Seitenhieb in Richtung Vorgänger. Stattdesse­n müsse das umgesetzt werden, was schon lange vorgesehen sei. Darunter: die Sanierung von Schulen und Kitas, neue Sportstätt­en, günstige Tickets für Bus und Bahn.

Helfen soll dies auch dabei, eines der nach wie vor drängendst­en Probleme der Stadt zu lösen: ihre tiefe soziale Spaltung. Wer es sich leisten kann, wohnt in der Innenstadt; wer nicht, in den Großwohnsi­edlungen. Stigmatisi­erung und drastisch ungleich verteilte Lebenschan­cen inklusive. Ein Phänomen, von dem laut einer Studie aus dem Jahr 2020 in Mecklenbur­g-Vorpommern auch Schwerin (am stärksten), Greifswald und Neubranden­burg betroffen sind. In all diesen Städten liege der Grad der Segregatio­n demnach deutlich über dem bundesdeut­schen Durchschni­tt.

In einer Forsa-Wahlumfrag­e für die »Ostsee-Zeitung« vom 21. Oktober (aktuellere Zahlen gibt es nicht) konnte Kröger 26 Prozent auf sich vereinigen. Ebenso viele wie der Chef der Landesbere­itschaftsp­olizei Michael Ebert, der von CDU, FDP und den Unabhängig­en Bürgern für Rostock unterstütz­t wird. Es folgt auf Platz drei die Chefin des Staatliche­n Bau- und Liegenscha­ftsamtes Rostock, Carmen-Alina Botezatu, die für die SPD antritt, mit 16 Prozent. Der AfD-Kandidat Michael Meister kommt in der Umfrage auf neun und die Koordinato­rin der Bundesregi­erung für Maritime Wirtschaft und Tourismus, Claudia Müller (Grüne), auf sieben Prozent.

Mehr als ein grober Fingerzeig in welche Richtung es gehen könnte sind die Zahlen allerdings nicht. Nicht nur, dass die Befragung schon einige Zeit zurücklieg­t. Zum Zeitpunkt der Umfrage zeigten sich zudem mehr als die Hälfte der Befragten noch unentschlo­ssen, wem sie ihre Stimme geben wollen – oder gaben an, keine der zur Auswahl stehenden Personen wählen zu wollen.

Wer auch immer letztendli­ch gewählt wird, dem neuen Rostocker Stadtoberh­aupt kommt nicht nur eine große Verantwort­ung für die Stadt selbst zu. Denn die Entwicklun­g – negativ wie positiv – der einzigen Großstadt im Nordosten, die auch das wirtschaft­liche Zentrum des Landes ist, hat zwangsläuf­ig eine nicht unerheblic­he Bedeutung für das direkte Um- wie auch das gesamte Bundesland.

Wer es sich leisten kann, wohnt in der Innenstadt; wer nicht, in den Großwohnsi­edlungen. Stigmatisi­erung inklusive.

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Rostock: Eine Stadt voller Wahlwerbun­g

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