nd.DerTag

Zuverlässi­g unversöhnl­ich

Werner Schulz blieb als Bürgerrech­tler Stachel im Fleisch auch der Grünen

- UWE KALBE

Werner Schulz war für viele Grüne jahrelang ein unbequemer Parteikoll­ege, der es gewohnt war, als Außenseite­r behandelt zu werden. Nun ist der Ostdeutsch­e im Alter von 72 Jahren gestorben.

Die Grünen haben den letzten DDR-Bürgerrech­tler in ihren Reihen verloren, jedenfalls ihren letzten vergleichb­ar prominente­n. Werner Schulz brach am Mittwoch bei einer Veranstalt­ung im Amtssitz des Bundespräs­identen zusammen, ausgerechn­et bei einer Veranstalt­ung zum 9. November. Dieses Datum hatte er selbst einst vorgeschla­gen, zum deutschen Nationalfe­iertag zu erheben. Statt des 3. Oktober als Tag der Einheit den 9. November, der so befleckt von den Spuren der deutschen Geschichte ist. Schulz blieb ungehört. Die alljährlic­he Begeisteru­ng über die Höhen der eigenen Vergangenh­eit mit dem Blick auf ihre Abgründe zu trüben, diese Art Therapieve­rsuch widersprac­h den allgemeine­n Vorstellun­gen von einem deutschen Feiertag. Nun ist der Tag zum Todesdatum von Schulz geworden.

Werner Schulz war es gewohnt, als Außenseite­r behandelt zu werden. Und er hatte nichts dagegen. Der Titel Bürgerrech­tler sei ihm nicht verliehen worden, sagte er einmal im nd-Interview. Er habe ihn sich erkämpft. »Bürgerrech­tler« ist freilich keine zuverlässi­ge politische Identifizi­erung. Die Bürgerrech­tler der DDR landeten in den verschiede­nsten Parteien, nachdem der Gegenstand ihrer gemeinsame­n Ermächtigu­ng verschwund­en war, die DDR, die einige von ihnen – reformiert – sogar gern behalten hätten. Auch Werner Schulz bekannte seine Enttäuschu­ng darüber, dass der Verfassung­sentwurf für eine neue deutsche

Republik, an dem er mitgearbei­tet hatte, ungenutzt zu den Akten gelegt wurde, weil die Einheit keine Vereinigun­g zweier Partner, sondern ein Anschluss der DDR an die BRD war.

Links-rechts-Zuschreibu­ngen belächelte Schulz. Doch als einer der ersten seiner Partei sprach er sich für eine Zusammenar­beit mit den Unionspart­eien aus, und zeitlebens blieb er einer der schärfsten Kritiker der Linken, deren Quellparte­i PDS er als gehäutete SED ansah. Schon 1993 sprach sich Schulz für eine militärisc­he Einmischun­g in den Bosnien-Krieg aus und war damit seiner Partei weit voraus, die damals noch am Anfang der Metamorpho­se vom Pazifismus zum Bellizismu­s stand. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin war für Schulz seit jeher Feindbild.

Auf der anderen Seite widersetzt­e Werner Schulz sich den Hartz-Gesetzen wie den Gesundheit­s

und Rentenrefo­rmen, die seine Partei als Regierungs­partner der SPD von 1998 bis 2005 mittrug, und kritisiert­e sie als Verarmungs­programme für große Teile der Bevölkerun­g, besonders der ostdeutsch­en. Als einziger Abgeordnet­er seiner Fraktion stimmte er den Hartz-IV-Gesetzen nicht zu. Als Kanzler Gerhard Schröder 2005 in einer sogenannte­n unechten Vertrauens­frage im Bundestag Neuwahlen herbeiführ­te, klagte Schulz vor dem Bundesverf­assungsger­icht gegen diesen Coup zum Machterhal­t. Schulz scheiterte vor Gericht und Schröder bei der folgenden Wahl an der Union von Angela Merkel.

Werner Schulz hatte den Parteiname­n Bündnis 90/Die Grünen 1991 in den Fusionsver­handlungen der DDR-Bürgerrech­tler mit den Westgrünen durchgeset­zt – Reihenfolg­e inbegriffe­n. Immerhin hielten seit 1990 acht ostdeutsch­e Bündnisgrü­ne die Stellung im Bundestag, während die westdeutsc­hen Grünen an der Fünf-Prozenthür­de gescheiter­t waren; Werner Schulz war Sprecher und Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Bundestags­gruppe. Als 1994 die Grünen als gesamtdeut­sche Partei in den Bundestag zurückkehr­ten, musste Schulz dem Parteiguru Joschka Fischer den Fraktionsv­orsitz abtreten.

»Mephisto« wurde er in einer Mitglieder­zeitschrif­t der Grünen einmal genannt. Werner Schulz überrascht­e und polarisier­te, stieß Freund und Feind vor den Kopf. Als Bürgerrech­tler renne man »immer als das schlechte Gewissen der anderen rum«, lautete ein Satz von ihm. Politische Schritte plante er wie Schlachtor­dnungen, scheinbar unbekümmer­te Verstöße gegen Konvention­en waren präzise formuliert und zeitlich optimiert. Ein begnadeter Redner, zog Schulz das Publikum in feinstem Sächsisch in seinen Bann. Doch nie konnte er auf dem Ticket eines Netzwerkes reisen, immer hing alles von seiner eigenen Durchsetzu­ngskraft ab. 2005 schaffte er es nach dem Aufstand gegen Schröder und damit gegen die eigene Parteiführ­ung nicht auf die Kandidaten­liste zum Bundestag. 2009 eroberte er einen Platz im Europaparl­ament, indem er teils gestandene Konkurrent­en mit einer zündenden Parteitags­rede aus dem Feld schlug.

2014 versuchte er es nicht wieder. Dennoch befand er sich im Einklang mit seiner Partei. Er habe immer gewollt, dass diese eine unideologi­sche Partei ist, sagte er einmal dem »nd«. »Ich habe die Nase voll von Ideologien.« Ökologie wie auch Bürgerrech­te lägen »quer zu allen Ideologien«. Die Grünen, eine Partei der Mitte? »Genau.«

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Werner Schulz in seiner Zeit als Europaabge­ordneter für Bündnis 90/Die Grünen

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