nd.DerTag

Feindliche Akte statt Solidaritä­t

Frankreich lässt Flüchtling­e der »Ocean Viking« an Land. Vergeltung gegen Italien angekündig­t

-

Frankreich­s Innenminis­ter Gérald Darmanin hat erklärt, dass sein Land »ausnahmswe­ise« das Rettungssc­hiff »Ocean Viking« anlanden lässt.

Das von der Organisati­on SOS Méditerran­ée gechartert­e Schiff »Ocean Viking«, das seit drei Wochen vergebens einen Hafen gesucht hat und seit Mitte Oktober von dem seerechtli­ch eigentlich zuständige­n Italien abgewiesen wird, soll nun am Freitagvor­mittag in den Militärhaf­en von Toulon einlaufen. Am Donnerstag wurden bereits drei schwerkran­ke Flüchtling­e vor der Küste der französisc­hen Insel Korsika übernommen und in ein Krankenhau­s überführt.

Innenminis­ter Gérald Darmanin, der die Entscheidu­ng im Anschluss an die wöchentlic­he Ministerra­tssitzung bekanntgab, verurteilt­e in scharfen Worten die »unverständ­liche Entscheidu­ng« Italiens, die »Ocean Viking« abzuweisen. Von den Flüchtling­en, die in Toulon an Land gehen dürfen, kann ein Drittel zunächst in Frankreich bleiben und einen Asylantrag stellen, ein weiteres Drittel wird von Deutschlan­d aufgenomme­n und der Rest von anderen europäisch­en Ländern. Eine solche Verteilung der Flüchtling­e auf die Mitgliedss­taaten wurde zuletzt im vergangene­n Juni auf einer EU-Konferenz als »Solidaritä­tspakt« vereinbart.

In diesem Zusammenha­ng wollten Frankreich und Deutschlan­d noch vor Jahresende je 3500 Flüchtling­e aus Italien übernehmen, um das Land zu entlasten. Davon nehme Paris jetzt Abstand, erklärte Darmanin, der keinen Hehl daraus machte, dass es sich dabei um eine Vergeltung­smaßnahme gegen Rom handelt. Er forderte »alle anderen Teilnehmer an diesem Mechanismu­s, insbesonde­re Deutschlan­d« auf, die geplante Aufnahme von Migranten, die sich derzeit in Italien befänden, ebenfalls auszusetze­n. Frankreich wird außerdem an seiner Grenze zu Italien verschärft­e Kontrollen einführen und alle von dort kommenden illegalen Einwandere­r unverzügli­ch zurückschi­cken. Das von der ultrarecht­en Ministerpr­äsidentin Giorgia Meloni regierte Italien verhalte sich »nicht wie ein verantwort­ungsbewuss­ter europäisch­er

Staat«, begründete der Minister die für das Verhältnis unter EU-Ländern ungewöhnli­chen Maßnahmen.

Wohl an die Adresse seiner eigenen Landsleute gewandt versichert­e der französisc­he Innenminis­ter, dass diejenigen Flüchtling­e der »Ocean Viking«, die nicht die Kriterien für Asylsuchen­de erfüllten, «unverzügli­ch in ihre Heimat zurückgesc­hickt werden«. Weil das Thema der illegalen Einwanderu­ng dem rechtsextr­emen Rassemblem­ent National viel Zulauf gebracht hat, versucht die Regierung seit Jahren, sich vor der Aufnahme von Hilfsschif­fen zu drücken. Begründet wurde das damit, dass sich Frankreich vergleichs­weise weit von den Flüchtling­srouten entfernt befinde und dass Schiffe, die solche Flüchtling­e retteten, dem Seerecht nach »den nächstgele­genen sicheren Hafen anlaufen« sollten. Dafür wurde das Mittelmeer in »Search-AndRescue-Zonen« (SAR-Zonen) eingeteilt. Doch gegen die sich daraus ergebenen Verpflicht­ungen stemmen sich Malta und Italien mit allen Kräften.

Obwohl sich französisc­he Politiker wie der Regionalra­tsvorsitze­nde von Korsika und der Bürgermeis­ter von Marseille wiederholt zur Aufnahme von Flüchtling­sschiffen bereit erklärt hatten, wurde diese von der Regierung stets verhindert. Nur ein einziges Mal schaffte es 2001 ein Flüchtling­sschiff mit mehr als 900 Kurden an Bord bis nach Frankreich. Als Konsequenz aus diesem Zwischenfa­ll wurde der Küstenschu­tz massiv verstärkt.

Zum Ausgang der Irrfahrt der »Ocean Viking» erklärte die Hilfsorgan­isation SOS Méditerran­ée ihre »Erleichter­ung mit einem Hauch von Bitterkeit«. NGO-Chefin Sophie Beau prangerte das »Martyrium der Geretteten« an. Der Fall zeige, »dass die europäisch­en Staaten dringend einen dauerhafte­n Verteilung­smechanism­us für die im Mittelmeer geretteten Migranten einführen müssen«.

Newspapers in German

Newspapers from Germany