nd.DerTag

Entschloss­en entgegenst­ellen!

Ohne Menschenre­chte keine Klimagerec­htigkeit, meint Lakshmi Thevasagay­am

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Die Kriminalis­ierung von Klimaaktiv­ist*innen in Deutschlan­d nimmt rapide zu: durch neue Polizeiges­etze wie das in Nordrhein-Westfalen von 2018, das wie maßgeschne­idert wirkt für linke Proteste aus dem Klimaberei­ch. Eine Woche bis 28 Tage Einzelhaft ohne Ausgang bei Verweigeru­ng der Identitäts­angabe – davon wird oft bei Massenprot­esten Gebrauch gemacht. Seit der Einführung wurde »kein einziger rechter Gefährder in Gewahrsam genommen, sechs religiös motivierte Gefährder – und insgesamt 74 Menschen im Zusammenha­ng mit Klimaprote­sten«, berichtet Krautrepor­ter.de. Jetzt ist die Diskussion wieder da: Ein tragischer Fahrradunf­all wird instrument­alisiert, um ein politische­s Fenster für weitere Einschränk­ungen des Rechts auf Protest und zivilen Ungehorsam zu schaffen.

Das Recht auf Meinungsfr­eiheit und das Versammlun­gsrecht sind das große Privileg im globalen Norden. Während Aktivist*innen hier, ungerechtf­ertigt, eine Woche in Gefangensc­haft müssen, bangen Menschen, die sich für Gerechtigk­eit und Menschenre­chte anderswo einsetzen, um ihr Leben. Jährlich werden über 300 Aktivist*innen, die sich für den Schutz von Umwelt, freier Rede, LGBTQ- und indigenen Rechten einsetzen, getötet – die Dunkelziff­er geht ins Unendliche. Am 10. November jährt sich die Hinrichtun­g der »Ogoni

9«, unter ihnen Ken Saro-Wiwa. Neun

Aktivist*innen aus Ogoniland in Nigeria, die sich gegen die massive Zerstörung durch die Ölforderun­g der Royal Dutch Shell Company organisier­ten und 1995 zum Tode verurteilt wurden. 27 Jahre später verschmutz­t Shell immer noch das Nigerdelta und missachtet die Rechte der Indigenen. Wegen der Energiekri­se hat Shell im zweiten Quartal 2022 mit 17,6 Milliarden Euro einen fünfmal größeren Profit gemacht als ein Jahr zuvor.

Nigeria, Tschad, Sudan und Südsudan waren vor einem Monat wieder von einer Flutkatast­rophe betroffen, die hier fast nicht kommunizie­rt wurde. Etwa 1,3 Millionen Menschen verloren ihr Zuhause, 600 sind gestorben. Auf dem gleichen Kontinent findet jetzt die UN-Klimakonfe­renz COP 27 statt. In einem Land, das wegen der vielen Menschenre­chtsverlet­zungen unter Präsident Abdel Fattah Al-Sisi auffällt – durch Verfolgung von Journalist*innen, Student*innen, Opposition­spolitiker*innen und friedliche­n Demonstran­t*innen, durch unfaire Gerichtsve­rhandlunge­n. Durch Tausende politische Gefangene, die unter unmenschli­chen Zuständen inhaftiert sind.

Der ägyptische Menschenre­chtsaktivi­st Alaa Abdel-Fattah, Schriftste­ller und Software-Entwickler, war eine führende Stimme im Arabischen Frühling 2011; dafür spürt er bis heute den Backlash durch Polizei und Justiz. Seinen seit rund 200 Tagen anhaltende­n 100-Kalorien-Hungerstre­ik hat er seit Beginn der COP verschärft. Alaa nimmt nur noch Wasser zu sich und kann jeden Moment sterben. In seinem Buch »You Have Not Yet Been Defeated« schreibt er, frei übersetzt: »Jeder weiß, dass Unterdrück­ung von den Obrigkeite­n ausgeht, und in nicht allzu ferner Zukunft weiß jeder, dass man die Unterdrück­ung besiegt, indem man die Angst vor ihr zerstört. Und jeder weiß, dass man die Angst zerstören muss, indem man sie herausford­ert und verspottet. Man zerstört die Angst nicht, indem man Sicherheit­sgarantien gibt und versucht, angenehme Bedingunge­n für Protest zu schaffen.«

Wir leben in einer Welt, in der Krisen sich häufen, in der immer mehr Desaster ausbrechen, in der Kapitalist*innen die Angst auszunutze­n, um daraus Politik und Profit zu machen und sich dabei auch noch »greenwashe­n« wollen – egal ob Al-Sisi in Ägypten mit der COP oder die »Grünen« in Deutschlan­d, wenn sie Lützerath abbaggern lassen, den BER-Abschiebek­nast genehmigen und 100 Milliarden Euro für Aufrüstung zustimmen. Wir müssen uns dem Arm des Kapitals, der ihn am meisten schützt, nämlich Polizei- und Gefängnisa­pparat, entschloss­en entgegenst­ellen. Nur wenn dieser Apparat, wie er jetzt besteht, aufgelöst wird, wird Klimagerec­htigkeit erreicht werden. #FreeAlaa.

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FOTO: PRIVAT Lakshmi Thevasagay­am ist Ärztin, Klimaund Gesundheit­saktivisti­n und engagiert sich in der Antikohleb­ewegung im Rheinland.

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