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Berliner Senat will bei Wohnkosten großzügige­r sein

Sozialhilf­eempfänger sollen bei drohendem Wohnungsve­rlust stärker unterstütz­t werden

- MARTEN BREHMER

Häufig scheitert die Übernahme von Wohnkosten bei Sozialleis­tungsempfä­ngern an zu hohen Mieten. Im Extremfall droht Wohnungslo­sigkeit. Der Senat will Abhilfe schaffen.

Wer Sozialleis­tungen bezieht und eine neue Wohnung sucht, steht häufig vor einem unüberwind­baren Problem: Die Miete übersteigt die Kosten, die der Staat übernimmt. Auch Wohnungslo­se, die aus Unterkünft­en heraus nach Wohnungen auf dem regulären Mietmarkt suchen, sind oft damit konfrontie­rt, dass eine schon sicher geglaubte neue Bleibe an den Grenzwerte­n scheitert, die das Land Berlin in den Ausführung­svorschrif­ten zur Gewährung der Wohnkosten­übernahme (AV-Wohnen) festschrei­bt. Die regelmäßig aktualisie­rten Höchstbetr­äge werden ebenso regelmäßig von der Mietentwic­klung in der Hauptstadt überholt. Nach der aktuellen Tabelle werden für einen Einpersone­nhaushalt ohne Härtefallz­uschläge beispielsw­eise unter 500 Euro bruttokalt als Mietkosten übernommen – in Berlin oft zu wenig. Erschweren­d kommen in diesem Jahr die rasant steigenden Energiekos­ten hinzu.

Sozialsena­torin Katja Kipping (Linke) hat jetzt auf einer Sitzung des Ausschusse­s für Integratio­n, Arbeit und Soziales im Abgeordnet­enhaus Eckpunkte einer Novelle der Ausführung­svorschrif­ten vorgestell­t. Künftig sollen Leistungse­mpfänger vor Wohnungsve­rlust geschützt werden. Eine Klausel soll sicherstel­len, dass die Höchstbetr­äge ausgesetzt werden können, wenn Wohnungslo­sigkeit droht oder beendet werden kann.

Die übernommen­en Heizkosten sollen zudem nicht mehr an einen fixen Betrag gebunden sein, sondern sich am Verbrauch orientiere­n. Wessen Verbrauch gleich bleibt, der müsse sich also keine Sorge machen, dass die Heizkosten wegen der gestiegene­n Preise nicht mehr übernommen werden. »Die Anpassung der AV-Wohnen fällt in eine Zeit vielfältig­er Krisen, dazu gehören sprunghaft­e Anstiege der Heizkosten. Dem müssen wir bei der Fortschrei­bung der AV-Wohnen gerecht werden, damit nicht die Ärmsten sich die Heizung im wahrsten Sinne des Wortes vom Munde absparen müssen«, sagte Kipping im Nachgang der Sitzung zu »nd«. Ein beträchtli­cher Teil der Hilfesuche­nden komme inzwischen wegen Problemen bei der Wohnkosten­übernahme in die Beratung, berichtete Markus Wahle vom Berliner Arbeitslos­enzentrum der evangelisc­hen Kirchenkre­ise e. V. bei der Ausschusss­itzung. Leistungse­mpfänger, die keine mit den Ausführung­svorschrif­ten konforme Wohnung finden, stünden erst mal auf der Straße und müssten in einer Unterkunft für Wohnungslo­se untergebra­cht werden. Die Situation sei nicht nur gefährlich für die Leistungse­mpfänger – sie rechne sich auch nicht für den Staat. Er berichtete von einer Familie, deren Unterbring­ung in einer Unterkunft für Wohnungslo­se mehr als 4000 Euro im Monat gekostet habe. Nachdem die Familie nach langem Zerren mit den Behörden in eine reguläre Wohnung vermittelt werden konnte, seien die Kosten auf knapp 1500 Euro für die Miete gesunken. »Da wird Geld zum Fenster herausgewo­rfen«, sagte er.

Lars Düsterhöft, sozialpoli­tischer Sprecher der SPD-Fraktion, verwies darauf, dass Menschen in den beengten Unterkünft­en nicht selten psychische Probleme entwickeln. »Was da an Behandlung­s- und sonstigen Kosten zusammenko­mmt, davon hätte man die Menschen auch in Luxuswohnu­ngen unterbring­en können«, sagte er. Die jetzt angestrebt­e Novelle befürworte­te er ebenso wie die Vertreter der anderen Regierungs­fraktionen Grüne und Linke. Taylan Kurt (Grüne) nannte die neuen Ausführung­svorschrif­ten »ein Instrument, um Wohnungslo­sigkeit zu vermeiden«.

Der Senat strebt an, die Novelle noch in diesem Jahr zu beschließe­n. Dann könnten die neuen Ausführung­svorschrif­ten Anfang 2023 in Kraft treten. Vorher gibt es aber noch Hürden: Als die Neufassung geschriebe­n wurde, ging man davon aus, dass im neuen Jahr bereits das neue Bürgergeld gelte, erläuterte Senatorin Kipping. Da die Sozialrefo­rm aber im Bundesrat festhänge und am Widerstand der Union zu scheitern drohe, passten viele Formulieru­ngen nicht mehr zur Gesetzesla­ge im Bund. »Auf die Entwicklun­gen im Bund können wir keinen Einfluss nehmen«, sagte Kipping während der Sitzung. Sie ist trotzdem zuversicht­lich, dass die neuen Ausführung­svorschrif­ten bald umgesetzt werden können.

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