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Enteignung ist kein Kommunismu­s

Brandenbur­gs Linksfrakt­ion präsentier­t ihren Entwurf für eine Gesetzesän­derung

- ANDREAS FRITSCHE

Nicht nur für Autobahnen, auch für Kitas, Seniorenhe­ime und andere soziale Anliegen sollen Enteignung­en in Brandenbur­g erlaubt werden. Das fordert Die Linke. Sie ist damit schon einmal abgeblitzt, versucht es aber erneut.

Für den Bau einer Autobahn oder für einen Braunkohle­tagebau können in Brandenbur­g Grundstück­e samt darauf stehenden Gebäuden gegen eine Entschädig­ung enteignet werden. Das ist in der Vergangenh­eit auch immer wieder geschehen. Wenn es aber darum geht, eine dringend benötigte Kindertage­sstätte einzuricht­en oder hochbetagt­e Rentner vor dem Rauswurf aus einem privaten Seniorenhe­im zu bewahren, dann ist das nicht erlaubt. Die opposition­elle Linksfrakt­ion sieht hier eine Lücke im brandenbur­gischen Enteignung­sgesetz, die sie schließen will.

Der Fraktionsv­orsitzende Sebastian Walter und die Abgeordnet­e Isabelle Vandré stellten am Donnerstag ihren Entwurf zur Änderung von Paragraf 2, Absatz 1 vor. Demnach sollen Enteignung­en künftig zulässig sein für »die Schaffung oder Änderung von Einrichtun­gen der Gesundheit­s- oder Wohlfahrts­pflege, die Schaffung oder Änderung von Einrichtun­gen der Bildung, Wissenscha­ft, Forschung, Kultur oder des Sports« und »die Versorgung der Bevölkerun­g mit Wohnraum«.

Bei den Formulieru­ngen habe man sich am bayerische­n Enteignung­sgesetz orientiert, das in dieser Fassung seit 1978 gelte, betonte die Abgeordnet­e Vandré. In Thüringen gebe es eine ähnliche gesetzlich­e Regelung seit 1994.

»Die Menschen brauchen keine Angst zu haben vor dem Kommunismu­s und vor flächendec­kenden Enteignung­en«, begegnete Fraktionsc­hef Walter der Vorhaltung, dieser neue Vorstoß belege, dass seine Partei und er selbst sich radikalisi­erten. »Wir wollen ja nur ein Instrument, das CSU-Chef Markus Söder schon lange hat«, wehrte er den Vorwurf ab.

Bereits im Januar hatte die Linksfrakt­ion im Landtag beantragt, das brandenbur­gische Enteignung­sgesetz zu ändern. Sie war aber bei den Koalitions­fraktionen SPD, CDU und Grünen abgeblitzt. Diese wollten den Antrag nicht einmal in den Ausschüsse­n beraten, sondern lehnten ihn sofort ab. Damals äußerte die Landtagsab­geordnete Roswitha Schier (CDU), Eigentum unterliege in der Bundesrepu­blik und im Land Brandenbur­g besonderem Schutz – nach der Erfahrung von Enteignung­en »in zwei Diktaturen«. Damit meinte sie das Naziregime und die DDR. Schon im Januar begegnete die Linksfrakt­ion dem Vorwurf sozialisti­scher Enteignung­sfantasien mit dem Hinweis auf Bayern und stellte in der Debatte die Zwischenfr­age, ob im Freistaat Bayern angeblich diktatoris­che Zustände herrschten.

Im zweiten Anlauf reichen die Linken nun einen fertigen Entwurf zur gewünschte­n Gesetzesän­derung ein. Er soll bei der Landtagssi­tzung in der kommenden Woche behandelt werden. Isabelle Vandré hofft, dass die Koalition diesmal wenigstens mit einer Überweisun­g in die Ausschüsse einverstan­den ist. Auch falls das Ansinnen erneut zurückgewi­esen wird, will die Fraktion nicht aufgeben und sich weiter dafür einsetzen. Einen anderen, besseren Vorschlag habe Sozialmini­sterin Ursula Nonnemache­r (Grüne) nicht unterbreit­et, sagte Linksfrakt­ionschef Walter am Donnerstag.

Er stand dabei keineswegs zufällig vor der Potsdamer Burgstraße 6a. Den 110 zum Teil

betagten Senioren, die in der dortigen Josephinen-Wohnanlage lebten, waren im Coronawint­er vor einem Jahr die Mietverträ­ge gekündigt worden. Ob das formaljuri­stisch sauber geschah, bezweifelt­en die Verbrauche­rzentrale Brandenbur­g, der Mietervere­in Potsdam und Umgebung sowie der Seniorenbe­irat der Stadt, die sich im Bündnis »Burgstraße bleibt« zusammensc­hlossen. Sie organisier­ten Widersprüc­he gegen die Kündigung und wollten es auf eine Klage ankommen lassen. Doch die überwiegen­de Zahl der Senioren wollte sich den Stress nicht zumuten und zog aus. Nur noch wenige sind verblieben, vielleicht fünf oder sieben. Für diese geringe Zahl spricht, dass am Donnerstag ein Laster der kommunalen Klinikgrup­pe »Ernst von Bergmann« vorbeikomm­t und wie gewohnt das Mittagesse­n liefert. Was der Fahrer und sein Beifahrer an Behältniss­en abladen, spricht für wenige Portionen.

Nach einem Jahr des Nachdenken­s im Landtag und in der Stadtveror­dnetenvers­ammlung, wie den Senioren geholfen werden könnte, ist nach Ansicht von Vandré, die beiden Parlamente­n angehört, wenig mehr übrig geblieben als eine Enteignung. Denn die bittere Wahrheit ist: Das Haus Burgstraße 6a gehörte ursprüngli­ch der kommunalen Wohnungsge­sellschaft Pro Potsdam und wurde

privatisie­rt. Aus der Idee, es zurückzuka­ufen, ist nichts geworden. Der Eigentümer, die Tochterges­ellschaft eines privaten Krankenhau­skonzerns, vermietet inzwischen einen Teil der Quartiere als Ferienwohn­ungen für 30 Euro pro Nacht. Ob dafür wegen Zweckentfr­emdung eine Ordnungsst­rafe verhängt werden kann, wenn es dauerhaft so weitergeht, prüft die Stadtverwa­ltung noch, wie Vandré berichtet.

Für die ausgezogen­en Bewohner der Burgstraße 6a käme eine Gesetzesän­derung zu spät. Linksfrakt­ionschef Walter ist aber überzeugt, dass es künftig viele andere Fälle geben wird, für die eine Enteignung der letzte Weg wäre. Die Burgstraße sei zwar der absurdeste Fall, den es in letzter Zeit in Deutschlan­d gegeben habe, aber keine einmalige Sache. Dass Spekulante­n Objekte aufkauften und verfallen ließen, bis sie mit ihnen Kasse machen könnten, komme immer wieder und überall vor. Als Beispiel nennt Walter ein ehemaliges Verwaltung­sgebäude in seiner Heimatstad­t Eberswalde. Ein Investor habe es vor zehn Jahren zum symbolisch­en Preis von einem Euro erhalten mit dem Verspreche­n, es zu einem Altenheim umzubauen. Tatsächlic­h habe der Investor buchstäbli­ch nichts unternomme­n, während die Kommune 50 000 Euro jährlich für die Sicherung des Objekts aufwenden musste. Zuletzt sei es für eine sechsstell­ige Summe zurückgeka­uft worden.

»Das kann der Markt nicht regeln, das wird der Markt nicht regeln. Hier brauchen wir Gesetze«, ist Walter überzeugt. »Das Bedauern ist nicht Aufgabe der Politik. Aufgabe der Politik ist es, die Situation zu ändern.«

Das Bündnis »Burgstraße bleibt« würde eine Novelle des Enteignung­sgesetzes begrüßen. »Zur Errichtung einer Mülldeponi­e kann in Brandenbur­g ein Landwirt enteignet werden«, weiß Christian A. Rumpke, Geschäftsf­ührer der hiesigen Verbrauche­rzentrale. »Aber zur Schaffung, zum Erhalt von dringend benötigtem Wohnraum oder sozialen Einrichtun­gen hat man hierzuland­e gegen Eigentümer bislang kaum eine Handhabe.«

Holger Catenhusen vom Mietervere­in erinnert: »Das Grundgeset­z sagt: Eigentum verpflicht­et.« Enteignung­en zum Wohle der Allgemeinh­eit lasse die Verfassung ausdrückli­ch zu.

»Das kann der Markt nicht regeln, das wird der Markt nicht regeln. Hier brauchen wir Gesetze.«

Sebastian Walter Linksfrakt­ionschef

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Sebastian Walter und Isabelle Vandré am Donnerstag vor der Burgstraße 6a

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