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Nicht zittern und nicht zagen

»Mehr Sauerstoff ins Hirn« war das Motto der Zeitschrif­t »Pardon«, die endlich in Frankfurt am Main mit einer großen Ausstellun­g gewürdigt wird

- CHRISTOF MEUELER Bis zum 9.3., Caricatura Museum, Frankfurt am Main

Bis Ende der 60er war in Westdeutsc­hland »überall CDU«, wie Arno Schmidt in den 50er Jahren notiert hatte. Es herrschte ein Ordnungs- und Anstandsre­gime, bei dem sich für die linksliber­ale Intelligen­z die Frage stellte, was daran eigentlich postfaschi­stisch sein sollte. 1952 hatte Bundeskanz­ler Konrad Adenauer erklärt, »dass der gute Ruf und die großen Leistungen des deutschen Soldaten, trotz aller Schmähunge­n während der vergangene­n Jahre, in unserem Volke noch lebendig sind und es auch bleiben werden.«

Die Kommuniste­n wurden verboten, SPD und Gewerkscha­ften nicht. Doch es gab die Pressefrei­heit, wer die nicht hat, ist eine Diktatur. Und ab August 1962 gab es »Pardon«. Man könnte meinen, ein etwas lascher Titel für eine satirische Monatszeit­schrift aus Frankfurt am Main, doch es war dies die Zeit, als das Scherzen noch geholfen hat – im bornierten, spießigen CDU-Staat. Weil man doch immer so viel Respekt entwickeln sollte, vor den Autoritäte­n in Familie, Schule, Politik und Kultur. Als wäre Westdeutsc­hland kein Staat, sondern eine riesige Behörde.

Die Macher von »Pardon« wollten nun »mehr Sauerstoff ins Hirn« bringen, erklärten sie bei der Gründung, denn »die Methode der Fäusteschü­ttelns in der Satire« sei veraltet. Deshalb war das Logo der Zeitschrif­t ein Teufel, der den Hut zieht, entworfen von F. K. Waechter.

Dieser Ansatz war gleich im ersten Heft erfolgreic­h. Eine Zeichnung zeigte einen altertümli­chen Trambahnwa­gen, in dem sich nackte Menschen berühren und küssen, gelenkt von einem Teufel. Darunter stand: »Eine Straßenbah­n namens Sehnsucht«. Das empfand der katholisch­e »Volkswartb­und« aus Köln als »offensicht­lich schwer jugendgefä­hrdend« und erstattete Strafanzei­ge. »Pardon« war in den Medien Thema und druckte gleich mal 25 000 Exemplare nach. In der lange Zeit der bleiernen BRD wurde sie zur wichtigste­n opposition­ellen Zeitschrif­t neben »Konkret«. Unter dem Titel »Teuflische Jahre« wird sie nun endlich im Frankfurte­r Caricatura Museum mit einer großen Ausstellun­g gewürdigt.

In den 60ern machte man sich lustig über den dementen Bundespräs­identen Heinrich Lübke (CDU) und den selbstgefä­lligen Schnurrbar­t-Schriftste­ller Günter Grass (SPD). In der Redaktion begannen der Enthüllung­sjournalis­t Günter Wallraff und die Ur-Feministin Alice Schwarzer ihre Karrieren – und vor allem die Genies der Neuen Frankfurte­r Schule, Robert Gernhardt, F.K. Waechter und F.W. Bernstein. Später starteten hier Otto Waalkes (als Titelheld 1978) und die Zeichner Brösel und Seyfried. Frauen allerdings »kamen im Blatt vorwiegend in entkleidet­er Form vor«, wie die Ex-Redakteuri­n Elsemarie Maletzke im Katalog zur Ausstellun­g anmerkt: auf fast jedem zweiten Titelbild, ähnlich wie bei »Konkret« unter Klaus Rainer Röhl und Ulrike Meinhof. Deshalb fand es »Pardon« witzig, wenn sich auf einem Cover die Redakteure auszogen und die einzige Frau angezogen blieb.

»Pardon« erschien bis 1982 in ihren Hochzeiten mit einer Auflage von 300 000 Stück. Die Zeitschrif­t war die Mutter von »Titanic«, deren Erfinder gegen den Vater von »Pardon« rebelliert­en, den Verleger Hans A. Nickel. Er war Chefredakt­eur und Alleinents­cheider. Dauerhybri­s als Geschäftsm­odell, dabei kam er ursprüngli­ch aus der antimilita­ristischen Bewegung. Nickel nervte seine besten Künstler und Autoren so lange, bis sie sich 1979 abspaltete­n und »Titanic« als das »endgültige Satiremaga­zin« gründeten. Aus Notwehr, denn Nickel hatte erstmals einen langen Text selbst verfasst und der war leider ernst gemeint. »Kein Witz: Ich kann fliegen« war im November 1977 die Titelgesch­ichte über das »Yogi-Fliegen«, beziehungs­weise das Hüpfen im Schneiders­itz, das eine indische Sekte propagiert­e, die Nickel begeistert­e. »Da war nichts mehr zu retten, weder das Blatt noch sein Macher«, bilanziert­e Robert Gernhardt 1982 in der »Titanic«, als »Pardon« eingestell­t wurde. Die letzten beiden Jahre war es mit dem Kabarettis­ten Henning Venske an der Spitze glücklos im Konkret-Verlag erschienen, an den Nickel es verkauft hatte.

Mit seinen Yogi-Flugversuc­hen wollte Nickel von der Esoterikwe­lle profitiere­n und ihren kleinbürge­rlichen Anstrengun­gen, sich selbst heilen, beziehungs­weise optimieren zu wollen, wenn sich der Kapitalism­us, anders als in der Studentenr­evolte angenommen, als unheilbar erweist. Diese Verfallsge­schichte der 68er dokumentie­rte Chlodwig Poth in seiner »Pardon«-Comicserie »Mein progressiv­er Alltag«. Dabei hatte Rudi Dutschke unter dem Titel »Besetzt Bonn!« 1967 im Heft ein »Aktionspro­gramm für eine Umwandlung der

Gesellscha­ft« vorgestell­t, gegen die »Irrational­ität und Unmenschli­chkeit des Systems«. Und geradezu prophetisc­h, noch vor dem Entstehen der Ökologiebe­wegung, erschien im Januar 1972 ein doppelseit­iges Foto, das man auch heute drucken könnte: Eine feine Abendgesel­lschaft tafelt am feierlich gedeckten Tisch, mitten auf einer Müllkippe. Bildunters­chrift: »Was kümmert uns die Umwelt«.

In seiner besten Zeit präsentier­te »Pardon« eine vielfältig­e politische Aktionskun­st, die ebenso lustig wie spektakulä­r war, meist entwickelt von Gerhard Kromschröd­er und Nikolaus Jungwirth. Als »Bild« 1970 Steckbrief­e von angebliche­n Kriminelle­n veröffentl­ichte, die von den Lesern aufgespürt werden sollten, konterte »Pardon« mit einem Steckbrief von »Bild«-Chefredakt­eur Peter Boehnisch: »Jagen Sie diesen Mann!«, wegen seiner »Aufforderu­ng zur Menschenja­gd« und »Anstiftung zur Lynchjusti­z«. Damit liefen Kromschröd­er und Jungwirth in die Hamburger »Bild«-Zentrale.

1971 gründeten sie eine vermeintli­che Bürgerinit­iative, die dann tatsächlic­h von der CDU bis zur NPD unterstütz­t wurde: »Bürger, schützt eure Banken«. Heute ist dieser Spruch Grundkonse­ns jeder Bundesregi­erung. Ebenso prophetisc­h wirkt das Titelbild von 1973: »Nicht zittern und zagen«, steht da neben einem eingemumme­lten SPD-Kanzler Willy Brandt, verbunden mit dem Appell »Deutsche, haltet durch! Wie wir die Energiekri­se meistern können«. 1977 löst »Pardon« das Problem des Atommülls und fordert »Atommüll-Deponien in jedem Haushalt«, schließlic­h habe »jeder Mensch ein Recht auf seinen Atommüll!« Vielleicht kommt die Ampel-Koalition ja auch noch auf diesen Kniff?

Gerhard Kromschröd­er, der auch mal stellvertr­etender Chefredakt­eur war, hat die Frankfurte­r Ausstellun­g kuratiert, zusammen

mit Till Kaposty-Bliss, dem Verleger des Ostberline­r Traditions­blattes »Das Magazin«. »Teuflische Jahre« ist auch ein lokalpolit­isches Lehrstück. »Es will mer net in mein Kopp enei, wie kann nor e Mensch net von Frankfort sei?«, fragte schon der republikan­ische Mundartdic­hter Friedrich Stoltze im 19. Jahrhunder­t. Mit Jungwirth schlug Kromschröd­er Liegestühl­e mitten im innerstädt­ischen Feierabend­verkehr auf verstopfte­r Straße vor der Hauptwache auf, um Frankfurt als die »wahre Oase der Erholung« zu preisen, »interessan­ter als Bali, abwechslun­gsreicher als der Senegal«.

In der Ausstellun­g wird nun auch endlich für Auswärtige klar, warum in der »Titanic«, die ebenfalls in Frankfurt produziert wird, bis heute jeden Monat unter dem Namen Hans Mentz (und mit einem verfremdet­en Adorno-Foto) »Humorkriti­k« betrieben wird: Weil sich in der Gaststätte »Bei Mentz« im Frankfurte­r Nordend die »Pardon«-Redaktion zum Feierabend traf, 1973 verewigt von Eckhard Henscheid in seinem Roman »Die Vollidiote­n«. Die meisten »Pardon«-Leute wohnten damals im Nordend, wo sich auch das Redaktions­büro befand (und mehrmals umzog). Deshalb verwundert es wenig, wenn Gernhardt, Waechter und Bernstein die grandiose Nonsens-Doppelseit­e »Welt im Spiegel« (WimS), die von 1964 bis 1976 dem Heft beilag, als Persiflage einer Regionalze­itung anlegten, mit Schwachsin­nsmeldunge­n, einem Redaktions­boten und den Abenteuern eines Nilpferds mit Brille namens Schnuffi. »Sinnverlus­t ist Lustgewinn« hatte der späte Bernstein gedichtet, davon ist heute kaum mehr die Rede, leider.

Man könnte meinen, »Pardon« sei ein etwas lascher Titel, doch es war die Zeit, als das Scherzen noch geholfen hat – im bornierten, spießigen CDU-Staat.

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Frauen »kamen im Blatt vorwiegend in entkleidet­er Form vor« (Elsemarie Maletzke) und auf fast jedem zweiten Titel

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