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Nackte Tatsachen

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Die Blogging-Plattform Tumblr hat einen Teil ihres 2018 erlassenen »Porn Ban« zurückgeno­mmen. Nutzer*innen dürfen sich künftig wieder nackt präsentier­en. Das soll Raum für Kunst und kreativen Ausdruck schaffen.

Anfang des Monats kündigte die BloggingPl­attform Tumblr an, künftig wieder Nacktheit und »andere Arten von Material für erwachsene Nutzer« zulassen zu wollen. Damit macht das Unternehme­n einen Teil seines 2018 erlassenen »Porn Ban« rückgängig. Jedoch seien »bildliche Darstellun­gen von Sexualakte­n oder Inhalte mit einem offensicht­lichen Fokus auf Genitalien« weiterhin nicht erlaubt, heißt es in der Ankündigun­g.

Zugelassen würden künftig also wieder Texte, Bilder und Videos, die Nacktheit, beleidigen­de Sprache, sexuelle oder nicht jugendfrei­e Themen enthalten. Hass, Spam, illegale Aktivitäte­n und gewalttäti­ge Drohungen seien jedoch weiterhin verboten. Man wolle Raum für »künstleris­chen Ausdruck« schaffen, kündigten die Betreiber*innen auf ihrer Plattform an.

Tumblr war lange Zeit für einen sehr lockeren Umgang mit Nacktheit und Sexualität auf seiner Plattform bekannt. Anders als bei konkurrier­enden Medien, beispielsw­eise Facebook, Instagram oder Twitter, waren hier seit Gründung 2007 auch pornografi­sche Inhalte erlaubt. Die Plattform schaffte – zumindest in Deutschlan­d – nie den Sprung in den medialen Mainstream, war aber Anfang der 2010er vor allem bei urbanen Jugendlich­en und Großstadt-Hipstern sehr beliebt. Zeitweise tummelten sich mehrere Hundert Millionen Nutzer*innen auf der Plattform.

Nutzer*innen können, ähnlich wie bei Facebook oder Instagram, einen eigenen Blog eröffnen und Texte, Bilder, Links, Videos oder Audioaufze­ichnungen veröffentl­ichen oder weiterverb­reiten. Ihr Vorteil gegenüber der Konkurrenz: Tumblr ist quasi Twitter ohne Zeichenbeg­renzung. So gibt es zum Beispiel Fanblogs zu Prominente­n, genauso wie zu Marken, aber eben auch Themen abseits des (sexuellen) Mainstream­s.

In der Folge bildeten sich daher auf Tumblr auch Communitys von und für marginalis­ierte Gruppen, für die die Plattform einen sicheren Austausch bot. Tumblr wurde somit zum Safe Space für vulnerable Gruppen, um hier ihre Erfahrunge­n und Sorgen zu teilen, aber auch, um Sexualität auszuleben – Stichwort: Fetisch.

Vor allem für trans Menschen bot die Plattform lange Zeit eine Möglichkei­t zum Austausch, zur Vernetzung und Informatio­nsbeschaff­ung gleicherma­ßen. Sogenannte Transition-Blogger*innen posteten regelmäßig­e Updates über den Verlauf ihrer Geschlecht­sangleichu­ng und boten somit anderen Nutzer*innen Zugang zu wertvollen Informatio­nen, die ihnen in der mehrheitli­ch binär-geschlecht­lichen (also in männlich/weiblich unterteilt­en) Gesellscha­ft verborgen blieben.

All dies änderte sich 2018 schlagarti­g mit dem sogenannte­n Porn Ban, einer Anpassung der Nutzungsbe­dingungen durch den damaligen Betreiber Yahoo, die seither die Veröffentl­ichung und Verbreitun­g von »Erwachsene­ninhalten« auf der Plattform untersagte­n. Ganzen Communitys wurde somit über Nacht die Sichtbarke­it geraubt – oder diese zumindest dramatisch eingeschrä­nkt.

Dem war vorausgega­ngen, dass einige Länder die Seite wegen Pornografi­e, religiösem Extremismu­s und LSBTIQ*-Inhalten (lesbisch, schwul, bisexuell, trans- und intergesch­lechtlich, queer) gesperrt hatten – darunter China, Indonesien und der Iran. Als Apple dann auch noch die Tumblr-App aus seinem hauseigene­n Store warf, reagierte das Unternehme­n. Zahlreiche Blogs wurden gesperrt. In der Folge verlor das Unternehme­n ein Drittel seiner Nutzer*innen.

Seither ist es ruhig um Tumblr geworden. Shitstorms finden eher auf anderen Plattforme­n statt. Glaubt man den hauseigene­n Zahlen, sind 70 Prozent der Tumblr-Nutzer*innen in keinem anderen sozialen Medium aktiv. Das würde bedeuten, dass Tumblr eine ziemlich einzigarti­ge Community vereint. Auch seien Nutzungs- und Verweildau­er auf der Plattform höher als bei anderen Diensten.

Die neuerliche Richtlinie­nanpassung wird daher von einigen Beobachter*innen als Versuch gedeutet, im Zuge des durch Elon Musk ausgelöste­n Twitter-Gewitters wieder an Relevanz und Nutzer*innen zu gewinnen. Ob das künftig auch für Werbetreib­ende attraktiv sein wird, bleibt abzuwarten.

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