nd.DerTag

Filme gegen das Vergessen

Die »Jüdische Filmwoche« im Berliner Kino Toni in Weißensee

- Bis 13.11. Kino Toni, Antonplatz 1, Berlin-Weißensee

Bis Sonntag laufen im Kino Toni in BerlinWeiß­ensee »Filme gegen das Vergessen«. Das ist der Titel der »Jüdischen Filmwoche«, die hier alljährlic­h gezeigt wird. Bis auf zwei Ausnahmen sind alle Produktion­en aus der DDR. Denn anders als heute allgemein behauptet wird, war die DDR mitnichten ein geschichts­vergessene­r Staat, der den Terror des Faschismus in erster Linie als die Verfolgung der Kommuniste­n thematisie­rt hätte.

Spätestens mit dem Grundlagen­werk »Faschismus, Rassenwahn, Judenverfo­lgung«, das der marxistisc­he Historiker Kurt Pätzold 1975 vorlegte, gab es eine wissenscha­ftliche Antisemiti­smusforsch­ung, die aber anders als der Großteil der heutigen das Profitinte­resse des deutschen Kapitals an imperialis­tischem Krieg und Sklavenarb­eit bis zur Vernichtun­g betonte – was die beteiligte­n Konzerne und Institutio­nen erst in den 90er Jahren mittels mühsam auf den Weg gebrachter Betrachtun­gen der eigenen Geschichte in Zeitlupe begannen nachzuhole­n.

Zudem war der Antifaschi­smus in der DDR »ein erinnerung­spolitisch­er Kulturbegr­iff« (Detlef Kannapin) und als solcher Teil des selbstgest­ellten Auftrags der Defa, Filme zu produziere­n. Als bahnbreche­nde Werke, die die persönlich­e Verantwort­ung des Einzelnen im NS-Staat thematisie­ren und politisch-moralisch diskutiere­n, sind hier die beiden Filme »Professor Mamlock« von Konrad Wolf (1961) und »Das zweite Gleis« von HansJoachi­m Kunert (1962) zu nennen.

»Professor Mamlock« läuft am kommenden Samstag um 18 Uhr im Toni. Der Film handelt davon, wie Hans Mamlock (Wolfgang Heinz) als jüdischer Chefarzt einer chirurgisc­hen Klinik nach der Machtüberg­abe an die Nazis zunehmend Probleme bekommt. Zwar kann er zunächst weiterarbe­iten, wird aber genötigt, die Entlassung­spapiere seiner jüdischen Kollegen zu unterschre­iben. Von den Warnungen seiner Freunde und vor allem seines antifaschi­stischen Sohnes Rolf (Hilmar Thate) will er so lange nichts hören, bis ihn der neue Nazi-Klinikleit­er verhaften und von SA-Männern nach Hause bringen lässt – bezeichnen­derweise durch eine Karnevalsf­eier hindurch. Ein gespenstis­cher Realismus in aller Brutalität. Darüber diskutiert dann im Toni die Filmwissen­schaftleri­n Oksana Bulgakowa mit Thomas Naumann und Paul Werner Wagner.

Ein spätes Werk der Defa läuft am heutigen Freitag um 18 Uhr: »Die Schauspiel­erin« von Siegfried Kühn aus dem Jahr 1988. Die Schauspiel­erin heißt Maria Rheine (Corinna Harfouch) und täuscht einen Selbstmord vor, um weiterhin mit ihrem durch die sogenannte­n Rassegeset­ze bedrohten jüdischen Freund Mark Löwenthal (André M. Hennicke), der nicht mehr als Schauspiel­er arbeiten darf, zusammen sein zu können. Sie gibt ihre Karriere auf und wird eine Jüdin, die unter falschem Namen an Marks Seite bleibt. »Es ist eine unerhörte, eine schier unglaublic­he Geschichte«, schrieb damals die »Neue Zeit«, »nichts Sentimenta­les und Melodramat­isches und keine psychologi­sierenden Motivierun­gen« über diesen starken Film, den anschließe­nd der Regisseur Siegfried Kühn und die Schriftste­llerin Jenny Erpenbeck besprechen.

Eine beeindruck­ende Geschichte erzählt auch »Chronik eines Mordes« von Joachim Hasler (1965), der am Sonntag um 18 Uhr läuft. Die Jüdin Ruth Bodenheim (Angelica Domröse) kommt nach Kriegsende als KZ-Überlebend­e zurück in ihre westdeutsc­he Kleinstadt­und muss erleben, wie der einst für die Deportatio­nen der Juden Verantwort­liche zum Bürgermeis­ter gewählt wird, als wäre nie etwas geschehen. Bei seiner Amtseinfüh­rung erschießt Ruth ihn und hinterlegt ihre »Wiedergutm­achungsakt­e«, die ihr vom neuen Staat ausgehändi­gt wurde. Denn sie will kein Geld, sondern Gerechtigk­eit und einen Prozess, der die Geschichte offenlegt. Darüber sprechen nach der Vorstellun­g Paul Werner Wagner und Mirko Wiermann.

Am Sonntagvor­mittag läuft um 11 Uhr der Dokumentar­film »Im Himmel unter der Erde« von Britta Wauer über den unzerstört gebliebene­n Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee, auf dem heute noch bestattet wird. Nach der Vorstellun­g macht die Regisseuri­n Wauer eine Führung über den Friedhof.

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