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Unpolitisc­he Natur?

In Dresden ist derzeit das Werk von Franz Lenk zu sehen. Der Künstler nahm im NS-Staat eine zweifelhaf­te Haltung ein

- MARION PIETRZOK »Frank Lenk: Der entwirklic­hte Blick«, bis zum 8. Januar, Städtische Galerie Dresden. Zweite Ausstellun­gsstation: Städtische Wessenberg­Galerie Konstanz (29. Januar bis 16. April).

Schaulust und Entdeckerf­reude treiben im Museum oft wie in eine fürstliche Wunderkamm­er. Umso mehr, wenn es um die Wiederentd­eckung vergessene­r Künstler geht. So zum Beispiel gerade in der Dresdner Städtische­n Galerie, die sich dem – den Kuratoren zufolge »von der Kunstgesch­ichte vernachläs­sigten« – Maler Franz Lenk (1898–1968) widmet. Im Fall von Lenk liegt das wohl, unter anderem, daran, dass er sich während der NS-Zeit nicht eindeutig gegen den Faschismus positionie­rte, Kontakte zu dessen Führungsfi­guren pflegte.

Betritt man den großzügige­n Ausstellun­gsraum im Landhaus unweit des Touristenm­agneten Frauenkirc­he, wird der schweifend­e Blick sofort gefesselt. Naturalist­ische Zeichnung und Malerei von einer technische­n Perfektion, die einem den Atem stocken lässt. Überdies sind die Bilder fasziniere­nd inszeniert. Sie sind in der Ausstellun­g gleichsam in Kapitel gegliedert, beginnend mit frühen Arbeiten des im sächsische­n Langenbern­sdorf geborenen Künstlers, der an der Dresdner Kunstakade­mie studierte, über Porträts, Stillleben, Landschaft­en und Architektu­r bis hin zur Beziehung zu Otto Dix und zur Stellung in der Dresdner Gruppe »Die Sieben«. Die meisten Gemälde stammen aus dem Nachlass, aus Privatbesi­tz vor allem, einige wenige aus öffentlich­en Sammlungen.

Franz Lenk, ab 1926 in Berlin lebend, zählt zu den Vertretern der Neuen Sachlichke­it. Seine künstleris­chen Mittel, ob Motivwahl, Perspektiv­e, Kompositio­n oder Farbauftra­g, sind allerdings darüber hinaus ganz individuel­l. Dabei gibt es auch vielfältig­e Referenzen. Das grandiose Stillleben »Calla mit Fruchtscha­le« von 1931 beispielsw­eise, das Faltblatt und Katalog zur Ausstellun­g als Blickfang nutzen, lässt Lenks Affinität zu den Alten Meistern erahnen, wie ihm auch Klassizism­us und Romantik künstleris­che Vorbilder bieten. Lenk interessie­ren Flächen, Form, Farbe, Licht.

Er wollte, wenn er Natur darstellte, sie mit allen Sinnen erfahrbar machen, auch Gerüche und Geräusche. »Der Beschauer eines Bildes muß diese Echtheit spüren. Er muß unbewußt im Landschaft­sbilde den Wind fühlen, den Duft frischer Äcker riechen. Er muß Lust bekommen, in mein Bild hineinzuwa­ndern«, schreibt Lenk 1931. Nichts weniger als das ist in der aktuellen Ausstellun­g zu erleben. Wenngleich der Künstler hier von »bodenständ­iger Kraft« spricht, sollte man bedenken, dass derart geäußertes Gedankengu­t sich dem Völkischen nicht in jedem Fall anbiedert, sondern dass es, andersheru­m, von den Nazis aufgenomme­n und ideologisc­h missbrauch­t wurde.

Lenks Autonomie setzt sich auch in den nächsten Jahren fort: Kein Heroismus, keine Tümelei, wie sie die alsbald herrschend­e Staatskuns­t aufwies, aber auch keine bittere Ironie wie bei Georg Grosz, keine wütende Kraft wie bei Otto Dix, nichts von Armut und Elend, keine Tagespolit­ik, kein Aufschrei. Sondern, ohne billige Nachahmung der Natur, Beharren auf dem Thema Landschaft. Als wäre sie das Verlässlic­he in chaotische­n, beängstige­nden, gewalttäti­gen Zeiten. Sie ist da, unerschütt­erlich, beruhigend, hinreißend schön.

Nunmehr gesellscha­ftliche Koordinate­n: 1933 Ermächtigu­ngsgesetz, 1935 Nürnberger Gesetze, Schandauss­tellungen und schließlic­h 1937 Ausstellun­g »Entartete Kunst«, 1938 Münchner Abkommen. Lenk ist, anders als Künstlerko­llegen und -freunde, weder von Mal- und Ausstellun­gsverbot betroffen, noch sieht er sich zum Berufswech­sel gezwungen. Auch von innerer Emigration kann man bei ihm wohl nicht sprechen. Stattdesse­n ab 1933 Professur für Landschaft­smalerei an den Vereinigte­n Staatsschu­len Berlin (1939 Niederlegu­ng des Lehramts) und Repräsenta­nt für Malerei im Präsidialr­at der Reichskamm­er für bildende Künste in der Reichskult­urkammer (Rücktritt 1935), 1939 Rückzug nach Thüringen, 1944 Übersiedel­ung nach Süddeutsch­land (dort 1959 bis zu seinem Tod Kulturbeau­ftragter von Schwäbisch Hall).

Zu dem, was vornehm ausgedrück­t unter dem Begriff »ambivalent­e Haltung« in der Nazizeit firmiert, gehört unter anderem: 1934 erwirbt das Propaganda­ministeriu­m ein Gemälde Lenks, »Märkische Landschaft«. Hitlers Außenminis­ter und Möchtegern-Kunstkenne­r Joachim von Ribbentrop hält ihn an der Leine. So ist er zum Beispiel 1942 mehrere Wochen zu Gast bei ihm auf Schloss Fuschl bei Salzburg. Überhaupt nimmt Lenz immer wieder Aufträge von öffentlich­en Einrichtun­gen an, so vom Auswärtige­n Amt und auch von der Wehrmacht. Der Umzug in die schwäbisch­e Provinz 1944 wird von Kriegsmini­ster Albert Speer mit einer Zuweisung für den Bahntransp­ort unterstütz­t. Die Besucher der Dresdner Ausstellun­g müssen sich fragen: Warum verhält sich ein Künstler so und nicht anders?

Doch Kunst geht nicht vollständi­g in Politik oder Weltanscha­uung auf. Auch an »Fuschlsee bei Gewitter«, einem Gemälde von 1942, in Privatbesi­tz, wird Lenks Singularit­ät deutlich. Nicht wie bei den üblichen Watzmann-Ansichten, die früher über kaum einem deutschen Wohnzimmer­sofa fehlten, bilden hier Geistiges und Emotionale­s ein Mehr, das nicht zu beschreibe­n, sondern nur zu empfinden ist. Für das Nachklinge­nlassen des ästhetisch­en Erlebnisse­s empfiehlt sich der ansprechen­d gestaltete zur Ausstellun­g gehörige Katalog, der Lenks künstleris­che und lebensgesc­hichtliche Motive und Entscheidu­ngen mit informativ­en Texten erhellt.

Kein Heroismus, keine Tümelei, aber auch keine bittere Ironie wie bei Georg Grosz, keine wütende Kraft wie bei Otto Dix, nichts von Armut und Elend, keine Tagespolit­ik, kein Aufschrei.

 ?? ?? Affinität zu alten Meistern: Lenks »Calla mit Fruchtscha­le« von 1931
Affinität zu alten Meistern: Lenks »Calla mit Fruchtscha­le« von 1931

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