Unpolitische Natur?
In Dresden ist derzeit das Werk von Franz Lenk zu sehen. Der Künstler nahm im NS-Staat eine zweifelhafte Haltung ein
Schaulust und Entdeckerfreude treiben im Museum oft wie in eine fürstliche Wunderkammer. Umso mehr, wenn es um die Wiederentdeckung vergessener Künstler geht. So zum Beispiel gerade in der Dresdner Städtischen Galerie, die sich dem – den Kuratoren zufolge »von der Kunstgeschichte vernachlässigten« – Maler Franz Lenk (1898–1968) widmet. Im Fall von Lenk liegt das wohl, unter anderem, daran, dass er sich während der NS-Zeit nicht eindeutig gegen den Faschismus positionierte, Kontakte zu dessen Führungsfiguren pflegte.
Betritt man den großzügigen Ausstellungsraum im Landhaus unweit des Touristenmagneten Frauenkirche, wird der schweifende Blick sofort gefesselt. Naturalistische Zeichnung und Malerei von einer technischen Perfektion, die einem den Atem stocken lässt. Überdies sind die Bilder faszinierend inszeniert. Sie sind in der Ausstellung gleichsam in Kapitel gegliedert, beginnend mit frühen Arbeiten des im sächsischen Langenbernsdorf geborenen Künstlers, der an der Dresdner Kunstakademie studierte, über Porträts, Stillleben, Landschaften und Architektur bis hin zur Beziehung zu Otto Dix und zur Stellung in der Dresdner Gruppe »Die Sieben«. Die meisten Gemälde stammen aus dem Nachlass, aus Privatbesitz vor allem, einige wenige aus öffentlichen Sammlungen.
Franz Lenk, ab 1926 in Berlin lebend, zählt zu den Vertretern der Neuen Sachlichkeit. Seine künstlerischen Mittel, ob Motivwahl, Perspektive, Komposition oder Farbauftrag, sind allerdings darüber hinaus ganz individuell. Dabei gibt es auch vielfältige Referenzen. Das grandiose Stillleben »Calla mit Fruchtschale« von 1931 beispielsweise, das Faltblatt und Katalog zur Ausstellung als Blickfang nutzen, lässt Lenks Affinität zu den Alten Meistern erahnen, wie ihm auch Klassizismus und Romantik künstlerische Vorbilder bieten. Lenk interessieren Flächen, Form, Farbe, Licht.
Er wollte, wenn er Natur darstellte, sie mit allen Sinnen erfahrbar machen, auch Gerüche und Geräusche. »Der Beschauer eines Bildes muß diese Echtheit spüren. Er muß unbewußt im Landschaftsbilde den Wind fühlen, den Duft frischer Äcker riechen. Er muß Lust bekommen, in mein Bild hineinzuwandern«, schreibt Lenk 1931. Nichts weniger als das ist in der aktuellen Ausstellung zu erleben. Wenngleich der Künstler hier von »bodenständiger Kraft« spricht, sollte man bedenken, dass derart geäußertes Gedankengut sich dem Völkischen nicht in jedem Fall anbiedert, sondern dass es, andersherum, von den Nazis aufgenommen und ideologisch missbraucht wurde.
Lenks Autonomie setzt sich auch in den nächsten Jahren fort: Kein Heroismus, keine Tümelei, wie sie die alsbald herrschende Staatskunst aufwies, aber auch keine bittere Ironie wie bei Georg Grosz, keine wütende Kraft wie bei Otto Dix, nichts von Armut und Elend, keine Tagespolitik, kein Aufschrei. Sondern, ohne billige Nachahmung der Natur, Beharren auf dem Thema Landschaft. Als wäre sie das Verlässliche in chaotischen, beängstigenden, gewalttätigen Zeiten. Sie ist da, unerschütterlich, beruhigend, hinreißend schön.
Nunmehr gesellschaftliche Koordinaten: 1933 Ermächtigungsgesetz, 1935 Nürnberger Gesetze, Schandausstellungen und schließlich 1937 Ausstellung »Entartete Kunst«, 1938 Münchner Abkommen. Lenk ist, anders als Künstlerkollegen und -freunde, weder von Mal- und Ausstellungsverbot betroffen, noch sieht er sich zum Berufswechsel gezwungen. Auch von innerer Emigration kann man bei ihm wohl nicht sprechen. Stattdessen ab 1933 Professur für Landschaftsmalerei an den Vereinigten Staatsschulen Berlin (1939 Niederlegung des Lehramts) und Repräsentant für Malerei im Präsidialrat der Reichskammer für bildende Künste in der Reichskulturkammer (Rücktritt 1935), 1939 Rückzug nach Thüringen, 1944 Übersiedelung nach Süddeutschland (dort 1959 bis zu seinem Tod Kulturbeauftragter von Schwäbisch Hall).
Zu dem, was vornehm ausgedrückt unter dem Begriff »ambivalente Haltung« in der Nazizeit firmiert, gehört unter anderem: 1934 erwirbt das Propagandaministerium ein Gemälde Lenks, »Märkische Landschaft«. Hitlers Außenminister und Möchtegern-Kunstkenner Joachim von Ribbentrop hält ihn an der Leine. So ist er zum Beispiel 1942 mehrere Wochen zu Gast bei ihm auf Schloss Fuschl bei Salzburg. Überhaupt nimmt Lenz immer wieder Aufträge von öffentlichen Einrichtungen an, so vom Auswärtigen Amt und auch von der Wehrmacht. Der Umzug in die schwäbische Provinz 1944 wird von Kriegsminister Albert Speer mit einer Zuweisung für den Bahntransport unterstützt. Die Besucher der Dresdner Ausstellung müssen sich fragen: Warum verhält sich ein Künstler so und nicht anders?
Doch Kunst geht nicht vollständig in Politik oder Weltanschauung auf. Auch an »Fuschlsee bei Gewitter«, einem Gemälde von 1942, in Privatbesitz, wird Lenks Singularität deutlich. Nicht wie bei den üblichen Watzmann-Ansichten, die früher über kaum einem deutschen Wohnzimmersofa fehlten, bilden hier Geistiges und Emotionales ein Mehr, das nicht zu beschreiben, sondern nur zu empfinden ist. Für das Nachklingenlassen des ästhetischen Erlebnisses empfiehlt sich der ansprechend gestaltete zur Ausstellung gehörige Katalog, der Lenks künstlerische und lebensgeschichtliche Motive und Entscheidungen mit informativen Texten erhellt.
Kein Heroismus, keine Tümelei, aber auch keine bittere Ironie wie bei Georg Grosz, keine wütende Kraft wie bei Otto Dix, nichts von Armut und Elend, keine Tagespolitik, kein Aufschrei.