nd.DerTag

Überkapazi­täten beim LNG

Der derzeitige Erdgasboom gefährdet laut einer neuen Analyse die Pariser Klimaziele

- JOACHIM WILLE

Auf der Suche nach Ersatz für Russlands Erdgaslief­erungen schießen die Staaten weit über die Notwendigk­eiten hinaus. Dies geht aus einer Studie des »Climate Action Tracker« hervor.

Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine und der Stopp der Erdgaslief­erungen hat eine Vielzahl neuer Gasprojekt­e ausgelöst, ob in Australien, Asien, USA, Kanada, Nahost oder Afrika. Der Mangel in Europa soll per Flüssiggas-Schiffen kompensier­t werden. Der fossile Erergieträ­ger könnte damit allerdings einen neuen Boom erleben, der die Einhaltung des 1,5-Grad-Limits der Erderwärmu­ng zusätzlich gefährdet. Dies geht aus einer Analyse des »Climate Action Tracker« (CAT) hervor, die jetzt auf dem UN-Klimagipfe­l in Ägypten vorgestell­t wurde.

Die CAT-Forschungs­initiative hat die CO2Emissio­nen berechnet, die durch alle im Bau befindlich­en, genehmigte­n und vorgeschla­genen Projekte zur Förderung von verflüssig­tem Erdgas (LNG) zwischen 2021 und 2050 entstehen würden. Ergebnis: Sie alleine könnten sich bis 2050 auf rund zehn Prozent des noch verbleiben­den globalen CO2-Budgets für die 1,5-Grad-Grenze summieren. Bereits 2030 droht ein Überangebo­t an LNG von 500 Milliarden Tonnen, was laut CAT fast dem Fünffachen der russischen EU-Gaseinfuhr­en im Jahr 2021 und dem Doppelten aller russischen Exporte entspricht. »Die Energiekri­se hat die Klimakrise übernommen«, kommentier­t der

CAT-Experte Bill Hare. Eine zunehmende Abhängigke­it von fossilem Gas könne nicht die Lösung für die heutigen Klima- und Energiekri­sen sein, so der Physiker.

Klimaschüt­zer kritisiere­n in diesem Zusammenha­ng gerade auch die Bundesregi­erung. Deutschlan­d will sich am Neuaufschl­uss von Gasquellen im Senegal beteiligen und plant Gaslieferv­erträge mit dem Emirat Katar, außerdem sollen an den Nord- und Ostseeküst­en bis zu zwölf LNG-Terminals gebaut werden. Die Kritiker halten dies für überdimens­ioniert, dadurch werde eine zu hohe Erdgasnutz­ung für die Zukunft programmie­rt.

So sieht es auch das Fraunhofer-Institut für System- und Innovation­sforschung in Karlsruhe. Die Hoffnung, die Terminals könnten später für klimaneutr­al erzeugte Energieträ­ger umgerüstet werden, sei »mit großen Unsicherhe­iten« behaftet, heißt es in einer aktuellen Studie. Selbst wenn die technische­n Probleme gelöst werden könnten, seien etwa für eine Umrüstung auf Wasserstof­f noch einmal 50 Prozent der ursprüngli­chen Investitio­nskosten nötig. Ein Terminal gleichzeit­ig für verschiede­ne Energieträ­ger zu nutzen, sei »nicht möglich«. Die Bundesregi­erung hingegen hatte mitgeteilt, man plane »von Anfang an, diese Infrastruk­tur in Zukunft auch für Wasserstof­f nutzen zu können«.

Aus der neuen CAT-Analyse ergibt sich ferner, dass die Staaten insgesamt praktisch keine Fortschrit­te in Richtung Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels gemacht haben. Die Erwärmung

im Jahr 2100 würde mit den bisher ergriffene­n Klimaschut­zmaßnahmen bei 2,7 Grad liegen. Würden die nationalen Ziele für 2030 eingerechn­et, wären es 2,4 Grad. Werden die bisher unverbindl­ichen, langfristi­gen Netto-Null-Ansagen etwa der EU-Gruppe, der USA und von China eingehalte­n, könnten 1,8 Grad erreicht werden. Laut dem CAT-Experten Niklas Höhne gibt es zwar positive Nachrichte­n wie das neue massive Klimapaket der USA, die Aussagen zum Klimaschut­z in Chinas 14. Fünfjahres­plan sowie eine mögliche Übererfüll­ung des EU-Klimaziels. Doch das reiche nicht aus: »Um die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssen die Länder in der Klimapolit­ik in den Notfallmod­us schalten, so wie sie es bei der Energiekri­se tun.«

Newspapers in German

Newspapers from Germany