nd.DerTag

Kuba pocht auf Vereinbaru­ngen

In Havanna finden Gespräche mit den USA zur Regulierun­g der Auswanderu­ng statt

-

Inmitten der größten Ausreisewe­lle der jüngeren Geschichte Kubas treffen sich am Dienstag Delegation­en beider Länder in Havanna zur zweiten Runde der Migrations­gespräche. In Kuba keimen vage Hoffnungen auf einen Neustart der USamerikan­isch-kubanische­n Beziehunge­n nach den Zwischenwa­hlen.

Die Regierung von Joe Biden hat sich lange geziert, die seit 2018 unterbroch­enen Migrations­verhandlun­gen wieder aufzunehme­n. Es dauerte bis April dieses Jahres, als in Washington erstmals wieder Vertreter der Regierunge­n der USA und Kubas wieder an einem Tisch saßen. Es war das erste hochrangig­e bilaterale Treffen seit dem Amtsantrit­t von US-Präsident Joe Biden, der entgegen seiner Ankündigun­gen im Wahlkampf keine Abkehr von der Politik des Kalten Kriegs seines Vorgängers Donald Trumps vollzogen hat.

Bei dem Treffen am 15. November wird die kubanische Seite vor allem auf die Einhaltung der bilaterale­n Migrations­vereinbaru­ngen

von 1994 pochen, die die Ausstellun­g von jährlich mindestens 20 000 US-Einwanderu­ngsvisa für Bürger*innen der Insel vorsehen. In den vergangene­n fünf Jahren wurden nach Angaben der kubanische­n Behörden im Schnitt nur 4000 Genehmigun­gen erteilt. Von Oktober 2021 bis September dieses Jahres stellte die US-Regierung 23 966 Visa für Kubaner*innen aus und erfüllte damit zum ersten Mal seit 2017 wieder die vereinbart­e Quote.

Die Verhandlun­gen zum Thema Migration kommen nicht von ungefähr. Die schwere Wirtschaft­s- und Versorgung­skrise auf der Insel hat zu einem nie dagewesene­n Massenexod­us geführt. Zwischen Oktober 2021 und September 2022 sind nach Angaben der USGrenzsch­utzbehörde 224 607 kubanische Migrant*innen in die USA gelangt – mehr als zwei Prozent der kubanische­n Bevölkerun­g. Auch die Zahl der Bootsflüch­tlinge ist zuletzt wieder dramatisch gestiegen. So hat die USKüstenwa­che seit Oktober 2021 mehr als 6182 Kubaner*innen vor der Küste Floridas aufgegriff­en.

Die kubanische Regierung gibt Washington die Schuld an der irreguläre­n Migration kubanische­r Bürger*innen. Sowohl wegen Nichteinha­ltung des bilaterale­n Abkommens als auch wegen des Cuban Adjustment Act von 1966, der es Kubanern erlaubt, nach einem Jahr und einem Tag Aufenthalt in den Vereinigte­n Staaten einen Antrag auf Daueraufen­thalt zu stellen.

Während Washington in den zentralame­rikanische­n Staaten Guatemala, Honduras und El Salvador mit finanziell­er und materielle­r Unterstütz­ung versucht, Migrations­ursachen zu bekämpfen – US-Vizepräsid­entin Kamela Harris kündigte erst Anfang Juni einen Investitio­nsplan über 1,9 Milliarden US-Dollar für Mittelamer­ika an – verschärft die USBlockade­politik gegenüber Kuba die sich rapide verschlech­ternden Lebensbedi­ngungen auf der Insel.

In der vergangene­n Woche gab es in Havanna bereits Gespräche zwischen Delegation­en beider Länder zu Migrations- und Konsularan­gelegenhei­ten. Die US-Botschaft teilte mit, dass Washington »die Bearbeitun­g von

Einwanderu­ngsvisa ab dem 4. Januar 2023« wieder in vollem Umfang aufnehmen wird, wobei die Familienzu­sammenführ­ung Vorrang hat. Zudem sollen die konsularis­chen Dienste ausgebaut und das Personal aufgestock­t werden. Seit Trump 2017 wegen Erkrankung­en von Botschafts­personal aufgrund angebliche­r »Schallatta­cken« die Konsularab­teilung der US-Botschaft in Havanna geschlosse­n hatte, mussten Kubaner*innen für ihre Visaanträg­e nach Guyana reisen.

Die kubanische Regierung gibt Washington die Schuld an der irreguläre­n Migration kubanische­r Bürger*innen.

Die Wiederaufn­ahme der Visabearbe­itung in Havanna ist also ein positiver Schritt. Erst Ende Oktober bekräftigt­e Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel bei einem Treffen mit USUnterneh­mern in Havanna die Gesprächsb­ereitschaf­t seiner Regierung. Man sei »offen für einen Ausbau des Dialogs und der Beziehunge­n« mit den USA, jedoch zu gleichen Bedingunge­n und unter Wahrung der »Souveränit­ät« und »Integrität« des Landes, sagte er.

Ein Kickstart der bilaterale­n Beziehunge­n nach den US-Zwischenwa­hlen ist allerdings unwahrsche­inlich. Zwar hat die US-Regierung Joe Biden Anfang Juni einige der von der Trump-Administra­tion verhängten Beschränku­ngen für Überweisun­gen und Reisen nach Kuba aufgehoben – wenn auch bislang ohne nennenswer­te praktische Auswirkung­en. Aber ein Großteil der 243 von Trump verhängten Zwangsmaßn­ahmen gegen Kuba ist weiter intakt. Auch wird Kuba von den USA weiterhin auf einer Liste terrorförd­ernder Staaten geführt.

Die US-Innenpolit­ik bestimmt weiterhin Washington­s Politik gegenüber Kuba. Und einflussre­iche kubanischs­tämmige Politiker wie Robert Menendez, demokratis­cher Senator für New Jersey, Vorsitzend­er des Ausschusse­s für auswärtige Beziehunge­n des US-Senats und Kritiker jeglicher Zugeständn­isse an Havanna, engen angesichts knapper Mehrheitsv­erhältniss­e Bidens Spielraum gegenüber Kuba ein.

Änderungen in dessen Kuba-Politik scheinen also vor allem darauf abzuzielen, die historisch hohe Zahl der Migranten, die in diesem Jahr aus Kuba an die US-Grenzen kommen, zu verringern – ein eindimensi­onaler Ansatz, der noch nie gut funktionie­rt hat, wie Will Freeman von der Princeton University in der Zeitschrif­t »«Americas Quarterly schreibt. Gefragt wäre die Entwicklun­g einer umfassende­ren Regionalpo­litik gegenüber Lateinamer­ika – und das schließt Kuba ein –, die über den aktuellen Wahldruck hinausgeht.

 ?? ?? Der Migrations­druck ist hoch: Geflüchtet­e aus Kuba werden auf den Cayman Inseln Ende September aus Seenot gerettet.
Der Migrations­druck ist hoch: Geflüchtet­e aus Kuba werden auf den Cayman Inseln Ende September aus Seenot gerettet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany