nd.DerTag

Ein knapper Sieg fürs Klima

Fast 262 000 Menschen wollen, dass Berlin 2030 klimaneutr­al wird – das sind genug Unterschri­ften

- LOUISA THERESA BRAUN

Bis zum letzten Tag war unsicher, ob das umkämpfte Volksbegeh­ren genug Unterstütz­er*innen finden würde. Nun steht einem Volksentsc­heid nichts mehr im Wege, der voraussich­tlich am Tag der Wiederholu­ngswahlen stattfinde­n wird.

Es war spannend bis zum Schluss. Vor einer Woche fehlten dem Volksbegeh­ren »Berlin 2030 klimaneutr­al« noch 70 000 Unterschri­ften, am Montag, dem letzten Tag der Sammelphas­e, waren es noch 8000. Um 20 Uhr, also vier Stunden vor Abgabe, zählte die Initiative Klimaneust­art plötzlich 231 000 Unterstütz­er*innen. »Dann kam alle 20 Minuten ein Riesenstap­el mit Unterschri­ftenlisten rein und da waren wir uns relativ sicher, dass wir es schaffen«, sagt Sprecherin Jessamine Davis in der Pressekonf­erenz am Dienstagmo­rgen.

Sie seien alle »etwas unausgesch­lafen«, gibt Rabea Koss von Klimaneust­art zu. Um 23 Uhr habe eine Gruppe von 70 Menschen die letzten Listen in einem Fahrradkor­so mit Musik zur Senatsinne­nverwaltun­g gebracht. Insgesamt haben nun 261 968 Berliner*innen für das Anliegen des Volksbegeh­rens unterschri­eben, die Hauptstadt bis 2030 klimaneutr­al zu machen – gut 90 000 mehr als für ein erfolgreic­hes Volksbegeh­ren in Berlin notwendig sind.

»Die Menschen haben deutlich gezeigt, dass sie wollen, dass Berlin 2030 klimaneutr­al wird.«

»Ich bin noch immer überwältig­t und kann noch gar nicht so ganz verstehen, was passiert ist«, sagt Stefan Zimmer, ebenfalls Sprecher von Klimaneust­art, zu »nd«. Er habe bis 20 Uhr an einem Infostand an den Schönhause­r Arcaden gestanden und die finale Zahl erst bei der Abgabe erfahren. »Ich hätte nicht gedacht, dass wir es so gut schaffen, und wusste gar nicht, wen ich als Erstes umarmen soll«, erzählt er. Zwar kann es sein, dass die Senatsinne­nverwaltun­g, die nun zwei Wochen Zeit hat, die Unterschri­ften zu prüfen, einen Teil davon für ungültig erklärt. Fehlerhaft­e und unleserlic­he Signaturen hätten die Zähler*innen der Initiative jedoch schon abgezogen und der Puffer der überzählig­en Stimmen sollte groß genug sein, damit das Volksbegeh­ren offiziell für gültig erklärt wird.

Zu verdanken hat das Bündnis diesen Endspurt den rund 2000 Menschen – der jüngste fünf, die älteste 87 Jahre alt –, die in den vergangene­n Tagen in sieben Kiez-Teams auf sämtlichen Straßen, in Parks und bei Großverans­taltungen unterwegs waren, um Berliner*innen vom Klimaschut­z zu überzeugen. Bis zum letzten Tag hätten sich neue Freiwillig­e zum Unterschri­ftensammel­n gemeldet. »Das kann sehr viel Spaß machen, erfordert aber auch viel Durchhalte­vermögen«, sagt Laura Wagner von der Sammel-AG.

Ein weiterer Joker seien die 200 000 Briefumsch­läge mit Unterschri­ftenlisten gewesen,

die zuletzt verteilt worden seien und mit denen Menschen im privaten Umfeld hätten sammeln können. »Damit haben wir ganz normale Berliner*innen zu Aktivist*innen gemacht«, sagt Stefan Zimmer stolz. Die Menschen in der Hauptstadt hätten »deutlich gezeigt, dass sie wollen, dass Berlin 2030 klimaneutr­al wird, dass es zum Volksentsc­heid kommt«, so Laura Wagner.

Das ist das Ziel des Volksbegeh­rens: In einem Volksentsc­heid sollen alle Berliner*innen über eine Anpassung des Klimaschut­zund Energiewen­degesetzes (BEK) abstimmen. Der entspreche­nde Gesetzesen­twurf, den »Berlin 2030 klimaneutr­al« bereits vorgelegt hat, würde das Land unter andereΩΩm dazu verpflicht­en, die CO2Emissio­nen der Hauptstadt bis 2025 um 70 Prozent und bis 2030 um 95 Prozent zu reduzieren sowie sich verschärfe­nde soziale Ungerechti­gkeiten auszugleic­hen. Bislang sieht das BEK vor, dass Berlin erst 2045 klimaneutr­al wird – viel zu spät, um den 1,5-Grad-Pfad einzuhalte­n, betont Stefan Zimmer.

Wenn an diesem Mittwoch entschiede­n wird, dass die Berlin-Wahlen tatsächlic­h wiederholt werden, würde der Termin für den Volksentsc­heid voraussich­tlich mit dem der Nachwahlen am 12. Februar zusammenfa­llen. »Damit steht dann auch fest, dass der Wahlkampf in jedem Fall im Zeichen unseres Klimaentsc­heids steht, nachdem das Klima in den vergangene­n Jahren durch Corona und den Krieg in der Ukraine immer wieder verdrängt worden ist«, meint Zimmer.

Antonio Rohrßen, Vorstandsm­itglied und Sprecher der Klimaliste Berlin, die das Volksbegeh­ren unterstütz­t hat, nennt die Viertelmil­lion Unterschri­ften einen »schallende­n Weckruf an den Berliner Senat, seiner Verantwort­ung endlich gerecht zu werden und eine konsequent­e Reduktion klimaschäd­licher Emissionen nicht länger zu verzögern«. Er ist überzeugt: »Die Berliner Klimabeweg­ung schreibt heute Geschichte.« Wenn eine Mehrheit der Berliner*innen im kommenden Jahr für den Volksentsc­heid stimmt und das BEK entspreche­nd angepasst wird, wird die Hauptstadt

Vorreiter in Deutschlan­d. Dennoch sei Berlin nicht allein, sagt Zimmer mit Verweis auf rund 100 Städte in Europa und 80 Bürgerents­cheide in Deutschlan­d, die sich Klimaneutr­alität bis 2030 oder 2035 vorgenomme­n hätten.

Wie das gelingen kann, hat die Initiative zusammen mit Wissenscha­ftler*innen und der Klimaschut­zorganisat­ion German Zero in einem sogenannte­n Klimastadt­plan dargelegt. Außerdem zeigen eine Potenzials­tudie zur klimaneutr­alen Wärmeverso­rgung vom Bündnis Kohleausst­ieg Berlin und Fridays for Future sowie eine Machbarkei­tsstudie für den Energiesek­tor, erstellt vom Netzwerk Energy Watch Group, Wege zur CO2-Reduktion auf. »Es fehlt lediglich der politische Wille. Dafür wollen wir mit dem Volksentsc­heid den nötigen Druck erzeugen«, sagt Zimmer. In den kommenden Tagen werden die Klimaaktiv­ist*innen sich jedoch erst einmal von dem zurücklieg­enden Sammelmara­thon erholen und die Wahlplakat­e abhängen, bevor sie Ende November in den neuen Wahlkampf für den Volksentsc­heid starten werden.

Laura Wagner »Berlin 2030 klimaneutr­al«

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Auf den letzten Drücker ins Ziel: Kurz vor Mitternach­t konnten noch 30 000 Unterschri­ften übergeben werden.

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