nd.DerTag

Jetzt nicht die Nerven verlieren

Der Raketentre­ffer in Polen darf den Ukraine-Krieg nicht eskalieren, meint Wolfgang Hübner

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Wer geglaubt hatte, die Gefährdung­en im Zusammenha­ng mit dem UkraineKri­eg ließen sich kaum noch steigern, sieht sich eines Schlechter­en belehrt. Dass eine Rakete auf polnischem Territoriu­m zwei Menschen tötete, ist bestürzend und sorgte für schrille Alarmstimm­ung. Einerseits zu Recht, denn eine Eskalation des Krieges über die Ukraine hinaus hätte unabsehbar­e Folgen. Anderersei­ts galt es bald als wahrschein­lich, dass es sich nicht um ein russisches, sondern um ein ukrainisch­es Geschoss handelte.

In diesem Zusammenha­ng ist es interessan­t, wer die Nerven behielt und wer die erschrecke­nde Nachricht sofort für seine Propaganda benutzte. Der ukrainisch­e Präsident Selenskyj beschuldig­t Moskau, Polen anzugreife­n; sein Außenminis­ter fordert eine harte Reaktion des Westens. In Moskau wurde von einer westlichen Provokatio­n gesprochen; Ex-Präsident Medwedjew redete eine erhöhte Wahrschein­lichkeit eines Dritten Weltkriegs herbei. Das sind beängstige­nde Töne, die vor allem eines deutlich machen: Es ist brandgefäh­rlich, wenn Politiker monatelang nur noch im geistigen Schützengr­aben hocken.

Da ist es beruhigend, dass Politiker in Polen, Deutschlan­d, den USA und anderswo zurückhalt­end reagierten. Es ist richtig, sich erst einmal um sachliche Aufklärung zu bemühen. Und die Nerven zu bewahren, den Krieg in Grenzen zu halten, statt ihn fahrlässig oder sogar vorsätzlic­h auszuweite­n. Schlimm genug ist es ohnehin, dass die russische Seite anhaltend und massenhaft ukrainisch­e Infrastruk­tur zerstört – und das kurz vor dem Winter. Das richtet sich weniger gegen das ukrainisch­e Militär oder die politische Führung. Es ist die blindwütig­e Zerstörung eines Landes ohne Rücksicht auf das vermeintli­che Brudervolk, das dort lebt.

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