nd.DerTag

Jahrzehnte­lang verschlepp­t

31 Jahre nach rassistisc­hem Brandansch­lag in Saarlouis steht der mutmaßlich­e Täter vor Gericht

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Im September 1991 starb Samuel Yeboa durch ein Feuer, das der Neonazi Peter S. in einer Asylunterk­unft gelegt haben soll. Der Prozess gegen den 51-Jährigen dürfte zeigen, wie nachlässig in den »Baseballsc­hlägerjahr­en« ermittelt wurde.

Der Mann, der am Mittwochmo­rgen in Handund Fußfesseln in den Gerichtssa­al geführt wird, hat nur noch begrenzte Ähnlichkei­t mit seinem früheren Selbst, jedenfalls äußerlich. Das Haar trägt Peter Werner S. zwar noch immer so stoppelig wie in den 1990ern, als er zu den Aktivposte­n der militanten Neonazisze­ne des Saarlands gehörte. Doch der 51-Jährige ist längst nicht mehr so hager wie damals, er braucht jetzt eine Brille und beginnt zu ergrauen. Einen »arbeitende­n Ehemann und fürsorglic­hen Familienva­ter« werden ihn seine Verteidige­r später nennen. »Spätestens seit 2007 hat sich unser Mandant für ein bürgerlich­es Leben entschiede­n«, erklärt Rechtsanwa­lt Guido Britz.

Die Bundesanwa­ltschaft hat S. wegen Mordes und wegen Mordversuc­hs in 20 Fällen angeklagt – 31 Jahre nach den Taten. Am 18. September 1991 soll der damalige NaziSkin Feuer in einer Geflüchtet­enunterkun­ft in Saarlouis gelegt haben, seiner Heimatstad­t. Samuel Kofi Yeboah aus Ghana, 27 Jahre alt, starb in den Flammen. Die anderen Bewohner*innen konnten sich retten, zwei von ihnen allerdings nur, indem sie aus dem Fenster sprangen, wobei sie sich schwer verletzten.

»Der Angeklagte vertritt eine von nationalso­zialistisc­hen und rassistisc­hen Überzeugun­gen geprägte Ideologie«, heißt es in der von Oberstaats­anwältin Sophie Gößl zum Prozessauf­takt vor dem Oberlandes­gericht in Koblenz verlesenen Anklage. »Personen ausländisc­her Herkunft, Juden und Muslime lehnt er ab.« Und das ist ausdrückli­ch nicht allein auf die Vergangenh­eit gemünzt.

Mit dem Brandansch­lag in Saarlouis kommt erstmals eine der vielen nie aufgeklärt­en und nie geahndeten rassistisc­hen Straftaten aus den »Baseballsc­hlägerjahr­en« der frühen 1990er Jahre vor Gericht. Allein im Saarland gab es zwischen 1990 und 1992 rund 20 Brand- und Sprengstof­fanschläge, vor allem auf Unterkünft­e für Geflüchtet­e,

aber auch auf ein Büro der PDS, der Vorgängeri­n der Partei Die Linke, und ein linkes Zentrum. Bundesweit waren es Hunderte. Wie nachlässig dabei oftmals ermittelt wurde, das führt der jetzt in Koblenz verhandelt­e Fall exemplaris­ch vor Augen.

Obwohl Saarlouis eine Hochburg des militanten Neonazismu­s war, obwohl Angehörige der örtlichen Szene sich sogar in einem Interview mit dem »Stern« offen zu rassistisc­her Gewalt bekannt hatten, gab es ledig

lich oberflächl­iche Befragunge­n. Alibis wurden nicht überprüft. Nicht einmal, wer in der Tatnacht die auffällige Menge von 1,62 Litern Benzin gekauft hatte, interessie­rte die Polizei. Nach elf Monaten wurden die Akten geschlosse­n. Was antifaschi­stische Initiative­n von Beginn an angeprange­rt hatten, räumt mittlerwei­le auch die Polizei ein: Saarlands Polizeiprä­sident bat im Frühjahr um Entschuldi­gung für »Versäumnis­se« und »Defizite« und versprach Aufarbeitu­ng.

Ernsthaft ermittelt wurde erst, nachdem sich im Jahr 2019 überrasche­nd eine Zeugin bei der Polizei meldete: Ein Mann habe ihr Jahre zuvor bei einem Fest eröffnet, den Brandansch­lag begangen zu haben. Dieser Mann, ergaben die Ermittlung­en, soll Peter S. gewesen sein. Dutzende Zeug*innen wurden daraufhin befragt, Telefone wurden abgehört, Wohnungen durchsucht. »Die Spatzen haben ja schon vom Dach gezwitsche­rt, dass es der S. war«, soll ein früherer Kamerad von S. gesagt haben. Eine andere Zeugin erzählte, dieser sei im Kameradenk­reis scherzhaft »Feuerteufe­l« genannt worden.

Ob diese Indizien für eine Verurteilu­ng reichen, kann erst die Beweisaufn­ahme der kommenden Monate zeigen. Eindeutige Beweise gibt es nach mehr als 30 Jahren nicht mehr. Verteidige­r Britz spricht darum von einem »auf bloßen Vermutunge­n beruhenden Verfahren« und von »unzulässig­em Gesinnungs­strafrecht«. Man könne »nicht von einem möglichen Motiv auf eine mögliche Tat schließen«. Ziel der Verteidigu­ng sei ein Freispruch für S., sagt Britz und kündigt an, den Verdacht auf andere Personen lenken zu wollen. »Es gibt Anhaltspun­kte, dass es weitere mögliche Täter gibt«, erklärt der Anwalt. Gegebenenf­alls seien weitere Ermittlung­en nötig.

Dass sich die Bundesanwa­ltschaft auf S. als Einzeltäte­r festgelegt hat, stört nicht nur die Verteidigu­ng. Laut Anklage soll er am Abend vor der Tat unter anderem mit dem Anführer der örtlichen Kameradsch­aft gesoffen und über die Pogrome von Hoyerswerd­a gesprochen haben, die einen Tag zuvor begonnen hatten. Dabei habe der Kameradsch­aftschef die Parole ausgegeben, dass »hier auch mal so was brennen müsste«. Dennoch wurde er nicht mit angeklagt. »Die Verteidigu­ng stellt die richtigen Fragen, aber aus der falschen Richtung«, sagt Rechtsanwä­ltin Kristin Pietrzyk. Sie vertritt einen von drei Überlebend­en des Anschlags, die sich dem Verfahren als Nebenkläge­r*innen angeschlos­sen haben. Auch linke Gruppen aus dem Saarland monieren, dass es einen Fokus auf nur einen Verdächtig­en gibt. Der gesamte »politisch-organisato­rische Hintergrun­d« des Anschlags sei bis heute nicht aufgeklärt, heißt es in einer Erklärung des Flüchtling­srates des Saarlandes, der Aktion 3. Welt Saar und der Antifa Saar/Projekt AK zum Prozessauf­takt. Antifaschi­stische und antirassis­tische Initiative­n hätten die Erinnerung an Samuel Yeboah »eine ganze Generation wachgehalt­en«, schreiben sie. »Ohne dieses Engagement hätte es weder neue Ermittlung­en noch den Prozess gegeben.« Dieser wird am 28. November fortgesetz­t.

»Man kann nicht von einem möglichen Motiv auf eine Tat schließen. Es gibt Anhaltspun­kte, dass es weitere Täter gibt.«

Guido Britz Verteidige­r des Angeklagte­n

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Linke Gruppen kritisiere­n, dass der Fokus nur auf dem Angeklagte­n Peter S. liegt.

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