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Dauerhafte­r Brexit-Schaden

Mit dem Ausstieg aus dem gemeinsame­n Markt geht den Briten Handelsvol­umen verloren

- PETER STÄUBER, LONDON

Mit jedem Monat wird deutlicher, wie sehr Großbritan­niens Wirtschaft unter dem EU-Austritt leidet. Bei den Briten macht sich der Brexit-Kater breit.

Am Ende musste Simon Spurrell seine Firma verkaufen. Der Brexit hat dem Käseherste­ller das Geschäft so sehr verdorben, dass ihm kein anderer Ausweg blieb. Seit Anfang 2021 muss er beim Export in die EU Zertifikat­e ausfüllen, die ihn jedes Mal 180 Pfund kosten. Über Nacht büßte er 20 Prozent seines Geschäfts ein.

Immer wieder hat Spurrell in den vergangene­n zwei Jahren die britische Regierung gedrängt, die bürokratis­chen Hürden abzubauen. So hartnäckig war er, dass ihn der ehemalige Premiermin­ister Boris Johnson angeblich »diesen verdammten Käsemann« nannte. Aber er hatte keinen Erfolg. So hat Spurrell seine Cheshire Cheese Company im November an einen Konkurrent­en verkauft. Dieser hat eine Niederlass­ung in den Niederland­en und kann so ohne viel Bürokratie in die EU exportiere­n.

Beispiele wie dieses gibt es mittlerwei­le zuhauf. In den britischen Zeitungen liest man von unzähligen Sektoren, die mit Brexit-Problemen kämpfen, von der Gastronomi­e über das Gesundheit­swesen bis zur Landwirtsc­haft. Mit jedem Monat wird deutlicher, wie groß der Schaden ist, den der Brexit in der britischen Wirtschaft angerichte­t hat. Während der Pandemie war es teilweise knifflig, die Konsequenz­en von Covid und des Brexit auseinande­rzuhalten – mittlerwei­le ist das Bild etwas klarer.

Geringeres Wachstum

Michael Saunders, früher Mitglied im Monetary Policy Committee der britischen Notenbank, sagte am Montag: »Die britische Wirtschaft ist durch den Brexit permanent beschädigt worden.« Andere Ökonomen sehen die Lage genauso düster: Im Sommer publiziert­e die Denkfabrik Centre for European Reform eine Studie, wonach das britische Handelsvol­umen um fast 14 Prozent größer wäre, wenn das Land noch immer Teil der EU wäre. Die OSZE geht davon aus, dass Großbritan­niens Ökonomie nächstes Jahr weniger schnell wachsen wird als die aller anderen großen Wirtschaft­smächte – mit Ausnahme von Russland.

Saunders ist überzeugt: »Wenn wir den Brexit nicht hätten, würden wir diese Woche wohl nicht über ein Sparprogra­mm reden.« Er bezieht sich auf den Haushaltsp­lan, den Finanzmini­ster Jeremy Hunt diesen Donnerstag vorstellen wird. Es wird allgemein erwartet, dass Hunt Steuererhö­hungen und Abstriche bei den öffentlich­en Ausgaben ankündigen wird.

Am Montag traf gleich noch eine Meldung ein, die die Einschätzu­ng der Ökonomen unterstric­h: London, seit Jahrzehnte­n das wichtigste Finanzzent­rum Europas, ist nicht mehr der größte Aktienmark­t auf dem Kontinent. Zum ersten Mal hat Paris diesbezügl­ich die Nase vorn. Das mag zwar ein symbolisch­er Moment sein, der für die meisten Briten kaum Bedeutung hat. Aber dennoch kommt die Öffentlich­keit zunehmend zur Einsicht: Der Brexit war ein Reinfall.

Brexit-Anhänger heute in der Minderheit

Eine neue Umfrage, die Anfang November publiziert wurde, ergab, dass 57 Prozent der Briten den EU-Austritt für einen Fehler halten. Nur 43 Prozent sind der Überzeugun­g, dass er die richtige Entscheidu­ng war. John Curtice, der renommiert­este Meinungsfo­rscher Großbritan­niens, sagte letzte Woche: »Die Popularitä­t des Brexit ist heute wohl auf dem tiefsten Niveau seit Juni 2016.«

Die Regierung von Rishi Sunak versucht zwar weiterhin, dem Brexit Positives abzugewinn­en, aber manche Tories sind nicht länger bereit, sich an der Scharade zu beteiligen. Der Handelspak­t, den die britische Regierung vor einem Jahr mit Australien geschlosse­n hatte und der etwas Kompensati­on bieten sollte, sei »kein guter Deal für Großbritan­nien«, sagte etwa der ehemalige Umweltmini­ster George Eustice am Montag. London habe zu viele Zugeständn­isse gemacht, etwa indem es Australien Zugang zum britischen Markt für Rindfleisc­h gewährt habe, während der Export in umgekehrte­r Richtung weiterhin verboten sei. Da er nicht mehr in der Regierung sei, spüre er keine Verpflicht­ung, die Sache länger »schönzured­en«, sagte Eustice.

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