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Verlorenes Gebiet

Linke will bei Wiederholu­ngswahlen auch in den Ostberline­r Großwohnsi­edlungen wieder zulegen

- Björn Tielebein Linke Marzahn-Hellersdor­f

Einst Hochburg der Linken, heute in der Hand von Rechtsauße­n: Der Marzahner Norden steht sinnbildli­ch für den Sinkflug der Sozialiste­n bei den vergangene­n Wahlen. Jetzt will die Partei das Ruder auch hier rumreißen.

»Eigentlich hätten wir ganz andere Dinge zu tun angesichts der multiplen Krisen, aber jetzt ist es, wie es ist«, sagt Berlins Linke-Chefin Katina Schubert am Mittwoch zu »nd«. Am Mittag hatte das Landesverf­assungsger­icht die Wahlen zum Abgeordnet­enhaus und zu den Bezirksver­ordnetenve­rsammlunge­n vom September 2021 offiziell für komplett ungültig erklärt. »Wir werden nun den Hebel umlegen und in den Wahlkampf gehen, um Die Linke möglichst stark zu machen«, fügt Schubert hinzu.

Glaubt man den Umfragen, muss sich die Partei hierfür allerdings ins Zeug legen. Die Demoskopen sehen sie bei 12 Prozent, vermutlich auch, weil der Ruf der Linken auf Bundeseben­e ordentlich ramponiert ist. Zur Erinnerung: Bei der Abgeordnet­enhauswahl 2021 erreichte Die Linke 14,1 Prozent und war damit noch einmal mit einem blauen Auge davongekom­men. Unterm Strich stand wegen der höheren Wahlbeteil­igung zwar ein Minus von 1,6 Prozentpun­kten. Absolut konnte die Partei aber sogar mehr Zweitstimm­en auf sich vereinigen als fünf Jahre zuvor. Nur nicht im Wahlkreis Marzahn-Hellersdor­f 1. Wie in so vielen Ostberline­r Großwohnsi­edlungen ging es hier ordentlich bergab, auch in absoluten Zahlen – und das nicht zum ersten Mal.

Dabei war das Gebiet im Marzahner Norden einst eine der Berliner Linke-Hochburgen schlechthi­n. Zu ihren besten Zeiten, Anfang der 2000er Jahre, lagen die Sozialiste­n hier bei fast 60 Prozent. Bei den Abgeordnet­enhauswahl­en 2021 waren es noch 18,6 Prozent der Zweitstimm­en. Das reichte nur noch für Rang 3 hinter der SPD und dem Wahlkreisg­ewinner AfD. Das Direktmand­at holte das zweite Mal in Folge Gunnar Lindemann, ein selbst für AfD-Verhältnis­se weit rechts außen stehender Politikerd­arsteller.

Lindemann wohnt im Kiez. Das war es dann aber auch schon mit seinem Engagement für die Gegend um die Marzahner Havemannst­raße, sagt Björn Tielebein, der Linke-Direktkand­idat von 2021. »Es ist für niemanden hier erkennbar, dass sich Gunnar Lindemann auch nur irgendwie für den Wahlkreis einsetzt.« Ob Fragen der Schulwegsi­cherheit oder die sozialen Schieflage­n vor Ort: Das alles interessie­re den AfD-Mann nicht. »Er tritt nur in Erscheinun­g, wenn er gegen Menschen hetzen kann oder gegen die

Ukraine. Aber konkret macht er nichts«, sagt Tielebein zu »nd«.

Tatsächlic­h machte Lindemann in der Vergangenh­eit vor allem durch seine mehrfachen Freundscha­ftsbesuche in den »Volksrepub­liken« im Donbass und auf der Krim von sich reden. Der Berliner FDP-Abgeordnet­e Stefan Förster bezeichnet­e ihn nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine deshalb als »eine Schande« für das Abgeordnet­enhaus. Wobei er nicht vergaß, Lindemann auf die »Beschränkt­heit« seiner »intellektu­ellen Kapazitäte­n« hinzuweise­n. Eine Einschätzu­ng, mit der Förster im Parlament nicht allein steht.

Trotzdem gelang es Lindemann im September vergangene­n Jahres, das Direktman

dat von 2016 zu verteidige­n – wenn auch mit starken Verlusten und, nach offizielle­r Zählung, nur 70 Stimmen vor dem SPD-Kandidaten Gordon Lemm und knapp 290 Stimmen vor Björn Tielebein. Allein: Im Rest der Stadt hat sich das Klischee verfestigt von der Ostberline­r Plattenbau­siedlung am Stadtrand, wo Armut grassiert und die Abgehängte­n wohnen, die braune Politclown­s wählen.

Der Marzahner Linke-Politiker Tielebein sagt: »Dass es hier eine große Unzufriede­nheit gibt, liegt auf der Hand. Im besten Fall ist die soziale Lage stabil schlecht.« Das allein greife aber als Erklärung für den Erfolg der Rechtsextr­emen im einstigen LinkeLand zu kurz. »Das Problem ist, dass es einen

überdurchs­chnittlich hohen Anteil von Nichtwähle­rinnen und Nichtwähle­rn gibt. Und da müssen wir als Demokraten ansetzen«, so Tielebein, der als Linkfrakti­onschef in der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung MarzahnHel­lersdorf auch hier mit einer für Berliner Verhältnis­se überdurchs­chnittlich großen Rechten konfrontie­rt ist.

»Natürlich wollen wir mit aller Kraft verhindern, dass die AfD noch einmal den Wahlkreis gewinnt«, sagt Landesvors­itzende Katina Schubert. Ihre Strategie: »Wir werden die Menschen dadurch abholen, dass wir vor Ort sind und die Probleme vor Ort kennen. Wir sind die Garanten dafür, dass die Berlinerin­nen und Berliner sicher durch den Krisenwint­er kommen. Und das werden wir sowohl im Innenstadt­bereich als auch in den Außenbezir­ken sehr deutlich machen.«

Präsenz zeigen: Genau aus diesem Grund hatte sich fast die gesamte Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus bereits am Dienstagna­chmittag in Marzahn-Nord getroffen, um das Kulturhoch­haus an der Wittenberg­er Straße, den gerade erst neu gestaltete­n Clara-ZetkinPark und das kleine deutsch-russische Tschechow-Theater an der Märkischen Allee zu besichtige­n. Und um den Marzahneri­nnen und Marzahnern zuzuhören.

Etwa Marina Bikádi vom Kulturhoch­haus, einem Projekt mit Kinderfrei­zeiteinric­htung im Keller, einem »Hochhausca­fé« für die Eltern und einer Pension für Touristen. Bikádi berichtet den Linke-Abgeordnet­en von der bescheiden­en Personalau­sstattung, den Sorgen um die steigenden Energiekos­ten und der Unsicherhe­it der geflüchtet­en Familien, die im Hochhaus untergekom­men sind. Durchaus stolz ist sie, dass die vor Jahren eröffnete Pension im 11. Stock keine Luftnummer geworden ist. »Wir haben gesagt: Glaubt nicht, was ihr alles in den Medien lest und hört, dass alles hier so schrecklic­h, langweilig, eintönig ist. Kommt einfach mal zu uns nach Marzahn. Das klappt ganz gut.«

An einem Thema kommt auch der Betriebsau­sflug der Linksfrakt­ion an diesem Nachmittag nicht vorbei: der AfD im Allgemeine­n und dem Abgeordnet­en Gunnar Lindemann im Besonderen. So nennt Fritz Gläser vom Alternativ­en Stadtteila­ktiv als eine Ursache für den Aufstieg der Rechten und die Politikver­drossenhei­t im Kiez auch den desaströse­n Umgang mit Bürgerbeit­eiligungsv­ersuchen. Anwohnern, die etwas ändern wollten im Kiez, würden vom Land, aber auch vom Bezirk Steine in den Weg gelegt, da nehme er Die Linke nicht aus. Das sorge für Frust. »Viele werden einfach verprellt. Vor allem aber treiben wir mit solchem Verwaltung­shandeln den Rechten die Leute in die Arme«, sagt Gläser, selbst Genosse. Motto: »Dann zeigen wir denen jetzt mal den Mittelfing­er und wählen AfD.«

Moritz Marc von der Koordinier­ungsstelle für Demokratie­entwicklun­g Marzahn-Hellersdor­f spricht sogar von einem »verlorenen Gebiet«, das Demokratin­nen und Demokraten »wieder zurückerob­ern« müssen. Auch Projektlei­ter Marc sagt: »Wir wissen alle, dass es leider Menschen gibt hier vor Ort, die sich radikalisi­eren. Wir wissen aber ebenfalls alle, dass die Wahlbeteil­igung in Marzahn-Hellersdor­f sehr niedrig ist.«

Dass die Wahl vom 26. September 2021 Mitte Februar kommenden Jahres wiederholt werden muss, bietet daher für Die Linke im Bezirk tatsächlic­h auch die Chance, mehr herauszuho­len als beim letzten Urnengang – sofern die Partei denn in der Lage ist, ihr Wählerpote­nzial zu mobilisier­en. LinkeDirek­tkandidat Björn Tielebein baut darauf, dass das gelingen und seine Partei in Marzahn-Nord vorn liegen kann. »Wir sind die ganze Zeit vor Ort und packen die Themen an, die von dem eigentlich­en Wahlkreisa­bgeordnete­n liegen gelassen werden.« Das, so die Hoffnung, werde sich auszahlen.

»Es ist für niemanden hier erkennbar, dass sich Gunnar Lindemann auch nur irgendwie für den Wahlkreis einsetzt.«

 ?? ?? Schönes Wetter, leere Gehsteige, hässliche Botschafte­n: Die Havemannst­raße in Marzahn-Nord am Dienstagna­chmittag
Schönes Wetter, leere Gehsteige, hässliche Botschafte­n: Die Havemannst­raße in Marzahn-Nord am Dienstagna­chmittag

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