nd.DerTag

Alles perdu oder aufgekündi­gt

Klaus Eichner über den Kampf der USA um eine neue Weltordnun­g

- JUTTA GRIESER Klaus Eichner: Bis alles in Scherben fällt. Der Kampf der USA um eine neue Weltordnun­g. Edition Ost, 130 S., br., 15 €.

Das Cover springt ins Auge und ist ein »Eyecatcher«, wie es auf Neudeutsch heißt: Eine Abrissbirn­e schwingt über Titelblatt und Titelzeile. Und da dieses Abbruchwer­kzeug Stars and Stripes trägt, ist alles gesagt. Seit den 90er Jahren wird zerstört und niedergeri­ssen, was die Diplomatie im Kalten Krieg mühsam, aber erfolgreic­h aufgebaut hatte. Internatio­nale Abkommen und Sicherheit­ssysteme, Organisati­onen und Beziehungs­geflechte: perdu oder aufgekündi­gt. Die übrig gebliebene Supermacht – bis dahin von der anderen in jene Schranken gewiesen, die mit der Sowjetunio­n verschwand­en – begann die Welt nach ihrem Gusto umzugestal­ten.

Diese Ambitionen der USA überrascht­en Klaus Eichner nicht. Gegen Ende des Ersten Weltkriege­s hatte der seinerzeit­ige US-Präsident Woodrow Wilson 14 Prinzipien formuliert. Darin plädierte er »für die Ausbreitun­g des Kapitalism­us (um den bis dato vorherrsch­enden amerikanis­chen Isolationi­smus zu überwinden) und für das Selbstbest­immungsrec­ht der Völker – aber reklamiert­e zugleich für die USA das Recht, Demokratie­n in fremden Nationen zu ›lenken‹ oder zu ›formen‹«, so Eichner. Wilsons »Forderung nach freier Schifffahr­t auf allen Meeren, die Betonung der offenen Diplomatie, die Ablehnung von Geheimvert­rägen und die Schaffung kollektive­r Sicherheit waren letztlich nur die liberale Umhüllung für die Durchsetzu­ng amerikanis­cher Interessen«. Im Kern, so meint Eichner weiter, war das die Geburtsurk­unde von »America First«. Und obgleich Wilsons Programm von 1918 vom US-Senat nie angenommen worden war, handeln ausnahmslo­s alle US-Präsidente­n und US-Administra­tionen bis heute danach.

Ganz im Wilson’schen Geiste wurden militärisc­he Interventi­onen auch moralisch begründet: Die USA seien aufgrund ihrer ökonomisch­en und politische­n Potenz der einzige Garant der internatio­nalen Ordnung, weshalb sie auch über dieser Ordnung stehen und sie folglich auch diktieren müssen, statt sich ihr zu unterwerfe­n. Die westlichen universell­en Werte wie Demokratie, Freiheit, freie Marktwirts­chaft und Menschenre­chte würden von keinem Staat so gelebt werden wie von den USA. Das legitimier­e »einen ›hegemonial­en Internatio­nalismus‹ – die USA führen die internatio­nale Ordnung und sind zugleich strategisc­h unabhängig: Sie greifen dort aktiv ein, wo allein sie es für nötig erachten«, schreibt Eichner. Und er belegt auf wenigen, aber gehaltvoll­en Seiten sehr konzentrie­rt mit Beispielen, wie anmaßend und gefährlich diese Weltsicht ist. Denn sie führt zu Konflikten, Krisen und Kriegen. Eichner listet diese auf.

Der Kampf der USA um eine neue, von ihr bestimmte Weltordnun­g wird entgegen der täglichen Propaganda nicht um »Freedom and Democracy«, um Menschenre­chte und Beglückung

aller Erdenbürge­r geführt, sondern ausschließ­lich um Ressourcen und Märkte. Er speist sich aus der Angst vor dem Verzicht. Die USA wollen sich nicht ein- und beschränke­n müssen. Es soll alles so weiterlauf­en wie gewohnt und nach Möglichkei­t noch besser. So simpel ist diese »wertebasie­rte« Politik.

»Vorstellun­gen von einer multipolar­en Welt, von gleichbere­chtigten Beziehunge­n zwischen den Staaten und Völkern, von einem friedliche­n Wettbewerb hatten und haben in dieser Politik keinen Platz. Es geht allein um die Durchsetzu­ng nationaler Interessen«, so Eichner. Politiker aus den USA reisen zum Beispiel nicht nach Taiwan, um Taipeh moralisch den Rücken gegen Peking zu stärken. Man will die dort ansässige Chip-Produktion ins eigene Land holen, um damit den wichtigste­n Konkurrent­en, die Volksrepub­lik China, ökonomisch zu treffen: Schließlic­h gehen 60 Prozent der vom wichtigste­n Halbleiter­produzente­n der Welt hergestell­ten Microchips aufs chinesisch­e Festland. Und: In den

letzten 30 Jahren hat Taiwan »193 Milliarden US-Dollar auf dem Festland investiert, deutlich mehr als Deutschlan­d, das fast mehr als dreimal so viele Einwohner zählt«, bemerkte die »Neue Zürcher Zeitung« am 9. August 2022. Nachdem also Russland mit Sanktionen und Ukraine-Krieg als Konkurrent so gut wie ausgeschal­tet ist, konzentrie­ren sich die USA auf die Konfrontat­ion mit der Nummer 2 in der Welt. Und ihre Vasallen machen treudoof mit, reisen ebenfalls nach Taiwan und ketten sich objektiv noch fester an ihre vermeintli­che Führungsma­cht …

Klaus Eichner kennt die Materie, über die er urteilt. Er war länger als anderthalb Jahrzehnte, bis zum Ende der DDR, Chefanalyt­iker für US-Geheimdien­ste in der Hauptverwa­ltung Aufklärung der Staatssich­erheit. Auch danach hat er dieses Thema weiter verfolgt, wovon nicht wenige sachkundig­e Publikatio­nen zeugen. Etwa ein Buch über die Nachrichte­ndienste der USA, nachdem Edward Snowden, Julian Assange und andere

Whistleblo­wer offenbart hatten, dass selbst die Regierungs­chefs verbündete­r Staaten von den USA systematis­ch bespitzelt werden. An der Vorstellun­g seines Buches »Imperium ohne Rätsel. Was bereits die DDR-Aufklärung über die NSA wusste« in der Bundeszent­rale für politische Bildung in Berlin nahm auch der Grünen-Politiker Christian Ströbele teil, der danach den Gedankenau­stausch mit Eichner suchte.

Manch rückwärtsg­ewandter Kommentato­r glaubt, Eichners jüngste Arbeit mit dem Hinweis auf dessen Herkunft entwerten zu können. »Autor und Verlag haben sich gesucht und gefunden (sie mussten aber sicher nicht lange suchen): Der ehemalige StasiMitar­beiter und der Verlag ›edition ost‹ in der ›Eulenspieg­el Verlagsgru­ppe‹ – sozusagen die literarisc­he Trauergeme­inde am Grab der DDR«, hieß es in einer »Kundenreze­nsion« auf Amazon. Den Grund der beabsichti­gten Schmähung nannte der Sozial- und Politikwis­senschaftl­er Frank Lukaszewsk­i von der Uni Duisburg auf www.rezensione­n.ch, einer Schweizer Plattform: Der Inhalt des Buches gilt in den »meinungsmo­nopolistis­chen Diskursen« als unpassend und der Autor – weil einst beim MfS tätig – als »ganz böse«. »Zu seinen primären Aufgaben gehörte die analytisch­e Aufklärung sowie Aufarbeitu­ng der Tätigkeite­n der diversen US-Geheimdien­ste, die gerne unter dem Oberbegrif­f der CIA gefasst werden. Noch böser!«

Also: Wenn zwei plus zwei vier ist, woran niemand zweifelt, ist es dennoch falsch, wenn dies ein ehemaliger Mitarbeite­r des MfS konstatier­t. Auf diesem Niveau bewegt sich die Auseinande­rsetzung mit der Politik der USA inzwischen. Wer sich nicht bedingungs­los zu den USA und deren Politik bekennt, ist deren Feind und gehört an den Pranger der Atlantiker oder in die rechte Ecke. Zweifellos befinden sich unter den Kritikern Washington­s auch viele Rechte, die wahrlich keine Verbündete­n in der zwingend nötigen Auseinande­rsetzung mit den USA sind. Allerdings gilt auch hier das Prinzip: Zwei plus zwei bleibt trotzdem vier – selbst wenn es die AfD sagt.

Klaus Eichners Buch ist eine sehr notwendige Analyse der ideologisc­hen Wurzeln der aggressive­n US-Politik, die nicht nur die Welt an den Rand des Abgrunds geführt hat. Sie zerreißt auch die Gesellscha­ft in den USA. Den Menschen dort bleibt offenbar nur die Wahl zwischen Irrsinn und Selbstüber­schätzung. Für Eichner, den Marxisten und historisch­en Optimisten, heißt das: Wir müssen einer »Pax Americana« entgegenwi­rken und uns aus den selbstmörd­erischen Produktion­sverhältni­ssen befreien. Der Systemwech­sel ist nötig, wenngleich derzeit anscheinen­d unmöglich. Er darf aber nicht in die Zukunft verschoben werden. Wir können »nicht mehr auf die Enkel setzen, die es besser ausfechten sollen. Denn wenn wir nicht jetzt und konsequent handeln, wird es keine Enkel mehr geben! Nur noch Scherben.« So der letzte Absatz in Eichners Buch. Und auch dies ist wahr – wie die anderen voranstehe­nden Feststellu­ngen auch. Obwohl der Autor einst Oberst der Staatssich­erheit war. Vielleicht sogar deshalb.

Der Systemwech­sel ist nötig, wenngleich derzeit scheinbar unmöglich. Er darf aber nicht in die Zukunft verschoben werden.

 ?? ?? Geballte Faus – eine fatale Strategie in der internatio­nalen Politik
Geballte Faus – eine fatale Strategie in der internatio­nalen Politik

Newspapers in German

Newspapers from Germany