Eigene Wohnung statt Beziehung
Die Dramedy »Lamia« wirf einen heiter bis wolkigen Blick auf algerische Einwanderer und vermeidet dabei Stereotype
Na, das geht ja gut los für Lamia: Mit Turnschuhen, Jeans und bester Laune rennt die Berliner Studentin treppauf zu einer Wohnungsbesichtigung, wo ihr Name allein der Maklerin das Maklerlächeln gefrieren lässt: Masud. Auf dem ultrahocherhitzten Mietmarkt sind diese zwei Silben ungefähr so erfolgversprechend wie drei Hunde oder vier Katzen.
Und dann geht es auch gut weiter: In der Eiseskälte trifft die Deutsch-Algerierin den Landsmann Edi, der zum Niederknien niedlich und dann noch ein Sohn des ältesten Freundes vom eigenen Vater ist, der dummerweise nichts von Lamias Auszugsplan wissen darf.
So vertrackt wie die Geschichte beginnt, muss man Böses ahnen: Entweder geht es dort fortan um das, was die Unterhaltungsbranche »Culture Clash« nennt – also den heiter bis wolkigen Zusammenstoß Eingeborener mit Zugewanderten – gern nordafrikanischer Herkunft. Oder es droht ein weiteres Plattenbaudrama voller Alkohol und Gewalt, das Menschen mit berüchtigtem Migrationshintergrund zu Opfern einer xenophoben Mehrheitsgesellschaft degradiert oder sie zu Tätern werden lässt.
Der Writers Room von Sarah Kilter und Nilgün Akıncı dagegen hat einen Mittelweg gewählt, auf dem ihre Regisseurin Süheyla Schwenk die Extrempole des multikulturellen Gegeneinanders souverän umschifft. Besser noch: geschickt ausklammert. Denn »Lamia« kommt achtmal 20 Minuten weitestgehend ohne Stereotype aus, was noch eindrücklicher gerät, weil die Serie – Achtung Segregation! – nahezu komplett im Saft der eigenen Community schmort.
Die Mittzwanzigerin Lamia, ein bisschen hölzern, aber gerade dadurch authentisch gespielt von Amel Charif, wohnt Tür an Tür mit ihrem Bruder Younes (Shadi Eck) in der winzigen Etagenwohnung von Radia (Sahra Daugreilh) und Said (Husam Chaid) Masud, der knapp 40 Jahre nach seiner Flucht in die damalige DDR noch immer um seine Position am Rand der deutschen Leitkultur kämpft. Dieser Enge versucht Lamia durch Auszug zu entgehen, was für ledige Frauen mit ihren Wurzeln schwer den Segen der Eltern findet und auch sonst inner- wie interkulturelle Haken hat.
Ein Dialog mit der Schwester ihres Schwarms Edi (Eidin Jalali) bringt es fast perfekt auf den Punkt: »Hast du einen Freund?«, fragt sie auf der traditionellen Verlobung ihrer Cousine allein unter Algerierinnen. »Das ist gerade gar nicht so mein Thema«, antwortet Lamia. »Was ist denn dein Thema?«, hakt die standesbewusste Kopftuchträgerin bei der westlich geprägten Freundin nach. »Ich hätte eigentlich gern eine eigene Wohnung.« Mitfühlendes Lächeln: »Und mit deinem Nachnamen kannst du da lange suchen, ne?« Theoretisch ja, praktisch dauert es nur bis zum Ende der dritten Folge, als Lamia um ein Zeichen Allahs für ihre Bereitschaft zu beten bittet.
Sekunden später hat sie ein Wohnungsangebot auf dem Handy. Das Außergewöhnliche dieser Nischenserie ist, dass sie ohne – wie bei Kulturkollisionen üblich – ständig im Netz aus Schuldzuweisungen, Betroffenheitsprosa und Toleranzgefasel landet. Das weibliche Trio Schwenk/Kilter/Akıncı hat eine Milieustudie kreiert, die Opfer- und Täter konsequent durch Objekte und Subjekte ersetzt, Verantwortung fürs eigene Vorankommen also vor allem bei den Individuen selber sucht. Die – fast ausnahmslos orientalischen – Charaktere dürfen viele Riten und Gebräuche ihrer Vorfahren deshalb ohne Furcht davor pflegen, als konservativ, gar reaktionär gedeutet zu werden.
Wenn Lamia mit dem klugen, kultivierten, schönen Edi mal wieder über Glauben diskutiert, ist es also keine Rückbesinnung auf das, was war, sondern eine seltene Form der fiktionalen Selbstermächtigung. Um Schwärmerei
»Lamia« kommt ohne Stereotype aus, was noch eindrücklicher gerät, weil die Serie nahezu komplett im Saft der eigenen Community schmort.
zu vermeiden: »Lamia« hat auch seine Schwächen. Dass Einwanderer kaum Arabisch miteinander reden, ist nur durch die servile Unterforderung des deutschsprachigen Publikums zu erklären. Amel Charifs sprödes Spiel wird nur teilweise durch ihre organische Mimik aufgewogen. Und ein paar Deutsche mehr hätten es am Ende doch sein dürfen, um zu zeigen, dass dieses Berlin nicht am Mittelmeer liegt.
Spätestens aber, wenn Said ein Geheimnis seiner DDR-Historie einholt, an der die Familie zu zerbrechen droht, gewährt »Lamia« seinem Personal Persönlichkeit fernab ausgetretener Culture-Clash-Pfade von Kriminalität und Rassismus bis Folklore oder Islam, der trotz aller emanzipatorischen Kälte hier warmherziger wirken darf als in jeder vergleichbaren Erzählung.
Als Männer und Frauen nach der Verlobungsfeier getrennt beten, klingt es für deutsche Ohren daher auf patriarchale Art antiquiert. Doch wenn Süheyla Schwenk das weibliche Fürbitten über den Abspann weiterlaufen lässt, scheint die Sache komplexer zu sein. Wie die Serie insgesamt.