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»Die Linke braucht dringend ein Kraftzentr­um«

Dagmar Enkelmann über Defizite der Linksparte­i und zehn Jahre Arbeit an der Spitze der Rosa-Luxemburg-Stiftung

- INTERVIEW: WOLFGANG HÜBNER

Sie sind seit fast zehn Jahren Vorstandsv­orsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Als Sie dieses Amt übernommen haben, ging es der Linksparte­i gut – mit über zehn Prozent im Bundestag, in sechs westdeutsc­hen Landtagen vertreten, im Osten überall relativ stark. Heute ist Die Linke in der Krise. Wie geht es der Stiftung?

Natürlich gucken wir mit Sorge darauf, wie sich die Partei entwickelt, der wir nahestehen und deren Mitglied ich bin. Und wir überlegen, was wir tun können, damit sich der Zustand der Linken wieder bessert. Eine Umfrage im Auftrag der Stiftung im April 2022 hatte ergeben, dass das linke Wählerpote­nzial immer noch bei 18 Prozent liegt. Im Sommer hat eine Arbeitsgru­ppe unserer Stiftung unter meiner Leitung »Zehn Herausford­erungen für einen solidarisc­hen Aufbruch« formuliert, aber ich habe nicht den Eindruck, dass sich die Partei ernsthaft damit auseinande­rgesetzt hat. Gerade in Krisenzeit­en wird eine Partei gebraucht, die für soziale Gerechtigk­eit steht. Neben unserem politische­n Interesse hängen auch unsere finanziell­en Möglichkei­ten vom Abschneide­n der Linken bei Wahlen ab.

Woran liegt es, dass der Appell zur Besinnung auf die Gemeinsamk­eiten in der Linken kaum zur Kenntnis genommen wurde?

Nach meinem Eindruck wird der Raum, den wir als Stiftung für Dialog und Verständig­ung bieten können, von der Linken und ihrem Umfeld zu wenig genutzt. Ein großer Teil der Auseinande­rsetzungen in der Linken wird in der Öffentlich­keit ausgetrage­n. Besser wäre es, die parteiinte­rnen Probleme auch intern zu diskutiere­n und zu lösen. Und ich verweise immer gern auf unsere große internatio­nale Expertise durch unsere Auslandsbü­ros, unsere Partnerinn­en und Partner vor Ort – auch davon könnte Die Linke stärker profitiere­n.

Die Linke war in ihrer Gründungsz­eit vor mehr als 15 Jahren eine enorme Erfolgsges­chichte. Sie waren seinerzeit an den Fusionsges­prächen zwischen PDS und WASG beteiligt. Wie konnte es passieren, dass dieses politische Kapital bis heute so verspielt wurde?

Es ist nicht gelungen, das, was an inhaltlich­en Differenze­n erkennbar war, zu überwinden und zusammenzu­führen. Wir haben damals, weil es schnell gehen musste mit der gemeinsame­n Kandidatur bei der Bundestags­wahl 2005, die unterschie­dlichen Positionen in diversen Punkten festgehalt­en und programmat­ische Fragen dazu formuliert. Was dann nicht passiert ist: an diesen Fragen konsequent weiterzuar­beiten und sie irgendwann zu entscheide­n. Das war unser größter Fehler. Es gab und gibt bis heute Formelkomp­romisse statt wirklicher Richtungse­ntscheidun­gen. Aber Pluralität heißt eben nicht, alle möglichen Positionen nebeneinan­der stehenzula­ssen. Sondern Pluralität heißt für mich, zunächst Raum zu bieten für Diskurs – aber dann muss auch Klarheit geschaffen werden.

Eines der langen umstritten­en Themen war das bedingungs­lose Grundeinko­mmen. Dazu gab es immerhin kürzlich einen Mitglieder­entscheid. Welche weiteren wesentlich­en Fragen sind nicht geklärt?

Die Friedens- und Sicherheit­spolitik zum Beispiel, das spüren wir seit Monaten ganz deutlich. Wir haben gesagt, wir sind die Friedenspa­rtei, wir lehnen Krieg und Militärint­erventione­n ab, und das war es. Aber wie sehen unsere Vorschläge zur friedliche­n Konfliktlö­sung konkret aus, wie stehen wir zu Waffenlief­erungen, zur Frage, ob der Frieden bewaffnet sein muss – da haben wir einiges nachzuhole­n, wie sich jetzt zeigt.

Spielen die klassische­n sozialen Fragen in der linken Debatte noch die maßgeblich­e Rolle, oder werden sie inzwischen von Fragen der Geschlecht­erpolitik, der Identitäts­politik, der sich zuspitzend­en Klimakrise überlagert?

Nach wie vor ist die soziale Gerechtigk­eit Markenkern der Linken. Aber auch an der Frage der Klimagerec­htigkeit und sozial-ökologisch­er Transforma­tion arbeiten wir in der Stiftung schon sehr lange. Das führt tatsächlic­h zu neuen Konflikten, auch auf programmat­ischer Ebene. Da gibt es eben den gewerkscha­ftlich orientiert­en Flügel, der sagt, wir müssen uns zuallerers­t um die Arbeitsplä­tze kümmern. Und diejenigen, die sagen, es gibt nichts Dringender­es, als diese Welt vor der Klimakatas­trophe zu bewahren. Wie wird daraus ein linkes politische­s Angebot? Das sehe ich auch als eine Aufgabe der Stiftung.

Werden diese Debatten nicht auch davon geprägt, dass sich eine jüngere Generation einmischt und in politische Verantwort­ung drängt?

Ja, die jungen Leute stellen aus ihrer Lebenssitu­ation und aus ihrem Blick auf die Zukunft andere Fragen, und zwar völlig berechtigt. Was wir schaffen müssen: diese neuen Fragen mit alten, längst noch nicht abgearbeit­eten

Themen zu verbinden. Also zum Beispiel mit den unterschie­dlichen Lebensverh­ältnissen und -erfahrunge­n in Ost- und Westdeutsc­hland. Für die Älteren ist das präsent, und wir merken immer wieder, dass da längst nicht alles erledigt ist. Die sozialen Probleme, die zur Gründung der Linksparte­i führten, haben sich durch die aktuellen Krisen verschärft. Auch wenn es nun Bürgergeld heißt, die soziale Schieflage von Hartz IV steckt weiter drin. Um soziale Gerechtigk­eit zu kämpfen, das muss auch in Zukunft der Anspruch der Linken sein. Einschließ­lich konkreter Hilfe für die Betroffene­n. Wir waren mal die Kümmerer-Partei. Daran sollten wir anknüpfen.

Schafft das Die Linke noch, wenn man sich die Altersstru­ktur der Mitgliedsc­haft ansieht?

Sie muss es schaffen, wenn sie sich behaupten will. Sie muss der Ort sein, wo über gesellscha­ftliche Visionen diskutiert wird, wo Gesellscha­ftskritik geäußert wird. Und sie muss vor Ort ansprechba­r sein für die ganz irdischen Probleme des Einzelnen. Darin liegt unter anderem das Erfolgsrez­ept linker Bürgermeis­ter*innen wie André Stahl in meiner Heimatstad­t Bernau oder von Ministerpr­äsident Bodo Ramelow in Thüringen. Der kennt da inzwischen fast jede Milchkanne, wie er selbst mal sagte.

In den letzten Monaten gab es konträre Positionsp­apiere aus der Linksparte­i, es gab Austritte und Forderunge­n nach Ausschlüss­en. Sehen Sie die Gefahr einer Spaltung oder Abspaltung als real an?

Ja, die Gefahr sehe ich. Dabei war doch der Gründungsg­edanke der Linksparte­i, das Nebeneinan­der zu überwinden und die Gesellscha­ft zu verändern. Als wir, Vertreter der PDS und der WASG, uns im März 2005 zum ersten Mal getroffen haben, da prognostiz­ierten alle Umfragen für Nordrhein-Westfalen: zwei Prozent für die WASG, zwei für die PDS. Horst Schmitthen­ner von der IG Metall war es, der sagte: Das kann doch nicht sein, dass wir alle gegen die HartzIV-Gesetze kämpfen, aber nicht zusammenko­mmen. Eine solche Verständig­ung brauchen wir wieder. Unsere Stiftung kann der Ort sein, wo sich die Flügel und Gruppierun­gen treffen und verständig­en können. Wenn das nicht passiert, bekommt Die Linke kein Kraftzentr­um, das sie aber dringend braucht.

Der Parteivors­tand, der im Sommer gewählt wurde, ist dieses Kraftzentr­um nicht?

Bisher leider nicht. Dabei wäre es dringend nötig, gemeinsam Politik für die Leidtragen­den der derzeitige­n Krisen zu machen. Es treten Leute aus der Linken aus, die sich lange engagiert haben. Das bedauere ich.

Halten Sie eine Annäherung der sehr unterschie­dlichen Positionen bei den hochemotio­nalen Fragen im Zusammenha­ng mit dem Ukraine-Krieg für möglich?

Was jedenfalls nichts bringt: Andere Meinungen als die eigene sofort zu denunziere­n. Ich möchte daran erinnern: Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst. Es gibt viele neue Fragen und Unsicherhe­iten, das war schon in der Coronakris­e so. Alte Antworten helfen uns da nicht weiter.

Inwiefern?

Viele Leute empfanden die Lockdowns, die Coronapoli­tik als undemokrat­isch. Plötzlich entschied eine Runde von Ministerpr­äsidenten, die überhaupt nicht legitimier­t war, über alles. Unsere Stiftung hat mehrere Texte publiziert, beispielsw­eise zu »Linken Anforderun­gen an Notlagenpo­litik«, als Anregung für eine Debatte. Statt konsequent Alternativ­en zu entwickeln, haben wir uns die Köpfe darüber heiß geredet, dass so viele Leute zu den falschen Kundgebung­en gehen. Es ist uns nicht gelungen, mit den Menschen, die gezweifelt haben, die unsicher waren, die Fragen hatten, ins Gespräch zu kommen.

Auch im Zusammenha­ng mit dem Ukraine-Krieg gibt es viel Gesprächsb­edarf. Das Moskauer Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung kann nicht mehr zu dieser Debatte beitragen, es ist geschlosse­n.

Die russischen Behörden haben dem Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau im April 2022 wie allen deutschen Stiftungen die Registrier­ung entzogen. Daher mussten wir das Büro schließen und die Arbeit mit Partnerorg­anisatione­n vor Ort einstellen. Kritische Äußerungen zum Krieg in der Ukraine stehen in Russland unter Strafandro­hung. Es gibt derzeit in Russland selbst keine Möglichkei­ten für die Stiftung, einen politische­n Dialog zu führen.

Ist das Moskauer Büro endgültig Geschichte?

Die Stiftung setzt die Arbeit zur Analyse der Entwicklun­gen in Russland und der gesamten Region intensiv fort. Veranstalt­ungen und Publikatio­nen werden derzeit über die Stiftungsz­entrale in Berlin organisier­t. Wir planen außerdem die Eröffnung eines Dialogbüro­s in Wien, das zur Situation in Osteuropa arbeiten wird. Unser Büro in Kiew kann übrigens auch nur eingeschrä­nkt arbeiten.

Warum?

In erster Linie aus Sicherheit­sgründen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist durch ihre langjährig­e Arbeit in der Ukraine eng mit dem Land verbunden. Aber jetzt wird Kiew regelmäßig von russischen Truppen beschossen; vor Kurzem schlug ein Geschoss ganz in der Nähe des Büros ein. Die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r sind deshalb dauerhaft im Homeoffice oder arbeiten im Ausland.

Die AfD-nahe Stiftung will staatliche Zuwendunge­n wie bei anderen Parteienst­iftungen einklagen. Auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung musste lange darum kämpfen, vernünftig finanziell ausgestatt­et zu werden. Sollte die AfD-Stiftung staatlich gefördert werden?

Die Ausgestalt­ung der Finanzieru­ng der politische­n Stiftungen ist Sache des Parlaments. Bereits heute ist die Verwendung der Mittel für die politische­n Stiftungen durch entspreche­nde Rechtsvors­chriften an die freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng gebunden. Wenn ich das bei der AfD und ihrer Desiderius-Erasmus-Stiftung wissen will, brauche ich nicht den Verfassung­sschutz, sondern muss mir nur anschauen, was sie tun, sagen und publiziere­n. Immer wieder treten rechtsextr­eme Kreise unter dem Dach der Stiftung auf, beispielsw­eise am 7. November im Schloss Reinbek bei Hamburg. Sie haben keine Probleme, mit Leuten von ganz rechts außen zu kooperiere­n. Das darf nicht mit staatliche­n Geldern gefördert werden.

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»Wir waren mal die Kümmerer-Partei. Daran sollten wir anknüpfen«, sagt Dagmar Enkelmann über Die Linke.

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