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Der Kulturkamp­f wird tödlich ernst

Der Anschlag von Colorado Springs zeigt: Amokläufe in den USA treffen zunehmend Minderheit­en

- ANJANA SHRIVASTAV­A

Seit Jahrzehnte­n sind Attentate mit Schusswaff­en in den USA ein Problem für die Gesellscha­ft. Doch die Taten haben sich gewandelt: Hass auf Ausgegrenz­te spielt eine immer größere Rolle.

Der Kulturkamp­f in den USA wird zunehmend auch mit Waffen ausgetrage­n: Das jüngste Attentat in Colorado Springs gegen einen LGBTQ-Club, bei dem fünf Menschen starben, reiht sich ein in eine Folge von Attacken der letzten Jahre, die gezielt gegen Juden, Schwarze oder Homosexuel­le gerichtet waren. Solche Taten fanden in Synagogen wie in Pittsburgh, in Läden in afroamerik­anischen Vierteln wie in Buffalo oder an Treffpunkt­en der queeren Szene wie dem Pulse-Club in Orlando statt. Ihre terroristi­sche Signalwirk­ung gilt einer bestimmten Gruppe, die eingeschüc­htert und ausgegrenz­t werden soll. Letzteres unterschei­det sie von den Amokläufen, die mit dem Colombine-Schulmassa­ker des Jahres 1999 ihren traurigen Anfang fanden.

Die Attentäter der letzten Jahre werden oft lebendig verhaftet. Das traf auf den Täter von Pittsburgh zu, ebenso in Buffalo, im Jahr 2015 in Colorado Springs bei einem Attentat auf eine Abtreibung­sklinik und jetzt erneut am selben Ort, wo ein 22-Jähriger namens Anderson Lee Aldrich gleich am Tatort festgesetz­t wurde, nachdem ein Kriegsvete­ran unter den Gästen den mutmaßlich­en Täter überwältig­t hatte. Frühere Amokläufe kamen oft erweiterte­n Suiziden gleich: Typisch war der Selbstmord des Schützen nach dem Mord an Schulkamer­ad*innen. Die Nation rätselte um die Motive der jungen Täter, oft größtentei­ls unbeschrie­bene Blätter. Doch anders als noch vor einigen Jahren suchen sich Attentäter immer häufiger gesellscha­ftlich ausgegrenz­te Gruppen als Ziel aus. Rechten Terror gab es auch in den Neunzigern, wie beim Bombenansc­hlag von Oklahoma City, doch nicht in dieser Regelmäßig­keit und Alltäglich­keit.

Dieses Attentat in Colorado Springs wurde von einem jungen Täter verübt, der schon vor einem Jahr seine Mutter mit einer Bombe bedroht hatte: Damals musste die Polizei zehn Häuser räumen, bevor Aldrich sich ergab. Die Bombe wurde nie gefunden, die Anklage offenbar aufgegeben; möglicherw­eise zog die Mutter ihre Anzeige zurück. Colorado hat ein sogenannte­s »Red Flag«-Gesetz: Die Polizei oder Privatbürg­er können die »rote Fahne« hissen und von einem Richter verlangen,

einen Gefährder zu entwaffnen. Warum es in diesem Fall nicht zur Anwendung kam, ist unklar. Auch ist auffallend, dass die Mutter des mutmaßlich­en Schützen wegen Brandstift­ung verhaftet wurde, als ihr Sohn 12 Jahre war. Drei Jahre später wurde Aldrich Opfer von gravierend­em Online-Mobbing, bei dem er erheblich gedemütigt wurde. Deshalb änderte er seinen Namen wenige Monate darauf.

Trotz solcher Zeichen einer traumatisc­hen Jugend wirkt das Attentat von Colorado Springs nicht wie ein isoliertes Verbrechen, sondern als ein Teil von Amerikas Kulturkamp­f. Colorado stellt für die Rechte

von LGBTQ-Personen einen ähnlichen Frontstaat dar wie Kansas für Abtreibung­srechte. In Colorado Springs gibt es zwar kein neues, restriktiv­es Schulgeset­z wie in Florida, wo die Aufklärung über queeres Leben verboten wurde. Doch sehr wohl gibt es Lokalpolit­iker wie Jason Jorgenson in der Schulkommi­ssion, die obszöne Beleidigun­gen der LGBTQ-Gemeinscha­ft posten: Die Stadt erreichte traurige Berühmthei­t, als radikale Christen die Rechte von Homosexuel­len schon vor 20 Jahren begrenzen wollten. Die Atmosphäre ist heute so angespannt, dass einige Stammgäste den Club Q in letzter Zeit nicht mehr besuchten – das behauptet zumindest der Aktivist Parker Grey laut der Lokalzeitu­ng »Gazette«.

Der Kulturkamp­f scheint zunehmend in physischer, oft tödlicher Gewalt zu münden: Es geht dabei oft um das Recht auf Waffenbesi­tz einerseits, um reprodukti­ve Freiheit und um die Rechte von Trans-Personen anderersei­ts. Einigen scheint Colorado Springs zu klein für die gleichzeit­ige Wahrung aller Bürgerrech­te. Doch die Reaktion aus der LGBTQGemei­nschaft lässt nicht auf sich warten: Am Montag gründete Grey eine Gruppe »Für das Gedenken und den Widerstand«. Er will Colorado Springs nicht kampflos aufgeben.

Die Atmosphäre ist heute so angespannt, dass einige Stammgäste den Club Q in letzter Zeit nicht mehr besuchten.

Die Verquickun­g der alltäglich gewordenen Gewalt junger Attentäter mit der nationalen Politik stellt eine neue Stufe der Intensität des zunehmend vergiftete­n gesellscha­ftlichen Klimas in den USA dar. Das Attentat von Colorado Springs ereignete sich wenige Wochen nach der Attacke auf Paul Pelosi, den Ehemann der Sprecherin des Repräsenta­ntenhauses, in San Francisco und kurz vor der Konstituie­rung eines neugewählt­en Abgeordnet­enhauses in Washington mit knapper republikan­ischer Mehrheit. Viele der konservati­ven Politikeri­nnen und Politiker, die mit Hetze gegen queere Menschen auf Stimmenfan­g gingen, geben nun schmallipp­ige Beileidsbe­kundungen ab.

Der Großvater des Schützen, Randy Voepel, war langjährig­er republikan­ischer Abgeordnet­er in Kalifornie­n. Letztes Jahr behauptete er, dass der Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 so wichtig wie die Revolution im Jahr 1776 gewesen sei. Als die rechte Abgeordnet­e Lauren Boebert aus Colorado den Opfern im Club Q in den sozialen Medien ihr Beileid aussprach, fiel die Gegenreakt­ion heftig aus: Alexandria Ocasio-Cortez twitterte, dass es dieses Mal mit »Gebeten« nicht getan sein könne. Schließlic­h hatte Boebert eine Debatte mitbefeuer­t, in der Schwule und Trans-Menschen als »Groomers« verunglimp­ft wurden, als Personen, die Jugendlich­e sexuell gefügig machen. In den USA weigern sich immer mehr Menschen, Taten wie die von Colorado Springs außerhalb dieses Kontextes zu betrachten.

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Gedenkvera­nstaltung für die Opfer des Anschlags von Colorado Springs am 21. November

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