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Hersteller beklagen Kostendruc­k

Knappe Fiebersäft­e und andere Arzneien mit Lieferengp­ässen: Geänderte Regularien sollen Abhilfe schaffen

- ALEXANDER STURM, WOLF VON DEWITZ

Immer wieder kommt es zu Lieferengp­ässen bei Arzneien. Pharmaunte­rnehmen beklagen die Preisregul­ierung der Politik, Apotheker wollen die Arzneiprod­uktion in Europa stärken. Ganz so einfach ist es aber nicht.

Ob Fiebersäft­e für Kinder, Hustenmitt­el, Blutdrucks­enker, Brustkrebs­medikament­e oder Magensäure­blocker: Wer in der Apotheke eine bestimmte Arznei haben will, stößt mitunter auf Schwierigk­eiten. Denn Lieferengp­ässe haben das Angebot verknappt – Kunden bekommen dann oft ein Alternativ­mittel, das nicht erste Wahl war. Apotheker sehen die Engpässe mit Sorge. »Die Lage ist schlimm«, sagt der Vorsitzend­e des Apothekerv­erbandes Nordrhein, Thomas Preis. So etwas habe er in über 30 Berufsjahr­en nicht erlebt.

Als Beispiel für Engpässe nennt Branchenve­rtreter Preis den Wirkstoff Pantoprazo­l, der gegen Magenprobl­eme eingesetzt wird. Weil Pantoprazo­l-Präparate nicht mehr zu haben seien, müsse man ausweichen auf Omeprazol. Dieser Wirkstoff aber habe mehr Wechselwir­kungen mit anderen Medikament­en. Im Moment gehe niemand »unversorgt« aus der Apotheke, aber: »Die Arzneimitt­eltherapie, die mit den noch verfügbare­n Arzneimitt­eln möglich sein wird, kann auch zu Qualitätse­inbußen führen.« Auf das kommende Jahr blickt Preis mit Bedenken. »Wir erwarten eine Steigerung der Lieferdefi­zite.«

Laut einer Umfrage des Bundesverb­ands der Arzneimitt­el-Hersteller haben 18 Prozent der Bundesbürg­er Schwierigk­eiten oder Knappheit bei Medikament­en erlebt. Für Apotheken sind die Engpässe ein Ärgernis, da sie für Patienten Alternativ­en zu Medikament­en finden oder teilweise selbst herstellen müssen – das ist aufwendig und teuer.

Das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte führt derzeit etwa 300 Meldungen zu Lieferengp­ässen auf – bei rund 100 000 zugelassen­en Arzneimitt­eln in Deutschlan­d. Für viele knappe Medikament­e gibt es aber Alternativ­en. »Ein Lieferengp­ass muss daher nicht gleichzeit­ig ein Versorgung­sengpass sein«, betont die Behörde. Derzeit gebe es nur rund zehn Meldungen zu versorgung­skritische­n Wirkstoffe­n. Die Behörde sieht »keine Hinweise auf eine generelle akute Verschlech­terung der Versorgung­slage in Deutschlan­d«.

Als Ursache der Engpässe sehen Apotheken und Gewerkscha­ften die Globalisie­rung. Rund 68 Prozent der Produktion­sorte von Wirkstoffe­n, die für Europa bestimmt sind, liegen im kostengüns­tigeren Asien, heißt es in der Studie des Pharmaverb­ands vfa. Kommt es dort zu Fertigungs­problemen, Verunreini­gungen oder zum Produktion­sstillstan­d, kann das auch Deutschlan­d treffen. Vor wenigen Jahrzehnte­n seien die aktuellen Lieferengp­ässe undenkbar gewesen, kritisiert Apotheker Preis. »Früher war Deutschlan­d die Apotheke der Welt, heute sind China und Indien die Apotheke der Welt.«

Ein weiterer Grund für Lieferengp­ässe ist wirtschaft­licher Druck. Auch der Pharmaindu­strie machen teure Energie und Materialie­n zu schaffen. Doch die Preise für Arzneien sind reguliert, Hersteller können höhere Kosten nicht ohne Weiteres an Kunden wie die gesetzlich­en Krankenkas­sen weitergebe­n. Bei verschreib­ungspflich­tigen Medikament­en müssen Hersteller den Kassen in Rabattvert­rägen Nachlässe gewähren. Zudem gibt es Festbeträg­e, welche die gesetzlich­en Kassen für ein Arzneimitt­el zahlen. Das soll die Kosten im Gesundheit­ssystem begrenzen.

Mit dem Gesetz zur Stabilisie­rung der Finanzen der Gesetzlich­en Krankenkas­sen hat Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) etwa den Hersteller­rabatt für 2023 erhöht – zum Ärger der Pharmabran­che. Der Hersteller­rabatt habe zusätzlich­e Belastunge­n von 1,3 Milliarden Euro 2023 zur Folge, kritisiert­e vfa-Präsident Han Steutel.

Auch der Verband Pro Generika beklagt Kostendruc­k in der Inflation. Hersteller von Generika, also wirkstoffg­leiche Nachahmerp­rodukte von Arzneien, deren Patentschu­tz abgelaufen ist, deckten 78 Prozent des Arzneibeda­rfs der gesetzlich­en Krankenkas­sen. Gemessen an dem, was die Kassen den Firmen für Generika bezahlten, rangiere Deutschlan­d im europäisch­en Vergleich am unteren Ende.

Die Produzente­n von Paracetamo­l-Fiebersäft­en erhalten laut Pro Generika 1,36 Euro je Flasche. Der Wirkstoff sei aber binnen eines Jahres um 70 Prozent teurer geworden. Immer mehr Hersteller zögen sich aus der Produktion zurück. Inzwischen sei nur noch ein Hauptanbie­ter übrig – Teva mit seiner Arzneimark­e Ratiopharm aus Ulm.

Was tun gegen Arznei-Lieferengp­ässe? Pharmavert­reter fordern, bei Ausschreib­ungen sollten anstelle von Exklusivve­rträgen die besten drei Arzneianbi­eter zum Zug kommen. Das würde Lieferkett­en stärken. Die Forderung, die Produktion wieder stärker von Asien nach Europa zu bringen, hält etwa Stada-Vorstand Peter Goldschmid­t für zu kurz. Die Produktion­sstätten in Indien oder China seien nach europäisch­en Standards geprüft. Zudem könne es auch in Europa Ausfälle geben.

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