nd.DerTag

Queerfeind­lichkeit kostet Leben

- SIBEL SCHICK

In den USA sind zuletzt mehrere Menschen erschossen worden. Am Wochenende starben fünf trans Menschen in dem »Club Q«. Sibel Schick meint: Das ist die Konsequenz der queerfeind­lichen USPolitik der vergangene­n Jahre.

Zwei Anschläge innerhalb von drei Tagen: Dienstagna­cht soll eine Person im US-Bundesstaa­t Virginia in einem Walmart um sich geschossen und Menschen getötet haben; bis Redaktions­schluss sind die Einzelheit­en dieses Vorfalls noch nicht geklärt. Erst in der Nacht auf Sonntag griff ein bewaffnete­r Mann in Colorado Springs den »Club Q« an, der ein sicherer Hafen für queere Menschen vor Ort sein sollte. Der Täter erschoss fünf Menschen: Daniel Aston, Kelly Loving, Ashley Paugh, Derrick Rump und Raymond Green Vance.

In den USA verging dieses Jahr kaum ein Monat ohne einen bewaffnete­n Angriff mit mehreren Toten; bisher zählt die Zivilgesel­lschaft mindestens 19 Anschläge. Auf dem Höhepunkt der Gewalt geschieht etwas, was gleichzeit­ig erstaunlic­h und typisch ist: Die Republikan­er*innen lenken vom Thema der Waffengese­tze ab und machen stattdesse­n queere Menschen zum Problem, was diese als wandelnde Zielscheib­e markiert. Im Juni nahmen konservati­ve Politiker wie Floridas Gouverneur Ron DeSantis eine Veranstalt­ung, auf der Drag Queens für Kinder vorlasen, als Anlass, um Drag, eine Performanc­ekunst, als sexuellen Missbrauch an Kindern zu brandmarke­n und so queere Kultur zu dämonisier­en.

Am vergangene­n Sonntag war der 23. Transgende­r Day of Remembranc­e. Der Angriff auf den »Club Q« ereignete sich in der Nacht auf diesen Gedenktag. Drag Shows waren Teil des Abendprogr­amms.

Der Anschlag ist nur eine logische Schlussfol­gerung der queerfeind­lichen USPolitik der vergangene­n Jahre. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Das »Don’t say gay«-Gesetz aus Florida will verbieten, dass im Schulunter­richt über Geschlecht­sidentität und sexuelle Orientieru­ng gesprochen wird. Damit will es verhindern, dass sich queere Kinder und Jugendlich­e outen. Außerdem wurden in unterschie­dlichsten US-Staaten Gesetze beschlosse­n, die trans Kinder aus dem Sport ausschließ­en und ihnen mit erzwungene­n Genitalins­pektionen drohen. Es sind Gesetze, die Eltern und Mediziner*innen, die trans Kinder und Jugendlich­e unterstütz­en und behandeln, kriminalis­ieren. Sie drohen jenen Eltern, die ihre Kinder zu Veranstalt­ungen mit Drag Queens bringen, mit dem Entzug des Sorgerecht­s.

Vergangene­n Monat in Oregon protestier­ten Rechtsextr­eme vor einer Drag Show, viele von ihnen trugen Waffen. Die »New York Times« berichtet, dass Drag Shows und Clubs, in denen sie stattfinde­n, in den vergangene­n Jahren häufiger zur Zielscheib­e von Drohungen und tätlichen Angriffen wurden, unter anderem durch Aufrufe von rechtsextr­emen Gruppen wie den Proud Boys. Diese spielten eine große Rolle bei dem Sturm auf das Kapitol 2021.

Die fünf ermordeten Menschen in Colorado Springs sind also keine Kollateral­schaden queerfeind­licher Politik, sondern deren Ziel: strukturel­le Queerfeind­lichkeit dient zur Unterdrück­ung aller, die von der cisgeschle­chtlichen, binären und heterosexu­ellen Norm abweichen. Es geht darum, sie in Lebensgefa­hr zu bringen, sobald sie ihre Identität offen ausleben. Und schließlic­h geht es den Rechten darum, die USA von queeren Menschen zu »befreien«, sprich: sie auszulösch­en.

»Ach, die verrückten Amis«, kann man als Europäer*in natürlich sagen. So einfach ist es aber nicht. Denn die gleichen geistigen Brandstift­er*innen wie in den USA kennen wir in Deutschlan­d. Es sind die extrem Rechten, die wir in unsere Parlamente wählen. Es sind diejenigen selbsterna­nnten Feministin­nen, die ganze Magazine vollschrei­ben, um die gesetzlich­e Gleichstel­lung von trans Menschen zu verhindern. Und es sind diejenigen, die Konversion­stherapien für trans Menschen fordern.

Die USA sind nicht so weit weg, wie wir denken. Queerfeind­lichkeit ist auch in Deutschlan­d ein großes Problem. Und wir dürfen nicht wegsehen.

 ?? FOTO: VALERIE-SIBA ROUSPARAST ?? Sibel Schick schreibt für »nd« die monatliche Kolumne »In schlechter Gesellscha­ft«.
FOTO: VALERIE-SIBA ROUSPARAST Sibel Schick schreibt für »nd« die monatliche Kolumne »In schlechter Gesellscha­ft«.

Newspapers in German

Newspapers from Germany