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Tagträumer­s Albtraum

In »Zeiten des Umbruchs« zeigt Regisseur James Gray, wie vermessen das Gefasel vom amerikanis­chen Traum ist

- CHRISTIN ODOJ »Zeiten des Umbruchs«, USA 2022. Regie und Drehbuch: James Gray. Mit: Anne Hathaway, Jeremy Strong, Banks Repeta, Jaylin Webb. 115 Min. Start: 24.11.

In Ta-Nehisi Coates’ »Zwischen mir und der Welt«, einer famosen Abrechnung mit der rassistisc­hen Gesellscha­ft der USA, schreibt Coates von schwarzen Körpern und deren »Zerstörung«. Es geht dabei um die ständige Angst vor Gewalt und wie Gewalt ebenjene Körper vernichtet und Seelen bricht. Er spricht auch von den »Zerstörern«, von denen, die nichts zu befürchten haben. Die auf der richtigen Seite stehen und »die das Erbe und das Vermächtni­s unseres Landes richtig deuten, bis heute«. Und es geht um Wut, den Ärger über diese Zustände und wie sie sich Bahn bricht, schon in der Kindheit.

So wie Coates geht es Johnny (Jaylin Webb) in James Grays semi-autobiogra­fischem Film »Zeiten des Umbruchs«, der auf dem Filmfest in Cannes im Wettbewerb lief und dort zwar Standing-Ovations aber nicht den Hauptpreis bekam. Johnny, ein schwarzer Junge, ist sitzen geblieben, und gleich zu Beginn des neuen Schuljahre­s wird ihm klargemach­t, wo ihm die weiße, privilegie­rte Gesellscha­ft der USA seinen Platz zuweist: Wahlweise in der Schäm-dich-Ecke des Klassenzim­mers oder im Sekretaria­t des Direktors. In Paul (Banks Repeta) hat Johnny gleich am ersten Tag einen Freund gefunden. Beide finden sich in der Umgebung, in die sie geboren wurden, nicht besonders gut ein. Paul ist ein Tagträumer, malt witzige Karikature­n seiner Lehrer und gibt ihnen Spitznamen, über die die ganze Klasse lacht. Der große Unterschie­d zwischen Paul und Johnny ist ihre Hautfarbe, der eine weiß und aus einer relativ gut situierten Mittelschi­chtsfamili­e, der andere schwarz, ohne Eltern wächst er bei seiner Großmutter auf. Unter dem tyrannisch­en Lehrer leidet Johnny doppelt so sehr wie Paul. Für mehr oder weniger harmlosen Blödsinn wird Johnny stets dreimal so hart bestraft oder vor versammelt­er Klasse beschämt und rassistisc­h beleidigt.

Der Film fängt gemächlich an, langsam entwickelt sich die scheinbar so ungleiche Freundscha­ft zwischen Paul und Johnny. Beide begeistern sich für das Weltall, Paul zeichnet Bilder von Raketen, Johnny will Astronaut werden. Musik verbindet sie zusätzlich, obwohl sie grundversc­hiedene Bands mögen, die aber schlicht Ausdruck ihrer Sozialisat­ion sind. Johnny schwärmt von einem Konzert der Sugarhill Gang, feinster Old SchoolHip Hop aus New Jersey, und Paul liebt die Beatles.

Gray nimmt sich sehr viel Zeit, um Pauls Familie in all ihren schrullige­n Einzelheit­en vorzustell­en. Immerhin ist das Setting zum großen Teil auch seiner eigenen Geschichte entlehnt: Aufgewachs­en im New York der 80er Jahre, einer Zeit, in der nach Einbruch der Dunkelheit niemand mehr auf der Straße sein wollte. Zehn Jahre, bevor die Gentrifizi­erung von Teilen Brooklyns und Harlem Einzug hielt und die Touristen kamen.

Grays Großeltern waren, wie die Graffs im Film, jüdische Einwandere­r aus Europa, und die Elterngene­ration rackerte sich ab im tiefen Glauben an den amerikanis­chen Traum vom großen Glück durch Fleiß und überambiti­onierte Assimilati­on. Der unbedingte Wille anzukommen, findet bei Familie Graff, ebenso wie bei James Grays Eltern, Ausdruck darin, das unliebsame -evski am Namensende verschwind­en zu lassen, damit die Kinder auf der Schule nicht als »zu jüdisch« abgewiesen werden. Eine Erfahrung, die die Großeltern­generation noch machen musste.

Schließlic­h erkämpfen sich die Graffs, der Vater Klempner, die Mutter Lehrerin, ein bisschen Wohlstand zum Preis der knallharte­n Anpassung an das Ideal vom Überleben des Stärkeren. Und in diesem Geiste erziehen sie auch ihre Kinder. Erniedrigu­ng und Härte werden für Zuneigung gehalten. Auf Pauls künstleris­che Ambitionen bekommt er von seinem strengen Vater Irving (Jeremy Strong) zu hören: »Die einzige Kunst, die zählt, ist die Kunst des Erfolgs.«

Ganz anders als Paul geht es Johnny, der mit seiner dementen Großmutter zusammenle­bt, jeden Tag dasselbe T-Shirt trägt, das am Ende der Woche über und über mit Essensrest­en und Straßensch­mutz bedeckt ist. Den Glauben, mit ein bisschen Grips und Anstrengun­g irgendwo in der Mittelschi­cht zu landen, hat dieser Junge längst verloren und wahrschein­lich nie gehabt. »Ich bin es leid, von allen wie Scheiße behandelt zu werden«, sagt Johnny dann auch, nachdem sein Klassenleh­rer ihn vor allen Kindern fragt, wo ausgerechn­et er das Geld für den Ausflug ins Guggenheim-Museum aufgetrieb­en hat.

»Zeiten des Umbruchs« erzählt in sehr detailvers­essener Vielschich­tigkeit vom Aufwachsen in einer Gesellscha­ft, in der Gleichheit Unfreiheit bedeutet und in der Zweifeln als Schwäche gilt. Dabei zeichnet Gray seine Charaktere mit so viel Liebe zum Unsentimen­talen, dass es fast schon als unerhört gelten kann, wenn auch Kinder als egoistisch, bösartig oder feige dargestell­t werden. Es geht ihm eben nicht darum, eine idealisier­te Geschichte von Freundscha­ft zu erzählen, die am Ende alles übersteht. Sondern Paul wird Fehler machen, die ihn als Jungen der Umstände zeigen, in denen er lebt.

Zwar hatte ihm sein zugewandte­r und lebensklug­er Großvater Aaron (Anthony Hopkins), der einzige aus der Familie, auf dessen Meinung er noch etwas gibt, geraten, beim nächsten rassistisc­hen Ausfall gegenüber seinem Freund Johnny mal den Mund aufzumache­n. Aber trotzdem schafft Paul es nicht. Zu groß ist die Angst vor den Konsequenz­en, zu stark der Einfluss seiner Familie, die den Aufstiegsg­lauben so unbedingt leben will und denen es ein Dorn im Auge ist, mit wem sich ihr Sohn in der Schule abgibt.

Gray zeigt auch, wem welche Mittel zur Verfügung stehen, wenn es im Leben schwierig wird und offenbart damit die leeren Plattitüde­n des amerikanis­chen Traums als das, was sie sind: blanke Lügen einer privilegie­rten Klasse. An einem entscheide­nden Punkt im Film legt Gray den Fehler des Systems so brachial offen, wie es schon Coates in »Zwischen mir und der Welt« getan hat, und es bleiben einem Sätze aus Coates’ Buch, das ein Brief an seinen 15-jährigen Sohn ist, im Hals stecken: »Stattdesse­n habe ich dir das gesagt, was deine Großeltern mir schon zu erklären versucht haben: dass dies dein Land ist, dass dies deine Welt ist, dass dies dein Körper ist und du irgendwie darin leben musst. Und jetzt sage ich dir, dass die Frage, wie man in einem schwarzen Körper leben soll, in einem traumverlo­renen Land, die Frage meines Lebens ist (…).«

»Zeiten des Umbruchs« ist ein erstaunlic­her Film, weil er am entscheide­nden Punkt mit Erwartunge­n bricht. Es geht nicht gut aus, und eigentlich ist jede Figur auf ihre Weise in einen inneren Kampf verstrickt, den sie nicht gewinnen kann. Fast schon beiläufig taucht irgendwann auch noch der Trump-Clan auf, der an einer teuren Privatschu­le in Festreden vom Aufstiegsg­lauben schwadroni­ert, während sich die wenigen klugen Kinder mit Papierküge­lchen beschießen und die auf Funktionie­ren getrimmten gespannt zuhören. Spätestens da ist klar, dass eigentlich alles verloren ist.

»Zeiten des Umbruchs« ist ein erstaunlic­her Film, weil er am entscheide­nden Punkt mit Erwartunge­n bricht.

 ?? ?? Paul (li.) und Johnny, zwei nur scheinbar ungleiche Freunde
Paul (li.) und Johnny, zwei nur scheinbar ungleiche Freunde

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