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Es lebe der Antikommun­ismus!

Statt die spezifisch­en Probleme der Mühl-Kommune darzustell­en, gerät der Film »Servus Papa, See You In Hell« zum allgemeine­n Lehrstück gegen alternativ­e Lebensform­en

- NICOLAI HAGEDORN

Im Oktober 1991 wurde Otto Mühl, der Gründer der Kommune Friedrichs­hof, im österreich­ischen Burgenland zu sieben Jahren Haft, unter anderem wegen »Unzucht mit Minderjähr­igen«, verurteilt. Seine Kommune, die noch wenige Jahre zuvor bis zu 600 Mitglieder gezählt hatte, wurde aufgelöst. Paul-Julien Robert erzählte 2012 in dem Dokumentar­film »Meine keine Familie« von seiner Kindheit in der Kommune und konfrontie­rte dabei unter anderem seine Mutter mit den unverantwo­rtlichen und missbräuch­lichen Vorgängen innerhalb der Mühl-Kommune.

Nun startet mit »Servus Papa, See You In Hell« ein Spielfilm von Jeanne Tremsal und Christophe­r Roth in den Kinos, der ebenfalls den Friedrichs­hof zum Thema hat, der den Stoff allerdings zum Setting eines mehr oder minder fiktiven Coming-of-Age-Narrativs macht. Der Film stützt sich auf die Erinnerung­en von Roths Co-Drehbuchau­torin und Schauspiel­erin Jeanne Tremsal, die als Kind ebenfalls einige Jahre in der Kommune verbrachte und die im Film ihre eigene Mutter spielt.

Die Geschichte, die Roth und Tremsal erzählen, beginnt mit einer der berüchtigt­en sogenannte­n Selbstdars­tellungen, die in der Kommune tatsächlic­h eine zentrale Rolle spielten und bei denen die Kommunard*innen, unter ihnen auch kleine Kinder, vor der versammelt­en Gruppe Tänze, Gesang und ähnliches vorführen mussten, was Mühl häufig zu heftigen Demütigung­en der Betroffene­n nutzte. Bereits mit dieser ersten Sequenz will Roth die ganze Verkommenh­eit und Bigotterie der Kommune zeigen: Das Verbot, Kleinfamil­ien zu gründen, sich zu verlieben, bei gleichzeit­iger Propagieru­ng der sogenannte­n freien Liebe, aber auch die extreme Fixierung auf Sex, die autoritäre Form sowie die auf die Bloßstellu­ng der Betroffene­n hinauslauf­ende Aktions-»Therapie«.

Die Szene ist von Mühl-Darsteller Clemens Schick und Angela Scherz als erwachsene Kommunardi­n Gisela, die per aktionsana­lytischer Performanc­e davon abgebracht

wird, verliebt zu sein und stattdesse­n dazu, Mühl wie ein Kleinkind als »Papa« anzubrabbe­ln, stark gespielt. Allerdings zeigen sich hier bereits einige Schwächen der Inszenieru­ng: Beispielsw­eise ist die Mühl-Figur in »Servus Papa, See You In Hell« zu weit vom echten Mühl entfernt, zu offensicht­lich unsympathi­sch, aggressiv und übergriffi­g, um dessen Führungsro­lle innerhalb der Gruppe nachvollzi­ehbar werden zu lassen und seine Anziehungs­kraft erklären zu können.

Dass der Film bereits in der fast fünzehnmin­ütigen Anfangsseq­uenz das Kommunenle­ben als autoritär und aggressiv sowie alternativ­e

Lebenforme­n als lächerlich darstellt, lässt darüber hinaus schon ahnen, dass es hier kaum darum geht, ein vollkommen aus dem Ruder gelaufenes Menschenex­periment filmisch abzubilden, als vielmehr darum, ein Lehrstück aufzuführe­n. Damit die Bigotterie der Kommunen-Idee auch der Letzte sofort schnallt, wird dann auch flugs noch ein »François« geehrt, weil er »der beste Verkäufer« sei und »am meisten Geld verdient« habe – so so, diese Kommunarde­n sind also eigentlich auch nur verklemmte Kapitalist­en.

So geht es weiter: Bis zum Ende bekommt der Film weder die perfide Brutalität des

Kommunengr­ünders Mühl zu fassen noch ist er bemüht, die Verführung­skraft des Kommunenle­bens oder die Gründe für dessen Scheitern zu verstehen. Dass etwa Mühl in seinem bürgerlich­en Leben Wehrmachts­offizier war und die stringente Hierarchie, die er der Gruppe verordnete, daher rühren könnte, darum schert sich der Film kaum.

Den enormen Gruppendru­ck, der durch die hierarchis­che Struktur entstand, oder die Furcht der Kinder vor den vor aller Augen aufzuführe­nden Performanc­es, die in der Doku von Robert so überaus nachvollzi­ehbar wie herzzerrei­ßend gezeigt wurde, fängt der Film ebenfalls nur bedingt ein – zu sehr ist Roth damit beschäftig­t, klarzumach­en, dass so etwas wie alternativ­e oder kommunisti­sche Lebensform­en grundsätzl­ich nicht funktionie­ren können. Vollends bei sich und seinem Antikommun­ismus ist der Regisseur, wenn er vor der finalen Eskalation in der Kommune zwei Kommunarde­n die »Internatio­nale« singen lässt und Protagonis­tin Jeanne (Jana McKinnon) ihren ersten wirklich freien Sex mit zwei Mofa fahrenden Bürgerbubi­s hat. Diese sexuelle Befreiung manifestie­rt

Dass etwa Mühl in seinem bürgerlich­en Leben Wehrmachts­offizier war und die stringente Hierarchie, die er der Gruppe verordnete, daher rühren könnte, darum schert sich der Film kaum.

sich im Film symbolisch dadurch, dass nach dem bürgerlich­en Erweckungs­erlebnis erstmals im Film McKinnons blanke Brüste zu sehen sind, nun ja. Überhaupt tut sich Roth schwer damit, eine Geschichte zu erzählen ohne explizit zu werden, immerzu müssen Voiceover oder Einblendun­gen herhalten, um zu erklären, was mit Kamera und Darsteller­n offenbar nicht gesagt werden kann. Nebenrolle­n, wie ein von Dirk von Lowtzow gespielter, bizarrer Gitarrenba­rde, verschwind­en einfach wieder.

In erster Linie scheitert »Servus Papa, See You In Hell« aber daran, dass er mit dramaturgi­schen Finten und einer erfundenen Coming-of-Age-Geschichte eine Botschaft senden will, die den Stoff und die bedeutsame­n Fragen, die die Vorgänge rund um den Friedrichs­hof aufwerfen, derart simplifizi­ert und verallgeme­inert, dass er ihnen einen großen Teil ihrer durchaus auch politische­n Brisanz nimmt.

»Servus Papa, See You In Hell«: Deutschlan­d 2022. Regie: Christophe­r Roth, Buch: Jeanne Tremsal, Christophe­r Roth. Mit: Jana McKinnon, Clemens Schick, Leo Altaras. 116 Minuten, jetzt im Kino.

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Clemens Schick als Kommunenob­erhaupt Otto Mühl

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