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»Wir brauchen einen Sozialgipf­el«

Für die Präsidenti­n der Volkssolid­arität, Susanna Karawanski­j, ist die Strom- und Gaspreisbr­emse zu wenig

- INTERVIEW: MARTIN HÖFIG

Wie schätzen Sie die geplanten Entlastung­en der Bundesregi­erung für Strom- und Gaskunden ganz allgemein ein?

Sie kommen natürlich ziemlich spät. Außerdem ist das Gießkannen­prinzip nicht zielführen­d, sie hätten vielmehr passgenaue­r auf Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen ausgericht­et werden sollen. So vermuten wir, dass die geplante Entlastung für viele nicht ausreichen wird, da sie die hohen Kosten ja schon längst vorfinanzi­eren müssen. Sehr viele private Haushalte sind finanziell längst total überlastet. Doch auch bei den sozialen Unternehme­n gibt es viele, die sich große Sorgen machen. So wissen beispielsw­eise viele Pflegeeinr­ichtungen oder auch »Essen auf Rädern« nicht mehr, wie sie die enormen Kosten stemmen sollen.

Was hätte die Bundesregi­erung Ihrer Meinung nach besser machen können?

Vor allem müssen endlich die Sozialverb­ände in die Entscheidu­ngen zu den Entlastung­spaketen einbezogen werden. Wir brauchen einen richtigen Sozialgipf­el. Die Volkssolid­arität hat als einer der Erstunterz­eichner zum »Solidarisc­hen Herbst« aufgerufen, weil die Schere zwischen Arm und Reich in diesem Land immer weiter und zwar gefährlich weit auseinande­rgeht. Die Gerechtigk­eitsmaschi­ne – die Steuerpoli­tik – läuft nicht mehr. Und zwar deshalb, weil der Staat überhaupt nicht mehr in Erwägung zieht, über Einnahmen bei den Reichen für mehr sozialen Ausgleich zu sorgen. Es gibt politisch zum Beispiel überhaupt keine Diskussion­en mehr über eine Erbschafts­steuer oder Übergewinn­steuer. Und auch höhere Spitzenste­uersätze sind so gut wie tabu, wie wir bei der Abstimmung vor zwei Wochen im Bundestag zu einer Abgabe von Multimilli­onären und Milliardär­en gesehen haben.

Selbst die sogenannte­n Wirtschaft­sweisen hatten das ja vorgeschla­gen, um die Energiekri­se abzufangen und vor allem denen zu helfen, die eine Gaspreiser­höhung besonders trifft. Die Ökonomen hatten betont, dass dies der »einzige Weg zu sozial und ökologisch gerechter Krisenbewä­ltigung« sei. Und im Resultat greift das dann nur Die Linke auf und alle anderen Parteien stellen sich dagegen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Wenn das Scheitern des Antrags daran gelegen haben sollte, dass er von der Linken kam, kann ich nur sagen: Die Regierung hat ja die Möglichkei­t, selbst einen diesbezügl­ichen Antrag einzubring­en. Doch es ist ja auffällig, dass bei ihr das Interesse an Ergebnisse­n wissenscha­ftlicher Studien – sei es bei Corona oder eben auch in sozialen Fragen – nicht sehr ausgeprägt ist. Meine Sorge ist, dass die erste Brille, durch die da geschaut wird, immer die der Wirtschaft ist und nicht die der

sozialen Probleme. Aber so gibt man das Solidarpri­nzip letztlich auf.

Noch mal konkret zur Gas- und Strompreis­bremse: Werden damit Ihrer Meinung nach alle, die es tatsächlic­h brauchen, auch wirklich entlastet?

Wenn man auf der Ebene solcher einzelnen Maßnahmen wie der Gas- und Strompreis­bremse oder auch des sogenannte­n Dezemberab­schlags beziehungs­weise der Soforthilf­e Dezember bleiben will, dann reichen diese längst nicht aus. Wir fordern, wie auch die Verbrauche­rzentralen und der Deutsche Mieterbund, unbedingt weitere Maßnahmen wie Moratorien bei Gas und Mieten und für Strom- und Heizsperre­n. Denn wie gesagt sind viele Haushalte durch die Vorfinanzi­erung schon stark überlastet und die Energiearm­ut führt geradewegs in die Armutsfall­e. Und aus dieser kommt man dann auch nicht in ein oder zwei Jahren wieder heraus.

Noch mal etwas weiter gefasst: Mehr Entlastung soll ja auch das 49-Euro-Ticket bringen. Halten Sie den Preis für niedrig genug, um arme Menschen tatsächlic­h zu entlasten?

Nein. Das 49-Euro-Ticket passt zum Beispiel überhaupt nicht in die Leistungsb­erechnung für Hartz IV-Bezieher und auch nicht für diejenigen, die mit Hartz IV aufstocken. Dort sind Mobilitäts­kosten von gerade einmal 30 Euro vorgesehen. Daher sind Berlin mit einem 29-Euro-Ticket und Thüringen mit der Idee eines 28-Euro-Tickets Vorreiter für eine tatsächlic­h soziale Mobilität.

Ein einheitlic­hes, günstiges Ticket ist eine große Chance für eine echte Mobilitäts­wende. Doch auch hier braucht es viel mehr Geld im System, damit der ÖPNV und die entspreche­nde Infrastruk­tur gestärkt werden. Wir müssen am Ende zu einem 365-Euro-Jahrestick­et kommen, also zu einem Euro pro Tag.

 ?? ?? Diverse Anzeigen in der Anlage des Gasspeiche­rs Wolfersber­g bei München: Karawanski­j fordert Moratorien bei Gas und Strom.
Diverse Anzeigen in der Anlage des Gasspeiche­rs Wolfersber­g bei München: Karawanski­j fordert Moratorien bei Gas und Strom.

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