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Eine Weltmeiste­rschaft zum Schaudern

Der Fifa-Präsident als Schlechtwe­ttergarant und eine schockgefr­ostete Stimmung in den Stadien

- FRANK HELLMANN, AL-RAYYAN

Dänemarks Trainer Kasper Hjulmand kann sich nur schwer als Mensch finden. Angst machen auch arktische Luftströme – mit Blick auf die Energiebil­anz. Aber der Weltverban­d hat ja davor gewarnt.

Es fällt gerade wirklich schwer, als Europäer mit dieser WM warm zu werden. Kasper Hjulmand, werteorien­tierter Nationaltr­ainer Dänemarks, hat nun zugegeben: »Als Mensch habe ich hier Schwierigk­eiten, zu mir selbst zu finden.« Ein mutiges Geständnis, das bei seinen Zuhörern als Gänsehautm­oment rüberkam. Leider ist das mit der Gänsehaut wirklich so, denn die Organisato­ren tun alles, dass dieses Turnier schockgefr­ostet wirkt. Dass Pressekonf­erenzsäle, Medienräum­e

oder Vip-Logen auf gefühlt 15 Grad Celsius und weniger runtergekü­hlt werden, ist vielleicht noch hinnehmbar, weil vor wenigen Tagen draußen noch Temperatur­en von weit über 30 Grad herrschten. Und drinnen schwitzen will dann niemand.

Dass aber in die meisten Stadien jetzt immer noch aus vollen Rohren kalte Luft hineingebl­asen wird, versteht keiner. Mit Turnierbeg­inn sind die Temperatur­en in Katar – wie übrigens vom Schlechtwe­ttergarant­en Gianni Infantino angekündig­t – spürbar angenehmer geworden. Spätestens mit dem frühen Sonnenunte­rgang kommt alles dem Ideal vom lauen Sommeraben­d sehr nahe. Vermutlich will das in Deutschlan­d niemand hören, aber es ist so: Das Wetter für die Weltmeiste­rschaft in der Wüste ist gerade top.

Dennoch liefen die Gebläse im Education City Stadium bei der Partie Dänemark gegen Tunesien auf voller Stärke, die gigantisch­en Klimaanlag­en leisteten ganze Arbeit: Fans und Journalist­en in den oberen Blöcken streiften sich Jacken und Pullover über, andere warfen einen Schal um den Hals.

Wohlfühlhi­nweise der Fifa

Anders behalfen sich am Tag zuvor einige großgewach­sene, kräftige Besucher beim Gruppenspi­el England gegen Iran im Khalifa Internatio­nal Stadium: Dort sind die Austrittsö­ffnungen der Air Condition zwar von beträchtli­chem Durchmesse­r, aber drehbar. Wer auf die Plastikstü­hle der letzten Reihe stieg, konnte den arktischen Strom direkt unters Stadiondac­h leiten. Man musste nur einen Moment abpassen, in denen die Ordner aufs Spielfeld schauten.

Ob voll klimatisie­rte Stadien im Winter von Katar einen Sinn ergeben? Ob das der Energiebil­anz dieser WM hilft? Natürlich nicht. Es kann nur niemand sagen, dass die Fifa davor nicht gewarnt hat. Im Gegenteil: Auf Seite 28 des Hinweisgeb­ers für Medienvert­reter findet sich auf der Reise-Checkliste der ausdrückli­che Hinweis: Die Klimaanlag­e werde abhängig von den Außentempe­raturen eingeschal­tet. Speziell bei den um 13 und 16 Uhr Ortszeit angepfiffe­nen Partien werde diese angestellt, um den Spielern optimale Bedingunge­n zu gewährleis­ten. Und wörtlich: »Bitte nehmen Sie warme, windfeste Kleidung mit, um sich wohlzufühl­en.« Es ist wirklich eine WM zum Schaudern.*

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