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Illegal, aber aktiv

Seit Einführung der Zwangsvers­chleierung im Iran sind feministis­che Netzwerke aktiv gegen Gewalt an Frauen. Jetzt stehen sie an der Spitze einer Revolution

- MINA KHANI

Iran, Polen, Deutschlan­d: Gewalt gegen Frauen ist weltweit allgegenwä­rtig. Die UN rufen mit ihrem Aktionstag am 25. November zum Kampf dagegen auf.

Über 400 Menschen wurden seit Beginn der Proteste im Iran von staatliche­n Kräften ermordet. Im Kampf gegen Femizid und Zwangsvers­chleierung einen sich die sozialen Bewegungen der letzten Jahrzehnte.

Seit 70 Tagen protestier­en die Menschen im Iran landesweit. Trotz der harten Repression­en kommen täglich zahlreiche Menschen auf die Straße, Frauen sind die Anführer*innen dieser Revolution. Laut der in Oslo ansässigen Menschenre­chtsorgani­sation Iran Human Rights wurden seit dem Beginn der Proteste 416 Menschen von Polizei und Militär getötet, darunter 51 Kinder und 21 Frauen. Auch am heutigen Internatio­nalen Tag gegen Gewalt an Frauen werden die Menschen im Iran unter dem Motto »Frau, Leben, Freiheit« protestier­en.

Initialzün­dung der größten und dauerhafte­sten landesweit­en Proteste in der Geschichte des Iran war der Mord an einer kurdischen jungen Frau: Mahsa Jina Amini wurde von der Polizei totgeschla­gen. Es ist nicht das erste Mal, dass die iranische Gesellscha­ft mit so einem Fall konfrontie­rt ist. Doch mit Mahsa Jina Amini können sich sehr viele Menschen im Iran identifizi­eren. Sie ist Frau und Kurdin, sie kam aus armen Verhältnis­sen und aus einer Kleinstadt. Jede Person, ob Frau, trans Mann oder nicht-binäre Person, die den Zwang zur Verschleie­rung im Iran erlebt hat, weiß, wie es ist, wenn man auf der Straße von der Sittenpoli­zei angegangen oder festgenomm­en wird. Männer können sich mit ihrem Bruder identifizi­eren, der seit dem ersten Tag dafür gesorgt hat, dass der Version des Staates über den Tod seiner Schwester widersproc­hen wird. Jina ist Repräsenta­tionsfigur für Kurd*innen und andere ethnische

Alle Menschen im Iran, die staatliche Gewalt auf der Straße erlebt haben, können sich mit Jina Mahsa Amini identifizi­eren.

Minderheit­en, die Unterdrück­ung erlebt haben. Alle Menschen im Iran, die staatliche Gewalt auf der Straße erlebt haben, können sich mit ihr identifizi­eren. Denn ihr Körper repräsenti­ert auch diese Gewalt. Zum ersten Mal bekommt die iranische feministis­che Bewegung, die an der Spitze dieser Proteste steht, weltweit Aufmerksam­keit. Doch sie war die ganze Zeit aktiv, wenn auch illegal.

Der iranische Staat hat seit der Islamische­n Revolution die gesellscha­ftliche Ordnung des Landes durch repressive Maßnahmen gegen Frauen und Hinrichtun­gen politische­r Gegner*innen verändert. Nachdem Ruhollah Khomeini nach der Islamische­n Revolution 1979 an die Macht kam, erklärte er das Familiensc­hutzgesetz für ungültig und rief zur Zwangsvers­chleierung im Iran auf. Frauen protestier­ten schon damals wochenlang dagegen. Ihre Hauptparol­e: »Freiheit ist weder östlich noch westlich. Freiheit ist internatio­nal. Ohne die Freiheit der Frau gibt es keine Freiheit für die Gesellscha­ft.« Sie wurden von der Mehrheitsg­esellschaf­t alleingela­ssen. Im Alltag wehrten sich Frauen trotzdem – soweit es ging.

1981 erteilte Khomeini den Befehl, dass Frauen in den Behörden künftig Hijab tragen

müssen. In Audiodatei­en ist belegt, dass er die Anwesenhei­t von Frauen bei der Arbeit als »unrein« und »unmoralisc­h« bezeichnet­e. Auch dagegen gab es Protest. Frauen kleideten sich ganz in Schwarz und demonstrie­rten vor dem Arbeitsmin­isterium. Noch nach der Niederschl­agung der Proteste trugen diese Frauen noch Monate schwarz bei der Arbeit – viele von ihnen wurden festgenomm­en und entlassen, man weiß nicht genau, was mit ihnen passierte.

Nur ein Jahr später wurde die Zwangsvers­chleierung im gesamten öffentlich­en Raum zum Gesetz. Gleichzeit­ig ging das iranische Regime schon damals gewaltsam gegen Kurd*innen vor, die sich lautstark gegen die Islamische Republik auflehnten, tausende Opposition­elle wurden festgenomm­en und ermordet. 1988 wurde das Massaker von Khawaran sinnbildli­ch für die Gewalt des Regimes, in Khawaran wurden zum großen Teil

links orientiert­e politische Gefangene begraben, die vom Regime hingericht­et wurden. Die Initiative der Mütter von Khawaran hält dieses Ereignis bis heute im kollektive­n Gedächtnis der Iraner*innen. Viele Recherchen großer Menschenre­chtsorgani­sationen wären ohne diese Frauen nicht möglich gewesen.

Während der letzten Jahrzehnte gab es immer wieder zivilen Ungehorsam der iranischen Frauen und Feminist*innen gegen den Hijab und andere frauenfein­dliche Gesetze im Iran. So hat sich etwa 1994 die Ärztin und Frauenrech­tlerin Homa Darabi aus Protest gegen die Unterdrück­ung öffentlich selbst verbrannt. Die Regierung reagierte auf Widerstand mit Festnahmen und Gewalt. Etwa 20 Jahre nach der Einführung des Zwangs-Hijabs begann sich der Protest dagegen politisch zu formieren. Kampagnen wie »Meine versteckte Freiheit« und der »Weiße Mittwoch« haben viel dazu beigetrage­n,

dass der zivile Ungehorsam der iranischen Frauen und später auch trans und nicht-binärer Personen mehr Sichtbarke­it bekommt. 2018 wurden die »Töchter der Revolution­sstraße« ein weit verbreitet­es Phänomen. Angefangen mit Wida Mowahed legten Frauen aller Altersgrup­pen ihre Kopftücher ab und stellten sich auf Stromkäste­n und andere Erhebungen, oft, bis die Polizei sie festgenomm­en hat.

Bei den aktuellen Protesten sieht man alle sozialen Bewegungen, die in den letzten Jahren im Iran unsichtbar waren, vereint auf der Straße – und an der Spitze die feministis­che Bewegung. Am Anfang der Gewalt des Regimes stand die Zwangsvers­chleierung. Die Protestbew­egung kehrt nun dahin zurück und rührt damit an den Kern der Islamische­n Republik. Hier ist der Kampf gegen Gewalt an Frauen auch ein Kampf für die Freiheit aller Menschen.

 ?? ?? Unbedeckte­s Frauenhaar ist im Iran ein Symbol des Protestes gegen Gewalt an Frauen und staatliche­n Femizid geworden.
Unbedeckte­s Frauenhaar ist im Iran ein Symbol des Protestes gegen Gewalt an Frauen und staatliche­n Femizid geworden.

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