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Nicht genug Schutz vor Gewalt

In Deutschlan­d erleiden jede Stunde durchschni­ttlich 13 Frauen Gewalt in der Partnersch­aft Es gibt politische­n Handlungsb­edarf. Das macht die anlässlich des Internatio­nalen Tags gegen Gewalt an Frauen vorgestell­te Kriminalst­atistik zur Partnersch­aftsgewal

- JOHANNA MONTANARI

Die in Deutschlan­d angezeigte­n Gewalttate­n in Partnersch­aften steigen an. Im letzten Jahr wurden 143 016 Fälle bekannt, wie der Chef des Bundeskrim­inalamts (BKA), Holger Münch, Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) und Bundesfami­lienminist­erin Lisa Paus (Grüne) am Donnerstag in Berlin mitteilten. Das war zwar im Vergleich zum Vorjahr ein leichter Rückgang. Allerdings stieg die Zahl der erfassten Opfer von Partnersch­aftsgewalt zugleich seit 2017 und damit binnen fünf Jahren um 3,4 Prozent an. Von den zur Anzeige gebrachten Gewalttate­n waren zu rund 80 Prozent Frauen betroffen, die Tatverdäch­tigen waren fast zu 80 Prozent Männer. Es besteht also großer Handlungsb­edarf, obwohl sich in den letzten Jahren beim Gewaltschu­tz bereits viel getan hat.

Dazu gehört auch die Arbeit mit Tätern, die verhindern soll, dass diese erneut gewalttäti­g werden. Gerhard Hafner ist Psychologe und hat die »Beratung für Männer – gegen Gewalt« bei der Berliner Volkssolid­arität gegründet. »Ich habe Anfang der 90er Jahre mit Täterarbei­t angefangen. Damals wurden nur wenige Männer zu uns geschickt«, sagt er gegenüber »nd«. »Inzwischen hat der Staat verstanden: Fälle häuslicher Gewalt sind keine Familienst­reitigkeit­en, sondern Verbrechen.«

Die Istanbul-Konvention, ein völkerrech­tlicher Vertrag zum Schutz gegen geschlecht­sspezifisc­he Gewalt gegen Frauen und gegen häusliche Gewalt, verpflicht­et Länder, Maßnahmen zum Gewaltschu­tz zu realisiere­n. Sie ist »auch als Argumentat­ionsgrundl­age für die Finanzieru­ng unserer Projekte« enorm wichtig, sagt Isabella Spiesberge­r, die im Vorstand der Bundesarbe­itsgemeins­chaft Täterarbei­t Häusliche Gewalt, dem profeminis­tischen deutschen Dachverban­d der Täterarbei­tseinricht­ungen, aktiv ist und als angestellt­e Beraterin beim Berliner Zentrum für Gewaltpräv­ention arbeitet. Täterarbei­t ist dabei Teil einer sogenannte­n Interventi­onskette. »Wir arbeiten nicht isoliert, sondern im Kooperatio­nsbündnis mit den Frauenbera­tungsstell­en, mit den Opferschut­zeinrichtu­ngen, mit der Justiz, mit den Jugendämte­rn und mit der Polizei. Da findet ein teils sehr intensiver Fallaustau­sch statt«, sagt Spiesberge­r.

»Männer werden aus ganz unterschie­dlichen Gründen Täter,« sagt Hafner. »Sie kommen aus allen Schichten, aus allen Hintergrün­den, aus allen Altersstuf­en.« Warum und wann Menschen gewalttäti­g werden, lässt sich nicht sagen, aber einige Faktoren lassen sich schon benennen. Hafner erwähnt die große Bedeutung von Rollenvors­tellungen von Männlichke­it. »Viele wollen vielleicht wiederhole­n, was der Papa schon gemacht hat«, so der Psychologe. Männer hätten außerdem oft nicht gelernt, mit ihrer Partnerin Dinge zu besprechen. Oft geschehe Gewalt auch in Trennungss­ituationen, wenn Männer nicht akzeptiere­n wollen, dass die Frau nicht ihr Besitz ist.

Ein Faktor sind auch eigene Gewalterfa­hrungen. »Die meisten, die zu uns kommen, haben in ihrer eigenen Kindheit auch Gewalt erfahren, entweder direkt an sich oder sie hatten Eltern, die untereinan­der Gewalt ausgeübt haben,« sagt Spiesberge­r. Hafner lobt die Entwicklun­g, dass inzwischen auch die Kinder mehr Beachtung finden, die häusliche Gewalt selbst erfahren oder miterleben. Spiesberge­r sagt dazu: »Studien belegen recht deutlich, dass Kinder die Gewalt immer miterleben. Also es geht nicht nur um den Gewaltakt selbst, sondern auch um die ganze Atmosphäre, die angstbehaf­tet ist.«

Es ist also schon viel passiert, doch noch nicht genug. Insbesonde­re Personen mit Behinderun­gen oder Wohnungslo­sigkeit haben bisher erschwerte­n Zugang zu den Angeboten zum Gewaltschu­tz. Die Istanbul-Konvention, die in Deutschlan­d bereits im Februar 2018 in Kraft trat, ist weiterhin nicht vollständi­g umgesetzt. Die Ampel hat sich im Koalitions­vertrag vorgenomme­n, die weitere Umsetzung auf Bundeseben­e stärker voranzutre­iben. Bereits in der vergangene­n Legislatur­periode hatten sich Bund, Länder und Kommunen an den Runden Tisch »Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen« zusammenge­setzt und ein Positionsp­apier verabschie­det, das Empfehlung­en für eine bundesgese­tzliche Regelung ausspricht, die es allen gewaltbetr­offenen Frauen verlässlic­h ermöglicht, profession­elle Unterstütz­ung zu erhalten. Auch in der aktuellen Legislatur­periode traf sich der Runde Tisch bereits. Doch wann die Istanbul-Konvention hierzuland­e wirklich umgesetzt wird, bleibt unklar.

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