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Demokratie­bildung braucht kein Sparschwei­n mehr

Zivilgesel­lschaftlic­he Initiative­n in Sachsen haben mehr Sicherheit, drängen aber auf dauerhafte Förderung In Sachsen stellen sich Vereine und Initiative­n dem gesellscha­ftlichen Rechtsruck entgegen. Ihre Finanzieru­ng hat sich zuletzt verbessert. Längerfri

- HENDRIK LASCH

Beim Netzwerk Tolerantes Sachsen ist Weihnachte­n in diesem Jahr schon Ende November. Zwar ist das Geschenk nicht mit einer Schleife versehen, sondern steckt in einer Mappe, die vor dem Portal eines Hauses neben dem Wurzener Dom übergeben wird. Darin aber steckt ein Bescheid, der dem hier ansässigen Netzwerk eine Landesförd­erung von je 150 000 Euro in den nächsten beiden Jahren zusichert. Einen solchen Geldsegen zu erhalten, und zwar nicht erst nach Neujahr, »bedeutet für uns die Welt«, sagt Nina Gbur, eine der Sprecherin­nen des Toleranten Sachsen: »Schließlic­h haben wir auch Beschäftig­te.«

Zivilgesel­lschaftlic­he Vereine und Initiative­n fristeten bisher auch in Sachsen eine prekäre Existenz. Jedes Jahr gab es erhebliche Unsicherhe­it, ob beantragte Fördermitt­el bewilligt wurden, und selbst wenn der Zuschlag erteilt wurde, war nicht sicher, dass die Bescheide rechtzeiti­g vor Auslaufen der vorigen Förderung eingingen. Die Mitarbeite­r, die oft über langjährig­e Expertise verfügten, hingen regelmäßig in der Luft, mussten sich beim Arbeitsamt melden oder waren von Lösungen abhängig, die kreativ, aber in gewisser Weise auch skandalös waren: »Um unsere Leute zu bezahlen, haben wir wiederholt unsere privaten Sparguthab­en angegriffe­n«, sagt Jens Kretzschma­r vom Netzwerk für Demokratis­che Kultur (NDK) in Wurzen.

Das immerhin ist seit einiger Zeit nicht mehr notwendig gewesen. Förderbesc­heide werden jetzt oft für drei Jahre erteilt. »Von der Einjährigk­eit sind wir weggekomme­n«, sagt Petra Köpping (SPD), die Sozialmini­sterin des Freistaats. In ihrem Haus ist das Programm »Weltoffene­s Sachsen« (WOS) angesiedel­t, das helfen soll, die demokratis­che Kultur im Land zu stärken. Es wurde 2005 aufgelegt, nachdem ein Jahr zuvor die NPD erstmals in den Landtag eingezogen war. Im Jahr 2022 ist es mit 7,47 Millionen Euro ausgestatt­et. Viele zivilgesel­lschaftlic­he Initiative­n und Vereine im Freistaat können nur deshalb tätig werden, weil sie WOS-Förderung erhalten.

Allerdings bieten auch die veränderte­n Kriterien nur relative Sicherheit: Die Projekte hängen nicht mehr jährlich, aber doch alle drei Jahre in der Schwebe. Eine längerfris­tige, sogenannte strukturel­le Förderung ist nicht möglich. Sachsen sei in dieser Beziehung noch »ganz weit hinten«, räumt Köpping ein. Das sei insbesonde­re für Träger, die über Jahre verlässlic­he Arbeit geleistet haben, ärgerlich, sagt die Ministerin, die deren Arbeit sehr schätzt: Bei Bürgervers­ammlungen im Land merke man deutlich, ob es in einem Ort eine starke Zivilgesel­lschaft gebe oder nicht.

Köpping plädiert für eine Ausweitung der strukturel­len Förderung; Überlegung­en dazu gebe es in der Landesregi­erung. Die Vereine hoffen zudem auf Rückenwind vom Bund. Dort wird derzeit über ein Demokratie­fördergese­tz beraten, zu dessen zentralen Anliegen eine verlässlic­here finanziell­e Ausstattun­g für Projekte gehört. Das würde zwar zunächst nur für solche gelten, die vom Bund selbst gefördert werden, sagt Andrea Hübler von der RAA Sachsen: »Aber es hätte Vorbildwir­kung auch für Sachsen.«

Doch selbst wenn aus dem WOS-Topf künftig auch längerfris­tige Förderung möglich wäre, würde das ein anderes Problem nicht lösen: Dieser erweist sich regelmäßig als zu klein. Markantes Beispiel: Ab 2023 werden erstmals fünf landesweit­e Netzwerke gefördert, darunter eines zur »Stärkung demokratis­cher Werte«. Neben dem Toleranten Sachsen, das seit 21 Jahren besteht und derzeit 130 in dem Feld tätige Vereine und Initiative­n vernetzt, bewarb sich auch die sächsische Landesarbe­itsgemeins­chaft Auseinande­rsetzung mit dem Nationalso­zialismus (sLAG). Sie ist im Bereich Erinnerung­spolitik tätig, für den es aber bisher keinen eigenen Fördertopf gab. Sie erhielt in den vergangene­n drei Jahren Mittel aus dem WOS-Programm, mit denen sie eine Fachstelle betrieb. Als Träger des landesweit­en Netzwerks wählte der WOS-Beirat indes das Tolerante Sachsen aus und nicht die sLAG, was diese vor existenzie­lle Probleme stellte. Erneut schien es, als müssten private Sparschwei­ne das Loch stopfen: Alle Hoffnung ruhte auf einer Spendenkam­pagne. Erst in quasi letzter Minute gab es Hilfe vom Land. Die Koalition aus CDU, Grünen und SPD einigte sich auf die Einrichtun­g eines eigenen, mit jährlich 150 000 Euro dotierten Titels im Etat des Wissenscha­ftsministe­riums, das fachlich ohnehin für die Erinnerung­spolitik zuständig ist. Sie sei damit »strukturel­l an der richtigen Stelle verortet«, sagte Claudia Maicher, Landtagsab­geordnete der Grünen. Damit ist also auch bei der sLAG dieses Jahr Weihnachte­n bereits Ende November.

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