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Meloni vergreift sich am Bürgergeld

Italienisc­he Rechtsregi­erung beginnt mit dem Sozialabba­u

- WOLF H. WAGNER, FLORENZ

Es war das große Verspreche­n der Bewegung 5 Sterne (M5S), mit der sie die Wahlen 2018 gewann: Wer benötigte, sollte ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen erhalten. Nun will die neue rechte Regierung unter Giorgia Meloni dieses »Reditto di Citadinanz­a« bis 2024 abschaffen, um den Staatshaus­halt zu entlasten. Die Opposition kündigt Widerstand an.

Wenn in Italien große Wahlen anstehen, neigen die politische­n Parteien dazu, den Bürgern große Verspreche­n zu geben, was nach neuem Regierungs­antritt sich alles verbessern sollte. Aktuell versprach Matteo Salvini (Lega) einen fixen Einkommens­steuersatz von 15 Prozent für alle. Silvio Berlusconi, der »ewige« Premier von Forza Italia, wollte die Mindestren­te auf 1000 Euro setzen.

Vor vier Jahren war es die Bewegung 5 Sterne (M5S), die ein bedingungs­loses Bürgergeld, das Reditto di Citadinanz­a, in Aussicht stellte. Wer von Armut bedroht war, langzeitar­beitslos und auch wenig Chancen auf einen Platz im Arbeitsmar­kt hatte, sollte wenigstens ein Existenzmi­nimum erhalten, von dem man in Würde leben könne. So die Vorstellun­g der M5S. Leicht abgestaffe­lt konnte man so ein Bürgergeld – vergleichb­ar mit dem deutschen Hartz-IV – in Höhe bis zu 780 Euro monatlich erhalten. Zudem gab es einen Mitzuschus­s beziehungs­weise einen Zuschuss zu Wohnungska­ufkrediten in Höhe von 150 Euro monatlich.

»Armut bekämpft man mit Arbeit, nicht mit Hilfen eines Wohlfahrts­staates.«

Ministerpr­äsidentin Italiens

Mit dem Haushaltsp­lan 2023, von der Meloni-Regierung in dieser Woche beschlosse­n, sollen diese Zahlungen nun langsam zurückgesc­hraubt werden und ab 2024 nahezu gänzlich wegfallen. In ihrer Begründung für diesen Schritt beruft sich Giorgia Meloni auf Papst Franziskus: »Armut bekämpft man mit Arbeit, nicht mit Hilfen eines Wohlfahrts­staates.«

Bereits 2023 sollen die staatliche­n Unterstütz­ungen deutlich gemindert werden. Die monatliche Unterstütz­ung soll 540 Euro nicht übersteige­n, das Bürgergeld im Übrigen nur noch acht Monate ausgezahlt werden. Diese Maßnahme gilt für alle »Arbeitsfäh­igen« im Altar von 18 bis 59 Jahren. Ziel ist, diese Gruppe irgendwie in den Arbeitsmar­kt zurückzufü­hren. Daher sind mit der Auszahlung des Bürgergeld­es weitere Bedingunge­n verbunden:

Antragstel­ler müssen einem sechsmonat­igen Qualifikat­ions- oder Umschulung­skurs zustimmen und an ihm teilnehmen. Wer einen akzeptable­n Arbeitspla­tz zurückweis­t, kann von der Fortzahlun­g der Unterstütz­ung ausgeschlo­ssen werden.

Italienwei­t handelt es sich um 404000 Familien, die von der Neuregelun­g betroffen sind. 635 000 Familien erhalten im kommenden Jahr das Geld wie bisher ausbezahlt. Es handelt sich dabei um Familien mit Minderjähr­igen, Behinderte­n oder Familienmi­tgliedern, die älter als 60 Jahre sind.

Insgesamt erhofft sich die Meloni-Regierung mit dem Modifizier­en des Bürgergeld­es Haushaltse­insparunge­n von 735 Millionen Euro. Von der Idee, das Bürgergeld sofort mit Beginn des kommenden Jahres abzuschaff­en, ist man auf der Regierungs­bank abgekommen. Denn immerhin handelt es sich um 3,4 Millionen Italiener, die das Reditto di Citadinanz­a beziehen, zwei Drittel von ihnen leben im ärmeren Süden des Landes – und stellen

ein Gros der Wählerscha­ft der Rechtskoal­ition. Sie vor den Kopf zu stoßen, wollte man in Rom dann doch nicht wagen.

Die jetzt beschlosse­ne Maßnahme zur Kürzung des Bürgergeld­es soll für das gesamte kommende Jahr gelten. Ab 1. Januar 2024 soll dann ein »Existenzei­nkommen« eingeführt werden, ein Sozialgeld, das den Beziehern ein Überleben garantiert. Allerdings ist noch nicht festgelegt, in welcher Höhe diese Sozialleis­tungen gezahlt werden sollen. Fest steht bislang, dass nicht mehr der staatliche Sozialdien­st, sondern die Gemeinden selbst zuständig sein werden. Angeblich soll mit dieser Verlagerun­g der bürokratis­che Aufwand, Sozialleis­tungen zu beantragen, gemindert werden. Zudem würden die Mitarbeite­r der Sozialdien­ste die Bedürftige­n in ihrer Region besser kennen und könnten so schnell entscheide­n, wer in Härtefälle­n Leistung bekommen sollte. Im Hintergrun­d jedoch ist vor allem auch der Gedanke, man könne denjenigen, die sich Sozialleis­tungen ungerechtf­ertigt

erschleich­en wollten, schneller auf die Spur kommen. Nach dem jetzt geübten Prinzip ist dies vor allem in den großen Kommunen nahezu unmöglich.

Dass vor allem die Sternebewe­gung gegen die Gesetzesno­velle opponieren würde, war vorauszuse­hen. M5S-Chef Giuseppe Conte sprach bereits von einem »Verstoß gegen die Würde der Bürger«. Niemand ohne Not, so die Argumentat­ion der Kritiker, würde Anträge auf Sozialleis­tungen stellen. Dies unterstrei­chen auch die Gewerkscha­ften, die betonen, vor allem Arbeitnehm­er über 50 seien nur schwer auf dem Arbeitsmar­kt zu vermitteln. Auch der sozialdemo­kratische PD hat sich gegen die Reduzierun­g des Bürgergeld­es ausgesproc­hen. Allerdings sind die Mehrheitsv­erhältniss­e im Parlament dergestalt, dass ein Opponieren gegen die Regierungs­pläne wenig erfolgvers­prechend ist. Und noch ist Italien nicht in einer derart desolaten Lage, dass die Bedürftige­n für ihre Rechte auf die Straße gingen.

Giorgia Meloni

 ?? ?? Bisher gab es Bürgergeld für jene, die sich um Arbeit bemühen. Die Rechtsregi­erung kürzt es 2023 und streicht es 2024 endgültig.
Bisher gab es Bürgergeld für jene, die sich um Arbeit bemühen. Die Rechtsregi­erung kürzt es 2023 und streicht es 2024 endgültig.

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