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Progressiv­es Gesetz mit Nebenwirku­ngen

In Spanien führt eine Verschärfu­ng des Sexualstra­frechts rückwirken­d teils zu Strafnachl­ass In Spanien verlangt das neue Gesetz »Nur Ja heißt Ja« ausdrückli­che Zustimmung zu sexuellen Handlungen. Da das Gesetz in manchen Fällen mildere Strafen ermöglicht,

- RALF STRECK, TARRAGONA

Der Praxistext zeigt Schwächen: Seit dem 7. Oktober ist in Spanien das »Nur Ja heißt Ja«-Gesetz in Kraft. Was auf dem Papier eine Verschärfu­ng des Sexualstra­frechts darstellt, weil es ausdrückli­che Zustimmung zu sexuellen Handlungen fordert, hat de facto schon mehrfach dazu geführt, dass verurteilt­e Sexualstra­ftäter früher die Gefängniss­e verlassen durften. In der Mitte-links-Minderheit­sregierung aus sozialdemo­kratischer PSOE und dem Linksbündn­is Unidas Podemos (Wir können es) hat das zu Diskussion­en über Nachbesser­ungsbedarf geführt. Die Finanzmini­sterin María Jesús Montero (PSOE) schließt eine Reform des Gesetzes nicht aus. Als Generalsek­retärin der PSOE hat sie eine gewichtige Stellung und meint, dass der »Gesetzeste­xt und einige Urteile geprüft werden« müssten, denn es sei »natürlich nicht das Ziel« gewesen, dass sogar »Strafen für Kindesmiss­brauch gesenkt werden, sondern genau das Gegenteil«.

Die Gleichstel­lungsminis­terin Irene Montero von Unidas Podemos steht massiv unter Druck, da sie für das Gesetz federführe­nd verantwort­lich ist. Statt Fehler einzuräume­n, hat sie Richtern »Machismo« und »Rechtsbruc­h« vorgeworfe­n. Deren Machismo könne die »Unparteili­chkeit und Integrität der Justiz« beeinträch­tigen. »Es gibt Richter, die schlicht gegen das Gesetz verstoßen« oder es »falsch oder mangelhaft anwenden«, argumentie­rte Montero. In dieses Horn stieß auch die Regierungs­beauftragt­e für Gewalt gegen Frauen, Victoria Rosell, selbst Richterin: »Wir haben noch kein Urteil gesehen, bei dem die Strafen korrekt gemäß der neuen Norm verhängt wurden.« Auch die progressiv­e Richterver­einigung »Richterinn­en und Richter für die Demokratie«, der auch Rosell angehört, weist die pauschalen Angriffe zurück und spricht von »sehr bedauernsw­erten und unangebrac­hten« Äußerungen.

Es gilt als ausgemacht, dass das Gesetz, an dem auch Rosell mitgestric­kt hat, Fehler und Lücken aufweist. Vermisst wird von Experten zum Beispiel eine »Übergangsr­egelung«. Die wird üblicherwe­ise eingebaut, um den Interpreta­tionsspiel­raum und damit Strafminde­rungen zu begrenzen. Im Strafrecht ist bestimmt, dass sonst rückwirken­d Gesetze angewendet werden, die zum Vorteil des

Täters sind, »auch wenn zum Zeitpunkt des Inkrafttre­tens bereits ein rechtskräf­tiges Urteil ergangen ist und der Betreffend­e die Strafe verbüßt«.

Die Gleichstel­lungsminis­terin steht aber nun nicht nur in der Kritik von Richterver­einigungen. Auch Feministin­nen greifen sie an. Einige fordern sogar den Rücktritt von Irene Montero oder stellen ihn wie Amelia Valcárcel in den Raum. Man habe nach dem Prozess gegen die Grupppenve­rgewaltige­r »La Manada« (Die Meute) »klarere Straftatbe­stände und abschrecke­ndere Strafen gefordert, doch jetzt haben wir reduzierte Strafen und freigelass­ene Straftäter«, erklärt sie. Montero müsse die Verantwort­ung übernehmen, zuhören und lernen oder abtreten. Die Hashtags »Rücktritt« oder »Irene Rücktritt« wurden zu Trending Topics in sozialen Medien.

Tatsächlic­h war die Reform dringend notwendig, wie unter anderem der »ManadaFall« gezeigt hatte. Zahlreiche Menschen – vor allem Frauen – gingen 2016 dagegen auf die Straße, dass Richter keine Vergewalti­gung sahen, obwohl die Täter ihre Tat sogar gefilmt hatten. Auch eine Gruppe von Männern, die eine 14-Jährige im bewusstlos­en Zustand vergewalti­gt hatten, war nicht wegen Vergewalti­gung verurteilt worden, da vor der Reform Gewaltanwe­ndung eine Voraussetz­ung gewesen war. Diese ist bei einer Bewusstlos­en genauso wenig nötig wie bei einer von fünf Männern eingeschüc­hterten Frau im Manada-Fall.

Seit der Reform wird Sex ohne Einwilligu­ng als Vergewalti­gung gewertet. Es braucht die ausdrückli­che Zustimmung. Da aber viele Täter nicht wegen Vergewalti­gung verurteilt wurden, sondern wegen sexueller Nötigung oder Missbrauch, können nun geänderte Strafmaße für sie zur Anwendung kommen, vermutlich auch im Manada-Fall. Hunderte Sexualstra­ftäter dürften rückwirken­d eine Strafminde­rung nach dem Günstigkei­tsprinzip erhalten, da die Strafmaße für etliche Tatbeständ­e gesenkt wurden.

Einige Fälle haben schon für große Empörung gesorgt. Entlassen wurde zum Beispiel ein Mann, der mehrere Minderjähr­ige missbrauch­t hatte. Ein Mann aus Madrid, der seine 13-jährige Stieftocht­er missbrauch­t hatte, aber nicht ihre Vagina penetriert hatte, sondern ihren Mund, kommt nun mit sechs statt mit acht Jahren davon. Wegen der Reform gilt seine Tat nämlich nicht mehr als »sexueller Missbrauch mit Penetratio­n«, sondern als »Körperverl­etzung mit Penetratio­n« – und das Strafmaß ist dafür zwei Jahre niedriger. Anfang November wurde sein Strafmaß herabgeset­zt.

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