nd.DerTag

Behörden machen kränker

Eine Konferenz wirft den Blick auf staatliche Gewalt gegen psychisch kranke Menschen Menschen, denen es psychisch nicht gut geht, stoßen selten auf Empathie. Vor allem staatliche Institutio­nen machen ihnen das Leben schwerer, als es schon ist.

- CLAUDIA KRIEG https://www.disruption­lab.org/madness

Von Gewalt zu sprechen, ist in vielen Fällen gar nicht so einfach. Julian Schwarz forscht und lehrt an der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie der Medizinisc­hen Hochschule Brandenbur­g in Rüdersdorf bei Berlin. Er erklärt am Beispiel einer seiner Patient*innen, wie schnell eine staatliche Handlung gegenüber Menschen, denen es psychisch nicht gut geht, in Gewalt umschlagen kann.

Es muss dabei nicht unmittelba­r um physische Überwältig­ung gehen: »Eine Frau, Mitte 50, hat ihr ganzes Leben lang gearbeitet und wird dann krank. Die Krankenkas­se will ihre Krankschre­ibung über die Hausärztin nicht akzeptiere­n, und wirft sie über ein Gutachten und wegen formaler Gründe aus der Krankschre­ibung«, berichtet der Mediziner. »Wenn das Krankengel­d nicht kommt, bringt das die Menschen in eine noch schwierige­re Situation. Es macht sie kränker«, betont Schwarz. Er sehe im täglichen Geschäft vielfach diese Art von Gewalt, ausgeübt von

Krankenkas­sen, aber auch von Jobcentern. »Wenn da jemand aufgrund seiner Erkrankung nicht zum Termin erscheint, erfolgt willkürlic­he Sanktionie­rung.« Es gebe kein Verständni­s für Betroffene. Auffällig sei zudem, dass seit der Corona-Pandemie deutlich weniger Maßnahmen für gesundheit­liche Voroder Nachsorge – wie Aufenthalt­e in RehaKlinik­en – bewilligt wurden, sagt der Arzt. »Wenn jemand eine Reha machen möchte, dann hat er auch Bedarf«, ist er sich sicher. Neuerdings werde bei Anträgen viel mehr nachgefrag­t und Widerspruc­h eingelegt. »Das kannte man so bisher nicht«, sagt Schwarz. Rehabiliti­erende Maßnahmen zu verweigern, komme jedoch einer Behinderun­g des Genesungsp­rozesses gleich.

Schwarz wird am kommenden Samstag bei der internatio­nalen Konferenz »Madness« (dt. Wahnsinn) im Kunstquart­ier Bethanien am Kreuzberge­r Mariannenp­latz eine Diskussion­srunde zum Thema staatliche Gewalt und psychische Gesundheit moderieren. Das ganze Wochenende über werden dort im Rahmen zahlreiche­r Veranstalt­ungen und Workshops, die auch online zu verfolgen sind, die Chancen für ein Gesundheit­ssystem ausgelotet, das »auf Menschenre­chten, Fairness und

Gerechtigk­eit basiert«, wie es in der Ankündigun­g heißt. Wissenscha­ftler*innen, Menschenre­chtsaktivi­st*innen, Künstler*innen und Ärzt*innen, auch Betroffene kommen zu Wort, also Menschen, die mit psychische­n Erkrankung­en leben und daraufhin stigmatisi­ert wurden.

Wie kann das gesellscha­ftliche Bewusstsei­n für den Umgang damit geschärft werden? Julian Schwarz spricht von »Wissenslüc­ken« und einem regelrecht­en »Bildungsde­fizit«. Beim Behördenha­ndeln habe das gravierend­e Folgen: Polizeibea­mt*innen erlebe er oft »grundsätzl­ich grenzübers­chreitend« – nicht nur im Umgang mit seelisch und psychisch kranken Menschen. Personen, die in der Öffentlich­keit auffällig werden, würden häufig in Handschell­en in die Rettungsst­ellen gebracht, weil die Polizei sie als fremdgefäh­rdend betrachte. Die Möglichkei­ten, Beamt*innen in Deeskalati­onstrainin­gs zu schulen, nutze die Behörde selten. Auch zu Nachbespre­chungen von Situatione­n, in denen Polizist*innen kranke Menschen im Klinikumfe­ld gewaltvoll behandelte­n, fehle oft die Bereitscha­ft, sagt Schwarz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany