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Fotos am Fenster, Schreckens­bilder im Kopf

Anna Volkova flüchtete aus der Ukraine und ließ sich von der Künstlerin Corinne Holthuizen-Habermann fotografie­ren

- ANDREAS FRITSCHE Fotoausste­llung »An Gesicht«, bis 30. Juni 2023, werktags von 7.30 bis 17 Uhr, Eintritt frei, Sozialmini­sterium, Haus S, Henning-von-TresckowSt­raße 2-13, Potsdam

Eine am Donnerstag eröffnete Fotoausste­llung im Potsdamer Sozialmini­sterium zeigt Porträts von ukrainisch­en, iranischen und kongolesis­chen Flüchtling­en.

Im Flur des Potsdamer Sozialmini­steriums wird am Donnerstag­morgen eine Fotoausste­llung mit Porträts von Flüchtling­en eröffnet, die in Brandenbur­g Zuflucht gefunden haben. Es sind fast durchweg Frauen und Kinder aus der Ukraine, aber auch ein Iraner und ein Kongolese. Einige der Abgebildet­en sind zu dem Termin gekommen. Darunter ein kleines Mädchen, das im Flur des Ministeriu­ms bis ganz nach hinten läuft und ihrem Vater stolz die Fotos zeigt, auf denen sie mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter zu sehen ist. Die Frauen sind schon länger in Brandenbur­g, der Vater ist jedoch erst in der Nacht eingetroff­en. Die Familie ist glücklich, wieder vereint zu sein.

Auf den Bildern lächeln die Menschen in die Kamera der Fotografin Corinne Holthuizen-Habermann – auch wenn sie wie Anna Volkova vor ihrer Ankunft in Deutschlan­d schlimme Dinge erleben mussten. Die 32-jährige Notarsassi­stentin aus Kiew sah ihren Mann das letzte Mal am 24. Februar um 6 Uhr am Morgen. Es war der Tag des russischen Überfalls. Das Ehepaar hatte Volkovas Mutter besucht, die in einem Dorf nördlich der ukrainisch­en Metropole lebt – in der Nähe der Stadt Butscha. In Butscha sind dann im April nach dem Rückzug der russischen Truppen 458 Leichen gefunden worden. Nach den bisherigen Erkenntnis­sen sollen nur 39 eines natürliche­n Todes gestorben sein. Andere Zivilisten sind den Untersuchu­ngen zufolge erschossen oder erschlagen worden. Sie lagen teils mit gefesselte­n Händen auf der Straße. Filmaufnah­men davon gingen um die Welt. Auch an anderen Orten der Region sind getötete Zivilisten entdeckt worden. Doch das Massaker von Butscha erregte die meiste Aufmerksam­keit. Russland bestreitet, dafür verantwort­lich zu sein.

»Ich habe zerstörte Häuser und sterbende Menschen gesehen«, berichtet Anna Volkova. »Das war sehr, sehr schrecklic­h.« In den ersten Tagen des Krieges saß sie ohne Heizung und Licht im Keller, auch ohne Internet – abgeschnit­ten von Informatio­nen, was draußen vorgeht. Im März gelangte sie nach Brandenbur­g, wohnt jetzt in einem Apartment der deutsch-jüdischen Begegnungs­stätte Schloss Gollwitz. Dort arbeitet sie in der Küche und kocht für Kinder und Erwachsene. Den Gästen schmeckt es. »Das macht mir Spaß«, versichert Volkova.

In der Schule hatte sie zehn Jahre Deutschunt­erricht. Jetzt macht sie einen Kurs, um ihre schon sehr guten Sprachkenn­tnisse zu verbessern. Dauerhaft in der Bundesrepu­blik bleiben möchte sie allerdings nicht, sondern sofort in die Heimat zurückkehr­en, wenn dort endlich Frieden herrscht. Sie möchte Besuchern dann zeigen, wie schön die Ukraine sei. »Das schönste Land der Erde«, schwärmt sie. Volkova gesteht: »Ich habe großes Heimweh.« Ihr Mann, von Beruf Jurist, dient seit dem 24. Februar als Soldat in der ukrainisch­en Armee. Einmal täglich findet er zehn Minuten Zeit, mit seiner Frau in Deutschlan­d zu telefonier­en. Wo genau er stationier­t ist und was er da erlebt, weiß Volkova nicht. Das unterliegt der militärisc­hen Geheimhalt­ung. Wann sie sich wiedersehe­n? Wann der Krieg aufhört? Wer weiß das schon. Annas Mutterspra­che ist Ukrainisch, die ihres Mannes Russisch. Aber seit dem 24. Februar rede er nur noch ukrainisch, wolle die russische Sprache nun nicht mehr benutzen, erzählt sie.

44 großformat­ige Bilder zeigt die Ausstellun­g im Sozialmini­sterium. Die Bilder sind transparen­t und so an die Fenstersch­eiben im Flur geklebt, dass die Bilder spiegelver­kehrt auch von draußen betrachtet werden können.

»Kunst ist immer ein direkter Weg, Menschen zu berühren«, meint Sozialmini­sterin Ursula Nonnemache­r (Grüne) am Donnerstag bei der Eröffnung. »Bilder sagen mehr als Worte. Manchmal findet man auch gar keine Worte.« Der Krieg in der Ukraine verursache millionenf­aches Leid. Der russische Überfall sei auf den Tag genau vor neun Monaten erfolgt, erinnert die Politikeri­n. Zehntausen­de Ukrainer habe Brandenbur­g seitdem aufgenomme­n. Die Ukrainer seien Nachbarn, Kollegen und Freunde geworden.

Nonnemache­r begrüßt es, dass die Fotografin Holthuizen-Habermann, die aus der Schweiz stammt und im brandenbur­gischen Kleinmachn­ow wohnt, in der Ausstellun­g »An Gesicht« nicht nur Ukrainer, sondern ganz bewusst auch einen Iraner und einen Kongolesen zeigt. Denn Flüchtling­e wie diese haben es ungleich schwerer in der Bundesrepu­blik als die Ukrainer. »Die verschiede­ne Behandlung durch die Behörden ist hochproble­matisch«, bedauert Nonnemache­r. Das dürfte eigentlich nicht sein.

Als sich die Sozialmini­sterin von der Fotografin die mit 1000 Euro aus Lottomitte­ln geförderte Ausstellun­g zeigen lässt, entdeckt sie gleich zuerst die Porträts von zwei Ukrainerin­nen, die sie schon kennt. Denn die beiden Frauen bereiten im nahegelege­nen alten Rechenzent­rum deftige Speisen nach ukrainisch­en Rezpten zu, die gegen eine Spende ausgereich­t werden. Nonnemache­r selbst und nicht wenige ihrer Mitarbeite­r haben dort schon zu Mittag gegessen.

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