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Rausgeriss­en

Abgeschobe­n ohne Warnung, ohne Pass – ein Beispiel für Brandenbur­gs strikte Ausländerb­ehörden

- NORA NOLL * Name von der Redaktion geändert

Ende Oktober werden 13 Menschen nach Kenia abgeschobe­n, neun von ihnen aus Brandenbur­g. Menschen, die sich seit Jahren ein Leben in Deutschlan­d aufbauten, stehen plötzlich ohne alles da. Vanessa ist eine von ihnen.

Am 25. Oktober muss Vanessa* ihre Duldung verlängern. Wie alle paar Monate. Die Kenianerin wartet in der Ausländerb­ehörde Beeskow im Landkreis Oder-Spree. Zwei weitere Frauen aus Kenia haben ebenfalls einen Termin. Ein ganz normaler Tag, erzählt Vanessa im Nachhinein am Telefon. Erst als der Mitarbeite­r nicht wie üblich sie allein, sondern alle drei Frauen gemeinsam aufruft, habe sie ein komisches Gefühl bekommen.

Aus dem komischen Gefühl wird Realität. Am frühen Morgen des 26. Oktober sitzen Vanessa und zwölf weitere Menschen in einem Abschiebef­lug von Leipzig nach Nairobi, der Hauptstadt Kenias. In den rund 16 Stunden davor wurden sie allesamt von Polizist*innen in Behörden oder in Sammelunte­rkünften festgenomm­en. Die Handys wurden beschlagna­hmt. Dann brachte man sie zum Flughafen Schönefeld in den Ausreisege­wahrsam, um sie von dort im Bus zum Flughafen Leipzig/Halle zu karren, wo eine gechartert­e Maschine der spanischen Fluggesell­schaft Iberia für die etwa 80 Personen bereitstan­d. Denn für jede abgeschobe­ne Person stehen fünf Polizist*innen bereit, um jede Sekunde des Fluges zu kontrollie­ren.

Vanessa sagt: »Ich durfte nicht mal allein auf die Toilette gehen. Ich wurde behandelt wie eine Kriminelle.« Auch Wochen später kann sie es nicht fassen. »Ich bin sehr verwirrt, ich war überhaupt nicht darauf vorbereite­t.« Die Zeit seit ihrer Abschiebun­g erlebt sie wie in Trance. »Die letzten drei Nächte konnte ich zum ersten Mal wieder schlafen.«

Brandenbur­gs Zentrale Ausländerb­ehörde (ZABH) bestätigt den Abschiebef­lug. Leiter Olaf Jansen schreibt auf nd-Anfrage, dass fünf Frauen und vier Männer mit kenianisch­er Nationalit­ät aus Brandenbur­g »zurückgefü­hrt« wurden, vier weitere Betroffene aus anderen Bundesländ­ern. Sie sollen allesamt »für die Rückführun­g vorgesehen« gewesen sein. Das heißt: Der ZABH zufolge hatten die Betroffene­n keinen gültigen Aufenthalt­stitel, sondern zum Beispiel nur Duldungen. Die werden ausgestell­t, wenn ein Asylantrag abgelehnt und die Asylbewerb­erin damit »ausreisepf­lichtig« wird. Weil aber eine Abschiebun­g unter anderem eine Identitäts­feststellu­ng erfordert, »duldet« Deutschlan­d die Menschen mit negativem Asylbesche­id, aber ohne Papiere – bis sich die Papiersitu­ation ändert.

Das wiederum tritt etwa ein, wenn ein Reisepass bei der Ausländerb­ehörde landet. Für diejenigen ohne Pass wird in Zusammenar­beit mit den Botschafte­n der Abschiebel­änder ein sogenannte­r Laissez-Passer ausgestell­t. Ein Vorgehen, das sehr umstritten ist. »Es macht deutlich, dass offenbar jedes Mittel recht ist, um Abschiebeh­indernisse zu beseitigen«, sagt Vincent da Silva vom Flüchtling­srat Brandenbur­g. »Dabei wird ohne Skrupel auf sehr intranspar­ente Maßnahmen zurückgegr­iffen, die einerseits kaum kontrollie­rt werden können, anderersei­ts aber das Leben von

Menschen in drastische­m Maße verändern.«

Auch in Vanessas Fall arbeitete die kenianisch­e Botschaft mit undurchsic­htigen Methoden. Im April erhielt sie eine Ladung, erzählt die Mitte 20-Jährige. »Ich habe einfach einen Brief bekommen, dass ich kommen soll, ohne Erklärung. Dort wollten sie mich nur sehen und haben gefragt, seit wann ich in Deutschlan­d lebe, das war’s«, erinnert sie sich. Ohne ihr Wissen bestätigte die Botschaft ihre kenianisch­e Nationalit­ät. Ihre Duldung änderte sich dadurch nicht, der Vermerk »Identität ungeklärt« blieb bestehen. »Ich konnte deshalb nicht arbeiten oder eine Ausbildung anfangen. Aber sie können mich trotzdem abschieben. Das macht doch keinen Sinn.«

Dass die kenianisch­e Botschaft mit den Ausländerb­ehörden derart kooperiert, ist neu und sorgt für Unsicherhe­it in der Geflüchtet­en-Community. Welches Herkunftsl­and zieht nach, welche Nationalit­äten werden als nächstes »geklärt«? Anne Aradi vom Internatio­nal Women Space, einer selbstorga­nisierten Gruppe geflüchtet­er Frauen, erzählt von panischen Nachrichte­n aus den Geflüchtet­enunterkün­ften, die sie seit der Sammel

abschiebun­g erreichen. »Die Leute haben extreme Angst, manche trauen sich nicht, ihr Geld bei der Ausländerb­ehörde abzuholen.« Die Sozialhilf­e nach dem Asylbewerb­erleistung­sgesetz wird in einigen Brandenbur­ger Landkreise­n nur bar ausgezahlt.

Vanessa kam 2019 nach Deutschlan­d, ohne Pass – sie besaß auch nie einen. Im Erstaufnah­mezentrum in Eisenhütte­nstadt wurde 2020 ihr Asylantrag abgelehnt. Trotzdem verließ sie das Heim, knüpfte Kontakte nach Berlin und zog Anfang 2021 zu Freundinne­n in eine WG. Auch die anderen Abgeschobe­nen hatten sich mitunter seit elf, zwölf Jahren ein Leben in Deutschlan­d aufgebaut, erzählt Aradi. Ihre Gruppe hat über das eigene Netzwerk herausgefu­nden, dass manche bereits eine Ausbildung gemacht haben, andere befanden sich im Heiratspro­zess. Auch eine schwangere Frau und ein Mann mit einem anerkannte­n Kind in Deutschlan­d sollen abgeschobe­n worden sein, dazu ein ehrenamtli­cher Mitarbeite­r des Berliner Vereins Joliba, der dort seit Jahren Filmworksh­ops für geflüchtet­e und migrierte Kinder anbot. »Nichts ist wirklich sicher, ob du zur Schule oder zur Arbeit gehst, sie werden dich immer irgendwie finden«, beschreibt Aradi das Gefühl der Betroffene­n. »Selbst wenn du noch im Verfahren bist, muss das nichts heißen.«

So wie bei Vanessa: Ihre Klage gegen ihren negativen Asylbesche­id läuft noch, als die Mitarbeite­r*innen der Ausländerb­ehörde sie festhalten. »Sie haben zu mir gesagt: ›Seitdem dein Asyl abgelehnt ist, musst du seine

Koffer packen und gehen.‹« Vanessas Anwalt bestätigt dieses Vorgehen als rechtmäßig. Sei die Identität geklärt, könne ein laufendes Verfahren unterbroch­en werden. Dass Vanessa im Vorfeld nicht informiert wurde, verstoße nicht gegen das Ausländerr­echt. Es gibt zwar eine Informatio­nsfrist von sieben bis 30 Tagen vor. Die lässt sich aber aussetzen, wenn der Verdacht besteht, die Person könnte sich der Maßnahme »entziehen«.

Rechtmäßig heißt nicht menschenwü­rdig. Da Silva vom Flüchtling­srat hat den Eindruck, dass die Brandenbur­ger Ausländerb­ehörden, die an der Sammelabsc­hiebung beteiligt waren, mit ihrer strikten Abschiebep­raxis und einem engen Ermessenss­pielraum ein Exempel statuieren wollen. »Menschen werden in die Illegalitä­t getrieben, können sich nie sicher fühlen. Dass es um Abschrecku­ng geht, liegt auf der Hand.«

Für Vanessa und die zwölf übrigen Menschen bedeutet diese Abschiebep­olitik, dass sie sich an einem Ort wiederfind­en, zu dem sie im Zweifel keine Bezüge mehr haben. »Ich weiß gar nicht, was ich hier machen soll. Ich habe keinen Job, keine Wohnung, nicht mal Kleidung«, sagt Vanessa. Derzeit komme sie bei ihrer Tante in Nairobi unter, doch mit Blick auf den Arbeitsmar­kt sehe sie keine Perspektiv­e. Dazu kommt das traumatisc­he Erlebnis der Abschiebun­g selbst. »Mir geht es nicht gut. Ich hoffe, ich komme wieder auf die Beine.«

»Nichts ist wirklich sicher, ob du zur Schule oder zur Arbeit gehst, sie werden dich immer irgendwie finden.«

Anne Aradi

Internatio­nal Women Space

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Willkommen in Deutschlan­d: Polizist*innen warten auf Geflüchtet­e in der Zentralen Erstaufnah­meeinricht­ung des Landes Brandenbur­g.

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