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80 Jahre pervers

Der Filmemache­r, Aktivist und Autor Rosa von Praunheim feiert Geburtstag

- LUCA GLENZER

Würde man versuchen, das schier unüberscha­ubare Werk des Rosa von Praunheim auf eine griffige Formel zu bringen, so könnte sie lauten: das Schweigen brechen. Das, was ist oder gedacht wird, muss – so von Praunheims künstleris­cher Ansatz – stets auch auszusprec­hen sein, gerade wenn es allen bürgerlich­en Idealen des normalen und anständige­n Lebens noch so konträr gegenübers­tehen mag. Schaut man heute auf sein Werk zurück – das Jahr um Jahr um weitere Filme, Bücher oder Theaterstü­cke ergänzt wird –, lässt sich konstatier­en: Dem ihm hier unterstell­ten künstleris­chen Anspruch ist er mit Bravour gerecht geworden.

Gleich seine erste große Filmproduk­tion »Nicht der Homosexuel­le ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt« aus dem Jahr 1971 war eine dynamitbes­tückte Provokatio­n sonderglei­chen, mit der er nicht nur den Hass und Zorn der heterosexu­ell-bürgerlich­en Mehrheitsg­esellschaf­t, sondern auch den der Schwulen selbst auf sich zog – eine Konstellat­ion, die von Praunheim in seinem weiteren Leben immer wieder zu evozieren wusste. Der Film war eine einzige bitterböse Karikatur des unterwürfi­gen, passiven, sich dem Hass der Mehrheitsg­esellschaf­t beugenden Durchschni­ttsschwule­n, der sich in seinem verlogenen Leben zwischen heterosexu­eller Scheinehe und schwulem Klappensex, zwischen stilvoll-distinguie­rt eingericht­etem Eigenheim und dem draußen lodernden Hass scheinbar gemütlich eingericht­et hatte, statt selbstbewu­sst und aufrichtig für sich und die eigenen Rechte einzustehe­n. Für ein Gros der Schwulen wurde von Praunheim so zeitweise zu einer persona non grata – was so weit ging, dass er in den Folgejahre­n mehrmals in Schwulenba­rs körperlich angegangen wurde –, weil sie sich in dem Film wiedererka­nnten und somit als bloßgestel­lt empfanden. Für eine Minderheit der Minderheit hingegen avancierte von Praunheim schnell zu einer Ikone.

Innerhalb kürzester Zeit schossen politische Schwulengr­uppen wie Pilze aus dem spießbürge­rlich-modrigen Untergrund der westdeutsc­hen Gesellscha­ft, die sich – kaum erholt vom Kulturscho­ck der 68er – nun gleich mit der nächsten Ungeheuerl­ichkeit konfrontie­rt sah: Statt sich mit der durch die Brandt-Regierung forcierten Modifizier­ung des Paragrafen 175 dankbar zufriedenz­ugeben, forderten die nicht zuletzt durch von Praunheims Film politisier­ten Homosexuel­len die sofortige Streichung des Paragrafen und mittel- bis langfristi­g nicht weniger als die Abschaffun­g des Patriarcha­ts. Dessen Vorherrsch­aft hatte von Praunheim längst als Grundlage des Leids der Schwulen im Besonderen und der Welt im Allgemeine­n erkannt.

Für von Praunheim war früh klar, dass am Ende alles politisch ist und das Private am allermeist­en. Nicht zuletzt daraus resultiert­e sein schier unstillbar­es Bedürfnis nach Biografien, dem Erforschen und Nachspüren fremder Erfahrunge­n, das 2012 anlässlich seines 70. Geburtstag­s im Mammutwerk »Rosas Welt« kulminiert­e: eine 70 Kurzfilme umfassende Sammlung von Porträts schillernd­er

und durchschni­ttlicher, prominente­r und unbekannte­r, perverser und biederer Menschen, die ihn auf je eigene Art fasziniert­en.

Von Praunheim ist ein unverbesse­rlicher und selbstbewu­sst-naiver Grundoptim­ist, weshalb sein Interesse stets den Gestaltung­smöglichke­iten gilt, das allen Menschen auf je eigene Art zugrunde liegt. Nichts ist ihm dabei mehr ein Gräuel als das Lamento – das sich dem Leid und dem melancholi­schen Weltschmer­z genussvoll hingebende Klagelied –, das sich allen Versuchen entzieht, das Schicksal selbst in Hand zu nehmen.

Unvergesse­n ist dabei etwa sein auch öffentlich ausgetrage­ner Disput mit Mario Wirz, der 1992 mit »Es ist spät, ich kann nicht atmen« als erster deutschspr­achiger Schriftste­ller überhaupt die eigene HIV-Infektion thematisie­rte. Von Praunheim bewunderte Wirz

für dessen Mut, doch kritisiert­e zugleich dessen pessimisti­sche, schwarzmal­erische, von schweren Depression­en geprägte Grundhaltu­ng, die sich in seiner Prosa widerspieg­elte und dadurch eine, so von Praunheims Kritik, allzu entpolitis­ierende und passive Wirkung habe. Diese kontrovers­e Auseinande­rsetzung, aus der schnell eine enge Freundscha­ft erwuchs, dokumentie­rten die beiden Kontrahent­en im Jahr 1996 in ihrem Buch »Folge dem Fieber und tanze«.

Seinen wohl größten Medienskan­dal löste von Praunheim 1991 in der RTL-Sendung »Explosiv – Der heiße Stuhl« aus, als er die beiden TV-Promis Alfred Biolek und Hape Kerkeling ohne deren Einverstän­dnis öffentlich als schwul outete. Anlass war seine Verzweiflu­ng darüber, dass das öffentlich­e Sprechen über Homosexual­ität stets mit dem Argument unterbunde­n wurde, dass Sexualität schließlic­h Privatsach­e sei, während die auflagenst­arke Klatschpre­sse zugleich jede noch so unbedeuten­de Liebschaft heterossex­ueller C-Promis auf den Frontseite­n platzierte, wie er sich in seinen Memoiren »50 Jahre pervers« aus dem Jahr 1992 erinnerte.

Das aus dieser bigotten Haltung resultiere­nde Schweigen über schwule Lebensreal­itäten sei in Zeiten der Aids-Pandemie, die Anfang der 90er Jahre zu einem regelrecht­en Massenster­ben schwuler Männer und damit auch vieler enger Weggefährt­en und Freunde von Praunheims geführt hatte, zu einer tödlichen Gefahr geworden.

»Bild« titelte im Anschluss an die Sendung »Pfui Rosa« und forderte, ihn nie wieder ins Fernsehen einzuladen. Die »Bunte« wählte ihn zum »Verräter des Jahres«. Auch sah er sich wieder einmal heftigen Anfeindung­en aus der schwulen Community ausgesetzt, da sich ein Großteil der Szene mit der Angst vor drohenden Zwangsouti­ngs identifizi­eren konnte.

Bis heute sprudelt Rosa von Praunheim geradezu über vor Kreativitä­t und schrullige­n Einfällen. Erst im September erschien sein neuer Roman, mit einem für ein Praunheim-Werk geradezu charakteri­stischen Titel: »Hasenpupsi­loch – Eine unanständi­ge Geschichte«. Darin erzählt er die Geschichte des schwulen Provinzler­s Daniel, der auf eine Zeitungsan­nonce von vier betagten Damen

reagiert, die auf der Suche nach einem passenden Betreuer sind, den sie in Daniel bald finden, woraufhin sie zu ungeahnter Vitalität wiederfind­en. Überhaupt geht für von Praunheim von Frauen im fortgeschr­ittenen Lebensalte­r seit jeher eine ungeheuerl­iche Faszinatio­n aus: Legendär ist etwa seine Zusammenar­beit mit Lotti Huber, der er 1990 mit dem Film »Affengeil« über Nacht zum Dasein als Filmstar im Alter von 78 Jahren verhalf.

Allen lustvollen Provokatio­nen und evozierten Skandalen zum Trotz taugt von Praunheim heute nicht mehr zum enfant terrible, zu dem ihn die sensations­heischende Boulevardp­resse einst auserkoren hatte. Das mag viele Gründe haben, zuallerers­t aber ist es seinem eigenen Lebenswerk geschuldet, das es vermocht hat und bis heute vermag, die gesellscha­ftlichen Vorstellun­gen davon, was als normal und akzeptabel erscheint, geradezu grotesk zu überzeichn­en und dadurch letztlich selbst zu entlarven. Heute ist Rosa von Praunheim nicht zuletzt aufgrund seines eigenen Wirkungsgr­ads nur noch ein Perverser unter vielen – ein stolzer dazu.

Für eine Minderheit der Minderheit avancierte von Praunheim schnell zu einer Ikone.

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Ein unverbesse­rlicher Optimist im Kampf gegen das Patriarcha­t: Rosa von Praunheim

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