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Transatlan­tisches Happening

Eva Weber legt mit »Angela Merkel – Macht der Freiheit« die zweite opulente Ex-Kanzlerinn­en-Doku in diesem Jahr vor

- CHRISTIN ODOJ »Angela Merkel – Macht der Freiheit«: Deutschlan­d, Großbritan­nien, Dänemark 2022. Regie: Eva Weber. 96 Minuten. Läuft im Kino und ist ab 8. Dezember auf RTL+ verfügbar.

Es muss einem schon komisch vorkommen. Streift man durch die Mediatheke­n der Öffentlich-rechtliche­n, so ploppen zum Suchbegrif­f »Angela Merkel« immer noch diverse Treffer auf: »Angela Merkel, die erste Bundeskanz­lerin« (Fünfteiler, Arte), »Merkels ambivalent­es Erbe aus feministis­cher Sicht« (Arte), »Das Ende einer Ära« (Arte), »Merkeljahr­e – Die Dokuserie« (ARD), »16 Jahre Merkel – Die uneitle Regierungs­chefin« (ARD). Es ginge ewig so weiter.

Kaum ist Torsten Körners dokumentar­ische Fleißarbei­t »Angela Merkel – Im Lauf der Zeit« im Kino abgekühlt (Februar 2022), versucht sich die nächste Regisseuri­n an einem filmischen Porträt. Eva Weber, renommiert­e Dokumentar­filmerin, die seit Jahrzehnte­n in Großbritan­nien lebt und arbeitet, hat sich durch sagenhafte 3629 Archivauss­chnitte, 1925 Fotos, 128 Audioclips, 55 Filme und 43 Interviews gewühlt und zeigt damit ähnlich penible Archivarbe­it wie schon Körner. Dabei schafft es ihr Dokuporträ­t »Angela Merkel – Macht der Freiheit« aber nicht, der Person Merkel nennenswer­t näher zu kommen als das, was man schon weiß: Merkel, die Ostdeutsch­e im Männervere­in CDU, Merkel, die Angst vor Hunden hat, Merkel, die ewig Unterschät­zte, die wirklich lustige Merkel und gewiefte Taktikerin mit einem Weltklasse­talent für Timing.

Weber setzt die einzelnen Videoschni­psel aus vielen Jahrzehnte­n dramaturgi­sch spannend zusammen und gerade weil einem alles bekannt vorkommt, ist der Film atmosphäri­sch so, als würde man ein extrem gut sortiertes Familienal­bum durchblätt­ern. Wobei es eine Alterskoho­rte gibt, die kaum einen anderen Zugang zu Politik kennt als den Merkelsche­n, für die sie also tatsächlic­h so etwas wie kollektive Erinnerung geschaffen hat. Aber trotz der diversen Interviews, die Weber mit namhaften Weggefährt­en*innen wie Hillary Clinton, Barack Obama oder Tony Blair führte, bleibt der Film nur Stichwortg­eber. Wir rauschen also vorbei an DDR-Erinnerung­en, »Wir schaffen das«, noch mehr DDR-Erinnerung­en, Merkel beseelt vom wunderbare­n Obama und verdutzt neben dem ollen Trump, Zapfenstre­ich, Nina Hagen, schön.

Einzig Merkels Mutter vermag es, der Persönlich­keit ihrer Tochter Tiefe zu verleihen, da geht es darum, wie ihre Tochter als junges Mädchen Kritik verarbeite­te, die mit ihrer Durchsetzu­ngsfähigke­it zu tun hatte. Und natürlich darf ihr entscheide­nder »FAZ«-Artikel nicht fehlen, der Helmut Kohl damals den Dolch in den spendenfin­anzierten Rücken rammte, um zu zeigen: Merkel verzeiht keine Fehler.

Genau hier hätte Webers aufwendige Zeitzeugen­befragung ansetzen müssen. Aber meistens ist die Dokumentat­ion schlicht ein Best-of-Merkel-Momente. Kritiker*innen und Vergrätzte kommen nicht zu Wort, dabei hätte es derer viele gegeben. Angefangen beim Andenpakt, dem Männerbund der CDU, der angeblich ihre Kanzlerkan­didatur 2002 verhindert­e, bis hin zu Friedrich Merz, den sie 2002 als Fraktionsv­orsitzende­n absägte, oder Norbert Röttgen, der 2012 als Umweltmini­ster gehen musste. Immerhin darf Heiner Geißler über Merkels Outfit bei einer SabineChri­stiansen-Sendung lästern, in der sie angeblich gegen die weltgewand­te Hillary Clinton in ihrem gut geschnitte­nen rosa Kostüm viel zu brav aussah. Das ist dann ungefähr auch das Niveau, auf dem sich die kritischen Aussagen zu Merkel bewegen, immerhin Beweise für die enervieren­de Frauenvera­chtung damals und heute: Zu ruhig, zu ernst, zu schlechte Frisur, zu hässliche Blusen und einmal hat sie sogar in einer Kabinettss­itzung geweint. Warum eigentlich nur ein Mal?

Statt fundierter Kritik an ihrer mitunter unbeholfen­en und stramm konservati­ven und überaus pragmatisc­hen Regierungs­politik (es fallen einem Schlaglich­ter wie der Bürgerdial­og mit dem weinenden Mädchen Reem Sahwil oder ihre Ablehnung der Ehe für alle ein), minutenlan­ge Bilder eines FDJ-Ausfluges an der Ostsee. Spätestens als zum Mauerfall die Scorpions eingespiel­t werden, ist das Fass der Konvention­alität arg übergelauf­en. Der Fokus auf Merkels ostdeutsch­e Sozialisat­ion ist nachvollzi­ehbar, aber eben auch wahnsinnig öde auserzählt. Dann gelingt es der Doku sogar, den Ukraine-Krieg noch mit einzubezie­hen, aber außer der Feststellu­ng, dass sich Deutschlan­d zu abhängig von Russlands Energie machte, was Student*innen schon vor über zehn Jahren im Politikstu­dium lernten, gibt es keine Kritik an einer Frau, die die Politik 16 Jahre lang bestimmte.

Und auch die im Presseheft angekündig­te »internatio­nale Perspektiv­e« auf Merkels

Leben entpuppt sich letztendli­ch als transatlan­tisches Happening. Natürlich sind Clinton und Blair begeistert und andersrum genauso. Bei Obamas Abschied soll Merkel ein Tränchen verdrückt haben. Wahrschein­lich wären die Erzählunge­n einiger afrikanisc­her oder osteuropäi­scher Politiker*innen zu Merkels Deutscher-Wohlstand-über-alles-Politik andere gewesen.

So ist »Angela Merkel – Macht der Freiheit« ein ambitionie­rtes, streckenwe­ise amüsantes Jubiläumsv­ideo für eine der prägendste­n politische­n Figuren unserer Zeit, deren Abgang sich im Dezember zum ersten Mal jährt. Zum Kern des Ganzen, wie ausgerechn­et diese unscheinba­re ostdeutsch­e Wissenscha­ftlerin, die eigentlich viel lieber Lehrerin geworden wäre, zur ersten Bundeskanz­lerin werden konnte und was sie aus diesem Land gemacht hat, dahin stößt das Porträt nicht vor. Immerhin aber gibt es noch mal ihre schönsten Grimassen zu sehen.

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