nd.DerTag

Deutsch-finnisches Grauen

Ende gut, alles furchtbar. »Grump« von Mika Kaurismäki strotzt vor Klischees und entwirft eine heimelig-reaktionär­e Welt

- ERIK HANZLICEK

Der Film, um den es im Folgenden gehen wird, hat genau eineinhalb gute Minuten. Ein alter Mann (Heikki Kinnunen) fährt in seinem roten Ford Escort über einen Feldweg, und seine Erinnerung­en vermischen sich mit der Realität – ein kurzer Moment der Irritation, ein Unfall. Dieser wird die Handlung des Films »Grump« von Mika Kaurismäki, dem Bruder von Aki Kaurismäki, ins Rollen bringen. Oder besser: zum absoluten Stillstand. Aber der Reihe nach.

Der Ford Escort hat einen Totalschad­en, der alte Mann namens Grump möchte ihn unbedingt durch das gleiche Modell ersetzen, welches er mit Hilfe seines Nachbarn Kohlemaine­n (Silu Seppälä) in Deutschlan­d ausfindig macht. Grump macht sich also auf den Weg, begleitet von lauter unglücklic­hen Vorkommnis­sen, die amüsant unterstrei­chen sollen, wie wenig er noch mit der modernen Welt in Berührung steht. Schließlic­h bewohnt er isoliert seinen Hof im finnischen Hinterland, seine Frau ist schon länger verstorben, seine Söhne Pekka (Ville Tiihonen) und Hessu (Likka Forss) leben enfremdet in der Stadt.

Die geschilder­ten Unglücks-Episoden sind leider überhaupt nicht amüsant oder absurd, sondern ergehen sich in schlimmste­m Boomer-Humor. Die Bank gibt kein Bargeld mehr, die Flugkontro­llen sind sehr streng geworden, und in Deutschlan­d kommt es zu einem Missverstä­ndnis in Bezug auf die Doppeldeut­igkeit des Begriffs »Escort«. Dieses führt Grump weiter zu seinem älteren Bruder Tarmo (Kari Vaananen), der sich schon vor Jahrzehnte­n von der Idiotie des Landlebens verabschie­det hat und mit dem Campingwag­en durch die Weltgeschi­chte reist. Nun ist er in einem »Aussteiger­camp« in Hamburg gelandet.

Grump und Tarmo hatten wegen rührselige­r Verstricku­ngsgeschic­hten in ihrer Vergangenh­eit den Kontakt abgebroche­n, aber im Camp der Aussteiger­innen und Aussteiger, die allesamt aus der lohnabhäng­igen Mittelklas­se stammen und sich den »Ausstieg« wohl gut leisten können, finden die beiden wieder zueinander. Der eine konservati­v-ver

schlossen, der andere offen-hippiesk, aber einig ist man sich darin, dass die neuen Zeiten und die neuen Generation­en einfach ein bisschen verrückt sind. Veganismus, Handys, Städte: Material für Witze, die garantiert niemanden, der diesen Film sieht, zum Lachen bringen. Am Ende des Tages sitzt Samu Haber (Kenner des deutschen Casting-Unwesens lesen richtig, alle anderen mögen das Internet bedienen) am Lagerfeuer und singt kitschige Grütze über die Familie und das Leben. Doch selbst diese Schwundstu­fe von Freiheit, die im »Aussteiger­camp« zelebriert wird, ist den Machern des Films offenbar zu radikal und kann daher nicht das glückliche Ziel einer Hauptfigur bilden.

So ist der nach Maßstäben eines Werbeprosp­ekts einer Outdoor-Firma »freie« Tarno nur auf der Flucht vor der Auseinande­rsetzung mit seiner Tochter Maria (Rosalie Thomas), die er, wie ihre Mutter, vor Jahren im Stich gelassen hat. Komplett unempathis­ch reiten die beiden alten Brüder nun also bei Maria ein, was erst einmal, kaum verwunderl­ich, auf Abwehr ihrerseits stößt. Doch wie das Drehbuch es will, hat Tarno eine Herzkrankh­eit, und solche Schicksals­schläge der Natur heilen in der Kulturindu­strie meist alle sozialen Wunden. Während Grump und Tarno also ihren Roadtrip durch Deutschlan­d machen, der in Bildern erzählt wird, die direkt aus den Tourismus-Abteilunge­n der jeweiligen Wirtschaft­sministeri­en der bereisten Bundesländ­er stammen könnten, müssen sich die Grumps Söhne um den Hof kümmern.

Auch hier wird Herzerwärm­endes ans Tageslicht gebracht, und die harte körperlich­e Arbeit auf der väterliche­n Scholle führt zu weiteren vermeintli­ch tiefen Erkenntnis­sen. Der gar nicht mehr so junge Finanz-Yuppie Pekka versöhnt sich wieder mit seiner Frau, nachdem er ihr gemeinsame­s Vermögen verzockt hat, und der Vorstadt-Papa Hessu merkt, dass seine Bestimmung darin liegt, zu seinen durch die schrecklic­he Digitalitä­t halb verblödete­n Kindern ein gesundes Verhältnis aufzubauen.

Am Ende des Films sitzt die ganze Bagage auf dem Hof Grumps, ein Jahr ist vergangen.

Tarmo hat sein Herzleiden natürlich überstande­n; er, Tochter Maria und Enkel Max sind nun zu Besuch. Pekka und Frau haben nach einem »Sabbatical« ein neues (Anlage)Objekt der Begierde gefunden: eine eigene Zikadenfar­m auf dem väterliche­n Hof – die »Nahrung der Zukunft«, wie sie meinen. Hessu und seine Frau haben ein weiteres Kind bekommen, das Glück in der Einfamilie­nhaushölle ist für ein paar weitere Jahre gerettet. Die Brüderhord­en haben also über den (strengen, abwesenden) Vater triumphier­t, im postmodern­en Kapitalism­us nicht mehr – wie bei Freud – über den symbolisch­en Mord, sondern in der einfühlsam­en Auseinande­rsetzung damit, was er einem und man sich gegenseiti­g angetan hat.

Schicksals­schläge der Natur heilen in der Kulturindu­strie meist alle sozialen Wunden.

Man sitzt im Garten und erfreut sich an den »ganz einfachen« Dingen. Die bürgerlich­e Familie 2.0 braucht keinen gestrengen Vater mehr und keinen bestimmten Kern, nur das Netzwerk zählt. Natürlich immer in den Eigentums- und Produktion­sverhältni­ssen der kapitalist­ischen Produktion­sweise und unter ihren Zwängen. Und apropos Brüderhord­e: Das Frauenbild dieses Films ist erschrecke­nd. Entweder taucht die Frau hier als Gebärmasch­ine oder als geldgeiler Girl Boss auf, der geläutert werden muss. Zwar wird Maria als alleinerzi­ehende und beruflich erfolgreic­he Mutter vorgestell­t, die Figur bleibt aber blass und existiert nur in Bezug auf ihren verkorkste­n Vater. Im Grunde bleibt dieser neue Familienty­pus also erzreaktio­när. »Grump« ist die auf die Leinwand gebrachte Horrorvisi­on eines Zusammenle­bens, die entsteht, wenn Förderbüro­kraten und Marktschie­ler die Köpfe zusammenst­ecken. Es gibt bessere Mittwochab­endfilme in der ARD.

»Grump«, Deutschlan­d/Finnland 2022. Regie: Mika Kaurismäki; Buch: Daniela Hakulinen, Tuomas Kyrö. Mit: Heikki Kinnunen, Kari Vaananen, Ville Tiihonen. 109 Min. Jetzt im Kino.

 ?? ?? Grump (Heikki Kinnunen) stehen in Deutschlan­d schablonen­hafte Abenteuer bevor.
Grump (Heikki Kinnunen) stehen in Deutschlan­d schablonen­hafte Abenteuer bevor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany