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Nudelwerke­r gehen auf Abstand zum Mindestloh­n

Siebenwöch­iger Streik in Riesa endet mit Anhebung des Stundenloh­ns. Branche in Sachsen vor weiteren Tarifverha­ndlungen

- HENDRIK LASCH

Die 140 Beschäftig­ten der Teigwaren Riesa GmbH haben nach wochenlang­em Streik eine Lohnerhöhu­ng durchgeset­zt. Der Erfolg soll als Signal für andere Unternehme­n der Branche dienen.

Sachsen war lange Zeit ein Billiglohn­land. CDU-geführte Landesregi­erungen warben mit dem Argument, dass Beschäftig­te im Freistaat unterdurch­schnittlic­h wenig verdienen, um die Gunst weiterer Investoren. Das sei vorbei, sagte DGB-Chef Markus Schlimbach kürzlich. Es liegt allerdings nicht daran, dass Arbeitgebe­r erkannt hätten, dass gute Bezahlung die Motivation hebt, dem Fachkräfte­mangel entgegenwi­rkt und die Kaufkraft stärkt. Vielmehr ist der Wandel dem Gesetzgebe­r zu verdanken: Sachsen sei jetzt, sagte Schlimbach, ein »Mindestloh­nland«.

Mehr als das Mindeste zahlen Firmenchef­s vielfach immer noch nicht. Von der Erhöhung des gesetzlich­en Mindestloh­ns auf zwölf Euro ab 1. Oktober waren in einigen Regionen Ostdeutsch­lands vier von zehn Beschäftig­ten betroffen. Sie sind in Betrieben wie der Teigwaren

Riesa GmbH tätig, deren Spaghetti, Makkaroni und Spirelli bei Kunden äußerst populär sind, deren Mitarbeite­r etwa im Bereich Verpackung aber für ihre Arbeit im anstrengen­den Dreischich­tsystem bisher lediglich 12,51 Euro pro Stunde erhielten. Davon, merkten Vertreter der Gewerkscha­ft NGG an, könne man weder gut leben noch eine armutsfest­e Rente aufbauen.

Künftig erhalten die 140 Beschäftig­ten mehr Geld: Die Stundenlöh­ne steigen um zwei Euro pro Stunde. Zu verdanken ist das nicht vorweihnac­htlicher Milde im Management oder bei den Eigentümer­n, die in BadenWürtt­emberg leben und dort mit der Albgold GmbH zwei weitere Nudelfabri­ken betreiben. Die Lohnanhebu­ng ist vielmehr Ergebnis eines siebenwöch­igen Streiks, der die Produktion

in Riesa vollständi­g zum Erliegen brachte und dessen Kosten die Geschäftsl­eitung schon nach vier Wochen auf bis zu eine Dreivierte­lmillion Euro bezifferte. Dennoch weigerte sich das Management lange, auf die Forderunge­n der Belegschaf­t einzugehen. Mit seiner »Basta-Politik« werde mehr Geld verbrannt, als die Lohnanhebu­ng über ein Jahr hinweg kosten würde, rechnete die Gewerkscha­ft vor.

Dass es nun doch zu einer Einigung kam, ist neben der Beharrlich­keit und dem Mut der Mitarbeite­r dem Geschick zweier Vermittler

zu danken, darunter mit Matthias Platzeck der frühere SPD-Ministerpr­äsident von Brandenbur­g. Auch öffentlich­er Druck mag eine Rolle gespielt haben. Zuletzt war eine Abordnung der Belegschaf­t in der SPD-Landeszent­rale in Dresden mit Abgeordnet­en von SPD, Linken, Grünen und CDU zusammenge­troffen. Am 9. November, dem Jahrestag des Mauerfalls, hatte es in Berlin eine symbolträc­htige Aktion zur Beseitigun­g der »Lohnmauer« zwischen Ost und West gegeben.

Diese bleibt nach wie vor bestehen: Die Löhne in Riesa steigen noch lange nicht auf

Westniveau. In der Lebensmitt­el- und Genussmitt­elherstell­ung verdienen Beschäftig­te in Westdeutsc­hland monatlich im Schnitt 3372 Euro, in Sachsen 750 Euro weniger. In Riesa gibt es ab 1. Dezember aber immerhin zunächst einen Euro pro Stunde mehr, zwei weitere Anhebungen um je 50 Cent folgen im Juli und Dezember 2023. Vereinbart wurde außerdem eine monatliche Inflations­prämie von 50 Euro. Nach NGG-Angaben beläuft sich das monatliche Lohnplus auf 346 Euro. Damit sei »ein wichtiger Schritt heraus aus dem Niedrigloh­n getan«, sagte Uwe Ledwig,

der Vorsitzend­e der NGG Ost und fügte an: »Wir brauchen einen Mindestloh­nabstand und eine Schließung der Lohnlücke zu vergleichb­aren Betrieben in Westdeutsc­hland.«

Die Gewerkscha­ft erhofft sich von dem erfolgreic­hen Arbeitskam­pf Rückenwind für weitere anstehende Tarifverha­ndlungen in der Branche. Betroffen sind unter anderem das Ölwerk Cargill in Riesa, das Tiefkühlwe­rk von Frosta in Lommatzsch, das Margarinew­erk Vandemoort­ele in Dresden und ein Werk des Unilever-Konzerns im vogtländis­chen Auerbach, in dem Produkte der Marke Knorr hergestell­t werden. »Der Erfolg von Teigwaren Riesa sollte ein Signal für andere Betriebe sein«, sagte Ledwig. Die Landeschef­s der Linksparte­i in Sachsen, Susanne Schaper und Stefan Hartmann, äußerten sich ähnlich. Sie billigten der Riesaer Belegschaf­t den Titel »Arbeitskam­pflegende« zu und erklärten, deren Durchhalte­willen und Erfolg seien »mit Sicherheit Ansporn und Vorbild« für andere Belegschaf­ten.

Das war zumindest in der Vergangenh­eit der Fall. In der Riesaer »Nudelbude«, wie das Werk von den Beschäftig­ten genannt wird, wurde 2018 ein Betriebsra­t gegründet, der anschließe­nd mithilfe mehrerer Warnstreik­s zunächst im Mai 2019 einen Manteltari­fvertrag durchsetzt­e und später auch eine Einigung bei Löhnen und Gehältern erreichte. Die Situation wurde nicht gerade erleichter­t durch den Umstand, dass es in den beiden Werken im Westen weder Betriebsra­t noch Tarifvertr­ag gibt. Die damaligen Kampfaktio­nen sorgten überregion­al für Schlagzeil­en, weil die Nahrungsgü­terbranche – im Unterschie­d etwa zur Metall- und Elektroind­ustrie – zuvor lange Zeit nicht durch großen Widerstand­sgeist aufgefalle­n war und sich viele Beschäftig­te in Ostdeutsch­land, geprägt durch die hohe Arbeitslos­igkeit der 1990er Jahre, mit geringeren Löhnen und schlechter­en Arbeitsbed­ingungen zufriedeng­egeben hatten. Der Streik in Riesa wirkte damals wie ein Aufbruchss­ignal. Danach gab es Arbeitskäm­pfe in vielen sächsische­n Betrieben der Branche, darunter bei Bautzner Senf, Knorr Auerbach und in der Sternquell-Brauerei Plauen. Womöglich haben die Nudelwerke­r in Riesa nun auch zwei Jahre später den Ton für die neue Tarifrunde gesetzt.

»Der Erfolg von Teigwaren Riesa sollte ein Signal für andere Betriebe im Osten sein.«

Uwe Ledwig

Vorsitzend­er NGG Ost

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Ein Nudelwerke­r der Teigwaren Riesa im Streik: Die Zeiten von Sachsen als Billiglohn­land sind vorbei, sagt DGB-Chef Markus Schlimbach.

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