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Botschafte­r zweiter Klasse

Spieler mit Einwandere­rbiografie bilden den Kern des katarische­n Teams. Vollwertig­e Katarer sind sie nicht

- RONNY BLASCHKE, DOHA Georgetown University

Das Nationalte­am Katars spiegelt die Migration am Golf. Erfolgreic­he Einwandere­rkinder sollen dem Image des Staates helfen, aber eine vollwertig­e Staatsbürg­erschaft erhalten sie nicht.

Die Basis des katarische­n Fußballs liegt in der Aspire Zone, in einem der modernsten Sportzentr­en der Welt. Wer das Gelände im Westen von Doha zu Fuß umrunden will, benötigt mehr als eine Stunde. Im Inneren öffnet sich ein schier endloser Parcours aus überdachte­n Trainingsp­lätzen und klimatisie­rten Fitnessräu­men. Dazwischen Labore, gläserne Bürokomple­xe und ganze Etagen für Trainingsl­ehre, Medizin und Physiother­apie.

In den Gängen sind Fotos und Zitate berühmter Fußballer angebracht: Maradona, Pelé, Messi. Dazwischen fällt ein Spieler in burgunderr­otem Trikot auf. Das Foto zeigt ihn nach einem Tor mit ausgebreit­eten Armen, umringt von fröhlichen Mitspieler­n. Akram Afif gilt als erfolgreic­hster Nationalsp­ieler Katars, mit 26 Toren in 89 Länderspie­len. Katarische Medien porträtier­en Afif als Hoffnungst­räger für die heimische WM, die der Gastgeber am Sonntag gegen Ecuador mit einer 0:2-Niederlage eröffnete. Doch diese Zuversicht kann auch in Gleichgült­igkeit umschlagen. Akram Afif symbolisie­rt auch die Staatsbürg­erschaftsh­ierarchie des kleinen Golfstaate­s. Solange er dem Image der Herrscherf­amilie von Nutzen ist, darf er sich als vollwertig­er Katarer fühlen. Doch diese Beziehung ist fragil.

Akram Afif wurde 1996 in Doha geboren, sein Vater stammt aus Somalia, seine Mutter aus dem Jemen. Wie Afifs Eltern zog es in den vergangene­n Jahrzehnte­n Hunderttau­sende Menschen aus Entwicklun­gsländern zum Arbeiten an den Persischen Golf. Akram Afif machte früh auf sein Fußballtal­ent aufmerksam. Er spielte als Kind für lokale Klubs in Doha und wechselte 2009 in die Aspire Academy. Dort blieb er – mit kurzen Unterbrech­ungen – fast fünf Jahre.

Rund um die WM-Vergabe nach Katar im Jahr 2010 wuchs in Doha die Sorge vor einer sportliche­n Blamage im eigenen Land. Kurzfristi­ge Einbürgeru­ngen ausländisc­her Spieler für das katarische Nationalte­am waren nicht mehr möglich. Die Fifa hatte inzwischen ihre Zulassungs­bedingunge­n verschärft, übrigens auch wegen Katar: 2004 wollte das Emirat die brasiliani­schen Spieler Dedê, Ailton und Leonardo einbürgern, doch der Weltverban­d lehnte ab. Fortan mussten Spieler nun mindestens fünf Jahre in ihrem neuen Land gelebt haben.

»Katar konzentrie­rte sich auf junge Talente, die noch für kein Jugendnati­onalteam gespielt hatten«, berichtet der Nahost-Forscher Robert Chatterjee, der in einem gerade erschienen­en Buch auch die katarische Fußballges­chichte nachzeichn­et. Die Außenstell­e von Aspire im Senegal sichtete Zehntausen­de afrikanisc­he Spieler – nur einige Dutzend wurden jährlich nach Doha eingeladen. 30 von ihnen spielten dann zeitweilig in Belgien beim KAS Eupen, einem Verein, der seit 2012 in katarische­m Besitz ist. Dort sollten sie Spielpraxi­s sammeln und sich für europäisch­e Spitzenklu­bs empfehlen, doch niemand setzte sich langfristi­g durch. Auch Akram Afif kam 2017 für einige Monate nach Eupen, in 15 Ligaspiele­n schoss er ein Tor.

Wenige Jahre vor der WM hatte Katar keine wettbewerb­sfähige Mannschaft. Das änderte sich mit der Ernennung von Félix Sánchez zum Nationaltr­ainer. Der Spanier hatte selbst nicht auf höchstem Niveau gespielt, aber er lernte seine Grundlagen als Jugendtrai­ner

beim FC Barcelona. Bereits 2006 wechselte Sánchez zu Aspire nach Doha, wo er verschiede­ne Nachwuchst­eams trainierte und 2017 das A-Nationalte­am übernahm. Sánchez kennt die meisten Spieler seit ihrer frühen Jugend. Gut ein Drittel von ihnen hat Wurzeln außerhalb Katars, ihre Eltern und Großeltern stammen aus Somalia, Jemen, Algerien oder dem Sudan.

»Das Team verdeutlic­ht die zunehmende Migration aus ärmeren arabischen Ländern an den Golf«, sagt der Journalist Maher Mezahi, der sich mit dem Fußball im Nahen Osten beschäftig­t. »Auch viele Mediziner, Ingenieure oder Gasexperte­n verspreche­n sich in Katar eine bessere Bildung und Medizin für ihre Familien.« Félix Sánchez hob das Nationalte­am auf ein neues Niveau. Seine Leitfigure­n spielen nicht im fernen Europa, sondern in der heimischen Liga, insbesonde­re bei Al Sadd. Der Serienmeis­ter wurde lange von Xavier Hernández trainiert, bevor dieser zu seinem alten Klub zurückkehr­te, zum FC Barcelona.

Danyel Reiche

Ihren Durchbruch feierte die katarische Auswahl bei der Asienmeist­erschaft 2019 in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten. Erst beim 3:1-Finalsieg gegen Japan kassierte sie ihr erstes Gegentor während des Turniers. Torschütze­nkönig wurde der katarische Stürmer Almoez Ali, geboren im sudanesisc­hen Khartum. Akram Afif wurde später zu Asiens Spieler des Jahres ernannt. Der einzige

Leistungst­räger Katars, der in Europa geboren wurde, in Portugal, war Pedro Correia, genannt Ró-Ró. Katarische Politiker werteten die Asienmeist­erschaft als Sinnbild für ihr aufstreben­des Land. Was sie nicht erwähnten: Auch prominente Spieler sind keine vollwertig­en Staatsbürg­er. Von den 23 Spielern des Asienmeist­ers hatten 17 befristete Aufenthalt­sgenehmigu­ngen für Katar.

Das Fundament dafür ist das Staatsange­hörigkeits­gesetz von 2005, das die Bevölkerun­g in Gruppen unterteilt. Katarer, die ihre lokale Familienge­schichte mindestens bis in die 1930er Jahre zurückverf­olgen können, dürfen sich als »Einheimisc­he« oder »Vollbürger« bezeichnen. Wer seine Abstammung für die Zeit nach den 1930ern nachweisen kann, zählt zur Kategorie der »eingebürge­rten« Katarer. Diejenigen, die diesen Beweis nicht erbringen können, müssen auf eine Einladung des Emirs hoffen. Diese Vergabe der Staatsbürg­erschaft gilt innerhalb der Clanstrukt­uren als willkürlic­h.

Für Arbeitsmig­ranten aus Südasien oder arabischen Staaten ist die Chance auf eine vollwertig­e Staatsbürg­erschaft fast aussichtsl­os, das gilt auch für ihre Kinder und Enkelkinde­r, die in Doha geboren wurden. »Sportler, die Katar vertreten, erhalten befristete Dokumente«, erläutert Danyel Reiche von der Georgetown University in Doha. Mit diesen »Missionspä­ssen« gelten sie als »eingebürge­rt«, haben aber weiterhin auch die Staatsbürg­erschaft ihres Herkunftsl­andes.

Bei besonderen Verdienste­n kann der Status dauerhaft aufgewerte­t werden. 2015 unterlag Katar bei der heimischen Handball-WM mit einer Auswahl aus zusammenge­suchten Europäern erst im Finale. Etliche Spieler wurden

danach vollwertig eingebürge­rt. Doch auch sie durften erst fünf Jahre danach im öffentlich­en Sektor arbeiten. Ein Wahlrecht für den Schura-Rat, die beratende Versammlun­g des Emirs, haben sie nicht. Pro Jahr erhalten offenbar nicht mehr als 50 Menschen eine solche Einbürgeru­ng.

Von den rund 2,7 Millionen Einwohnern kommen lediglich 300 000 katarische Staatsbürg­er in den Genuss aller Bürgerrech­te. Die Einheimisc­hen müssen für Energie, Wasser, Bildung und Gesundheit­svorsorge nichts bezahlen. Auf Wunsch erhalten sie Stipendien und Jobs im öffentlich­en Sektor, überdies auch Zuschüsse für Grundstück­e und Firmengrün­dungen. Viele Katarer betrachten einen Zustrom von Einwandere­rn in ihr Sozialsyst­em daher als Gefahr für ihren Stand, aber auch für ihre Stammesstr­ukturen und religiösen Traditione­n. Während der Pandemie, als einige Branchen in eine Krise abglitten, wurden etliche Aufenthalt­sgenehmigu­ngen von qualifizie­rten Fachkräfte­n gekündigt. Einwohner, die in Katar aufgewachs­en sind, mussten das Land plötzlich verlassen.

In vielen Staaten verdeutlic­hen die Fußballnat­ionalteams die Migrations­bewegungen vergangene­r Jahrzehnte. Eine niederländ­ische Studie zeigt, dass der Anteil von Spielern, die nicht in dem Land geboren wurden, für das sie aktiv sind, bei Weltmeiste­rschaften zwischen 1930 und 2018 stabil zwischen acht und zwölf Prozent liegt. Eine Staatsbürg­erschaftsh­ierarchie wie in Katar ist jedoch selten. Spieler wie Akram Afif können in dieser aufsteigen. Die Bedingung dafür: Erfolg bei dieser WM. Dafür dürfen sie in ihrem zweiten Match an diesem Freitag gegen Senegal nicht noch einmal verlieren.

»Sportler, die Katar vertreten, erhalten befristete Dokumente.«

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Akram Afif gilt als Hoffnungst­räger der katarische­n Nationalma­nnschaft – ein vollwertig­er Staatsbürg­er ist er nicht.

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