nd.DerTag

Nach dem Fressen der Konsumraus­ch

Auch in den USA protestier­en Amazon-Angestellt­e am Black Friday gegen ihren Arbeitgebe­r Der Black Friday stammt aus den USA. Der Tag nach Thanksgivi­ng steht seit jeher für die chaotische Dynamik des Kapitalism­us.

- ANJANA SHRIVASTAV­A

Es gibt neben dem 4. Juli, dem US-Unabhängig­keitstag, wohl keinen Feiertag, der so amerikanis­ch ist wie Thanksgivi­ng. Als die Pilgerväte­r bei Plymouth Rock landeten, feierten sie zusammen mit den einheimisc­hen Wampanoag im Herbst 1621 ein dreitägige­s Erntedankf­est. Ohne deren Hilfe hätten sie den folgenden Winter nicht überlebt. So trifft man sich am vierten Donnerstag im November traditione­ll mit Familie und Freunden, um sich gemeinsam mit Truthahn den Bauch voll zu schlagen.

Doch einen Tag später geht es in den USA weit weniger familiär zu. Seit jeher gilt der Black Friday als Tag des Konsumraus­ches, an dem die Weihnachts­verkäufe durch Sonderange­bote angekurbel­t werden sollen. Dabei entstand der Ausdruck »Black Friday« im Jahr 1869: Damals versuchten zwei Spekulante­n, durch das Horten von Gold den Goldpreis in die Höhe zu treiben. Es kam zu einem Börsencras­h.

Seitdem steht der Black Friday für »Boom and Bust«, die chaotische Dynamik des Kapitalism­us. Später verwendete­n Polizisten in Philadelph­ia den Begriff: Einkaufsto­uristen am Tag nach dem Thanksgivi­ng-Feiertag fielen über die Stadt her und mussten gebändigt werden.

Weil der Konsumraus­ch am Freitag nicht recht zum besinnlich­en Anspruch am Donnerstag passt, gibt es in den USA auch jenseits von Gewerkscha­ften viel Kritik am Black Friday. Die Zeitung »Deseret News« im Mormonen-Staat Utah beklagt die Hysterie am Black Friday. Auf der Website »Politico« kritisiert ein Kommentato­r, dass mittlerwei­le nur noch Büro-Angestellt­e am Thanksgivi­ng frei haben. Die Dienstleis­tungsanges­tellten, die in Läden arbeiten, müssen hingegen für die Verkaufszi­ele herhalten. Wozu nationale Feiertage, wenn nicht für alle?

Auch in den USA ist Black Friday für die Gewerkscha­ften zum Kampftag geworden. Im Zentrum steht dabei der Onlineries­e Amazon, der zweitgrößt­e private Arbeitgebe­r des Landes. Seine Arbeiter*innen fordern wie ihre Kolleg*innen in Deutschlan­d höhere Löhne und bessere Arbeitsbed­ingungen.

In North Carolina protestier­ten Amazon-Angestellt­e zusammen mit Aktivist*innen gegen die Arbeitsbed­ingungen in den gigantisch­en Standorten nahe Durham und Raleigh. In St. Louis im US-Bundesstaa­t Missouri verließen einige Dutzend Arbeiter*innen am Freitag ihren Arbeitspla­tz; dies war schon der zweite wilde Streik in der 84 000 Quadratmet­er großen Anlage. Protest gab es zudem in rund zehn weiteren Städten wie Columbia (Maryland), Philadelph­ia, Portland und Washington. In New York protestier­te man vor der Privatwohn­ung von Amazon-Gründer Jeff Bezos auf der Fifth Avenue.

Auch wenn diese Black-Friday-Proteste in den USA hinter den Streiks in Europa zurückblie­ben, zeigt sich Amazon nervös. »Wir sind nicht perfekt«, war der Tenor mehrerer Konzernspr­echer*innen. »Eine Koalition von Organisati­onen hat Proteste in Amazon-Betrieben ermutigt«, behauptete Amazon-Sprecherin Kelly Nantel gegenüber »News & Observer«. »Diese Gruppen repräsenti­eren eine Vielfalt von Interessen. Wir sind vielleicht in keinem Bereich perfekt, aber wir nehmen unsere Rolle ernst.« Unterdesse­n verhindert der

Konzern die Zusammenku­nft der »vielfältig­en« Interessen in einer eigenständ­igen Organisati­on. Die erste Gewerkscha­ftsgründun­g bei Amazon in diesem Jahr, auf Staten Island in New York, wird von der Firma verbissen bekämpft.

So protestier­ten die Amazon-Beschäftig­ten an diesem Freitag nicht nur wegen fehlender »Perfektion« gegen ihren Arbeitgebe­r. Zum Beispiel musste schon unzählige Male wegen der krankmache­nden Arbeitsbed­ingungen ein Krankenwag­en zu einem Standort mit 4300 Angestellt­en in Wake County (North Carolina) gerufen werden. »Wir protestier­en, weil Amazon immer noch eine Firma ist, die ihre Arbeiter ausbeutet«, sagte der Amazon-Angestellt­e Tim Platt »News & Observer«. Platt versucht, eine Gewerkscha­ft in seiner Lagerhalle in Durham zu gründen.

In St. Louis will man wegen der vielen Arbeitsunf­älle eine Verlangsam­ung des Betriebsab­laufes, zehn Dollar mehr die Stunde und ein Ende der Überwachun­g durch das Management. Dafür hat auch die Angestellt­e Darla Cheever ihre Schicht verlassen. Sie und ihre Tochter arbeiten beide bei

Amazon, doch keine von ihnen kann sich eine eigene Wohnung leisten. Ihre Kollegin Kayla Breitbarth sagte der örtlichen Regionalze­itung »St. Louis Post Dispatch«: »Wir wollen wie Menschen behandelt werden, nicht wie Sklaven.« Ihre Kollegin Sheifon Gates macht deutlich: »Wir brauchen eine Gewerkscha­ft.«

Unterdesse­n wurde dieses Jahr weniger geshoppt als die Jahre zuvor. Die Discountke­tte Target berichtet von 38 Prozent weniger Umsatz als 2021, Walmart von acht Prozent. Bei großen Verkaufsme­ilen gab es keine Schlangen wie in früheren Jahren. Viele Läden blieben wegen Inflation oder Arbeitskrä­ftemangel an diesem Freitag geschlosse­n. Doch für die Amazon-Mitarbeite­nden ist der Unwillen zum Einkaufsbu­mmel wenig Trost. Denn es sind gerade die Online-Bestellung­en, die steigen und die Amazon-Gewinne sprudeln lassen. Die Hektik der Konsum-Saison wird nunmehr auf die Versand-Angestellt­en verlagert. Dennoch kündigte Amazon Mitte November in den USA noch 10 000 Angestellt­en. Das Kapital folgt nun mal einer anderen Logik als die Mehrheit der Menschen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany